Wirtschaft

Lehrlingsmangel: Wie Unternehmen um künftige Fachkräfte buhlen

Elektrotechnik, Automatisierungstechnik, Schweißen: Lehrlinge bei Siemens Österreich können das auch digital üben, mit Virtual-Reality-Brille und Controllern, die Vibrationen simulieren. Unter ihnen Maximilian, derzeit im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Mechatroniker. Er führt dem KURIER im Siemens-Trainingscenter in Wien eine Fertigungsstraße vor, die Zuckerldosen verpackt. Falscher Deckel auf der Dose? Solche Fehler im System erkennt die Verpackungsanlage sofort und korrigiert sie selbstständig.

Vor vier Jahren hat Maximilian eine HAK mit Matura abgeschlossen. Dennoch hat er eine klassische Lehre begonnen und diese Anlage mitprogrammiert und erweitert. Lehre nach der Matura: Ist das sinnvoll?

„Wer nichts kann, macht eine Lehre“, sagte Maximilian und lacht. Dann räumt er mit diesem Vorurteil auf: Das AMS habe ihm auf Rückfrage sogar empfohlen, eine Lehre in einem Mangelberuf zu machen, anstatt blind ein Studium zu beginnen. In Windeseile hatte Maximilian Angebote von vier Unternehmen.

Direkter Kontakt fehlt

Fakt am Lehrlingsmarkt: Genau diese Bewerber sind rar gesät. Siemens bildet in Österreich aktuell zwar 300 Lehrlinge aus und nimmt pro Jahr 100 neue auf. Bewerber mit Matura, wie Maximilian, fehlen aber genauso wie HTL-Abbrecher. „Wir können derzeit viele Lehrstellen nicht besetzen“, sagt CEO Wolfgang Hesoun.

Die Pandemie hat den Mangel verstärkt. Gerhard Zummer, Leiter der Lehrlingsausbildung bei Siemens, erklärt: „Was uns fehlt, ist die Kontaktaufnahme mit den Jugendlichen in den Schulen. Die Berufsorientierung konnten wir nicht so wie in den letzten Jahren durchführen.“ Digitale Berufsmessen hätten sich nicht bewährt.

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Was sich ändern muss

In Österreich seien 10.000 offene Lehrstellen derzeit unbesetzt, sagt Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf. „Die Jobs sind praxisnah und zukunftssicher“, betont er mit Blick auf den Fachkräftemangel. Zummer bestätigt das und nimmt die Bildungspolitik in die Pflicht. Das Schulsystem müsse sich am Arbeitsmarkt orientieren: „Die Berufsorientierung muss im Schulsystem eine stärkere Priorität haben.“ Die Schieflage: Derzeit gebe es zu viele Studienabbrecher, Bewerbern mit Pflichtschulabschluss mangle es wiederum an Grundkompetenzen.

Dass wegen der Pandemie auch noch die Aufstiegsklauseln geändert wurden und Schüler mit mehreren negativen Noten aufsteigen können, hält Zummer für ein falsches Signal: „Schule hat den Auftrag, Jugendliche auf ihr späteres, selbstbestimmtes Leben vorzubereiten. Indem sie auch mit negativen Noten aufsteigen können, nimmt man ihnen diese Chance.“ Eigentliche Schulabbrecher bleiben so länger im System und verlieren Jahre im Beruf.

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Zummer ist für einen Kulturwandel. Sein Vorschlag: über Projektarbeiten an Schulen die Berufskompetenz Jugendlicher fördern und Lehrpläne laufend an aktuelle Berufsbilder anpassen. So sollen Jugendliche eine Vorstellung bekommen, welche Ausbildungswege es gibt. Siemens forciert und bewirbt etwa das Modell der dualen Ausbildung – also Lehre mit begleitendem Studium – um direkt im Betrieb Leistungsträger auszubilden.

Lehre via Distance Learning

Die Ausbildung an sich hat Siemens auch wegen Corona noch stärker digitalisiert. Man ist auf ein hybrides Lernmodell umgestiegen, bestehend aus Distance Learning und Präsenzphasen.

Fürs virtuelle Lernen erhalten die Lehrlinge technische Endgeräte und Zugangsdaten zum Unternehmen. Ein wichtiger Prozess, meint Zummer: „Der Jugendliche muss sehen: Was er tut, hat nicht nur schulischen Charakter, sondern bringt auch dem Unternehmen etwas.“ Das hybride Lernmodell werde man jedenfalls auch in Zukunft beibehalten, bestätigt Zummer: „Wir haben unser Ausbildungsziel heuer erreicht und in Pandemie-Zeiten ganz normal unsere Abschlussprüfungen durchgeführt.“