Ist Platz am österreichischen Arbeitsmarkt?
Der Arbeitsmarkt steckt seit Monaten in der Krise, so auch im Mai, als die Arbeitslosenquote erneut stieg. Bei 8,6 Prozent lag sie laut Arbeitsmarktservice (AMS). Die hohe Arbeitslosigkeit und das fehlende Wirtschaftswachstum, dazu die ungelöste Flüchtlingsproblematik – all das heizt die Diskussion um Zuwanderung an. "Ausländer nehmen uns die Jobs weg", skandieren manche Politiker seit Jahren. Doch wären die Probleme gelöst, würde Österreich keine Zuwanderer mehr aufnehmen? Könnte sich Österreich dem globalisierten Markt, den Migrationsströmen, der Menschlichkeit entziehen? Sich isolieren?
MigrantInnen sind in Österreich in hohem Maße komplementär – sie ergänzen Einheimische.
Ein Blick auf die Fakten zeigt: Der Arbeitsmarkt ist hochkomplex und funktioniert ohne Zuzug nicht, Zuwanderung erhält ganze Branchen. Die Verdrängung von Arbeitskräften findet nur bedingt statt. Die Jobchancen für Zuwanderer sind schlecht. Und die, die Österreich sucht, wollen nicht kommen.
Ein Arbeitsmarkt für alle?
Rund 4,1 Millionen Menschen waren im Jahresschnitt 2014 erwerbstätig. 13 Prozent waren ausländische Staatsbürger. Breiter gefasst ist die Definition "mit Migrationshintergrund" – das sind laut Integrationsfonds Menschen, deren Eltern im Ausland geboren sind, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das trifft auf rund 20 Prozent der Erwerbstätigen zu.
Würde die Wirtschaft brummen, wäre die Diskussion ums Wegnehmen und Verdrängen vielleicht hinfällig. Doch in schlechten Zeiten? Die Tatsache, dass die Arbeitslosenzahlen unter den Österreichern wesentlich weniger stark steigen als unter den ausländischen Staatsbürgern – plus 4 Prozent Arbeitslose Inländer Ende Mai 2015 im Vergleich zum Vorjahrjahresmonat versus plus 15,2 Prozent bei Ausländern –, wird als Zündstoff verwendet. Denn dann kommt der Anspruch auf Sozialleistungen ins Spiel: derzeit wird diskutiert, ob die Auszahlung stärker an die Einzahlung gekoppelt werden soll.
Generell sind auf dem Arbeitsmarkt alle Niedrigqualifizierten von Arbeitslosigkeit gefährdet, weil die Jobs hier zunehmend wegbrechen. Wirtschaftsforscherin Gudrun Biffl: "Österreich hat nicht ausreichend in Bildung investiert. In der Folge steigt die Arbeitslosigkeit von Menschen mit niedrigen Qualifikationen, weil das Angebot an Arbeitskräften die Nachfrage konjunkturell bedingt übersteigt." Ein weiterer Grund für den Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Niedrigqualifizierten sei die Zuwanderung aus den benachbarten EU-Mitgliedsstaaten nach dem Fall der Übergangsregelungen.
Zuzug, woher?
Die Statistik zeigt: Seit Jahren steigt der Zuzug aus dem Ausland. Kamen 2010 insgesamt 112.691 Menschen nach Österreich, waren es 2014 170.115. Die Abwanderung ist hingegen nicht so stark gestiegen. Der Großteil, 62 Prozent, kam 2014 aus EU- oder EWR-Staaten. Zahlenmäßig waren Rumänen am stärksten vertreten, gefolgt von Ungarn und Deutschen. Die Gründe für die Zuwanderung sind meist: Arbeits- und Bildungsmigration, die gute Lebensqualität in Österreich, hohe Sozialstandards. Neuerdings auch Asyl, die Zahl der Asylwerber hat stark zugenommen. Von Jänner bis April 2015 wurden 14.225 Asylanträge in Österreich gestellt – um 158,7 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2014. Die größte Gruppe der Asylwerber sind Syrer, die vor dem Bürgerkrieg fliehen.
Völlig unterschätzt wird in der Diskussion die Zuwanderung von ausländischen Studierenden, so Faßmann. Eine Untersuchung der Statistik Austria zeige, "dass die Majorität der Deutschen, die in Österreich studieren, drei Jahre nach dem Abschluss immer noch hier ist."
Konkurrenz oder nicht?
Migranten finden tendenziell in niedrigbezahlten Branchen Jobs: 43 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund sind in einem Arbeiterberuf tätig, bei den autochthonen Österreichern (Menschen ohne Migrationshintergrund) sind es nur 22 Prozent. Der Tourismus hat den größten Migranten-Anteil mit 38,2 Prozent, gefolgt von Gebäudereinigung und Leiharbeit mit etwa 37 Prozent.
Wenn Leute hier geboren sind, ist es zynisch zu sagen, sie nehmen Österreichern Jobs weg.
Dass Zuwanderer österreichische Staatsbürger vom Arbeitsmarkt verdrängen, trifft nicht zu, sagen Grudrun Biffl und Heinz Faßmann. Biffl: "MigrantInnen sind in Österreich in hohem Maße komplementär – sie ergänzen Einheimische." Es sei eher so, dass besser qualifizierte Zuwanderer die schlechter Qualifizierten bereits ansässigen verdrängen. Sie betont, dass Zuwanderer sogar sicherstellen, dass bestimmte Tätigkeiten in Österreich wettbewerbsfähig bleiben. "Die Forschung konnte klar nachweisen, dass Migranten immer dort eingesetzt werden, wo es kein ausreichendes heimisches Arbeitsangebot gibt, das zu den gängigen Arbeitsbedingungen diese Tätigkeiten ausüben will." So etwa im Gesundheitsbereich, der ohne die Pflegekräfte aus dem Ausland, aber auch zunehmend ohne migrantische Ärzte, oder am anderen Qualifikationsende die Reinigungskräfte, nicht die derzeitige Versorgungsqualität halten könne."
Sabine Putz, die Leiterin der Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation des AMS Österreich, bringt ein anderes Beispiel: "In West-Österreich arbeiten bereits alle Österreicher im Tourismus, die es sich vorstellen können – und es sind zu wenige. Doch sie relativiert: "In gewissen Bereichen sind Zuwanderer vielleicht eine Konkurrenz für Österreicher, gerade in den Hilfstätigkeiten und wohl auch in gewissen Mangelberufen." Es gäbe Hinweise, dass sie zu anderen (günstigeren) Kollektivverträgen beschäftigt werden.
Chancen für Zuwanderer
Die Jobchancen für Zuwanderer sind mäßig: Studien belegen, dass Migranten diskriminiert werden. Ein Viertel der Zuwanderer fühlt sich zudem unter ihrer Qualifikation beschäftigt, zeigt die einzige Studie dazu aus 2008. Für Heinz Faßmann ist das der "Preis der Arbeitsmigration". Um auf einem fremden Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können, müsse man tiefer greifen. "Nicht nur rein formale Qualifikationen spielen eine Rolle, auch soziales Wissen und Sprachkenntnisse. Dafür muss man in die Aufenthaltsdauer investieren", sagt er.
Der Soziologe Kenan Güngür gibt zu Bedenken, dass Zuwanderer zudem weniger Netzwerke haben als Österreicher, auch dadurch würde eine Benachteiligung entstehen. Doch ein Teil der Zuwanderer hat den sozialen Aufstieg geschafft. Das würde die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durchaus verschärfen, meint Güngör. Aber: "Wenn Leute hier geboren sind, aufgewachsen sind, ist es zynisch, zu sagen, sie nehmen den Österreichern noch Jobs weg." Spätestens wenn Migranten Unternehmen gründen und damit Arbeitsplätze schaffen, "ist das ein Investment ins Wirtschaftswachstum."
Wer kommen soll
Laut Gudrun Biffl zieht der österreichische Arbeitsmarkt vor allem ausländische Arbeitskräfte im unteren und mittleren Qualifikationsbereich an. Hoch qualifizierte Arbeitskräfte bleiben Österreich hingegen eher fern: sie finden anderswo bessere Karrieremöglichkeiten und bessere Bezahlung.
Besser qualifizierte Zuwanderer verdrängen die schlechter qualifizierten.
Genau diese Hochqualifizierten aber sucht Österreich so dringend – etwa Wissenschafter und Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschafter oder Techniker. Auch qualifizierte Fachkräfte in Mangelberufen werden gesucht – zum Beispiel Dreher, Fräser, Maschinenbauer, Krankenpfleger. Sie haben in Österreich auch kein Problem einen Job zu finden. Den Bedarf an diesen Fachkräften will man mit der Rot-Weiß-Rot-Card decken. In der Praxis hat sie bisher versagt – wegen der überbordenden Bürokratie für Firmen.
Österreich ist im EU-Ranking zur Arbeitslosigkeit von Platz 1 auf 3 abgerutscht. Um nicht weiter zurückzufallen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss in Bildung investiert werden – in allen Bevölkerungsgruppen.
Uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt
Er gilt für EU- und EWR-Bürger (außer Kroaten), für anerkannte Flüchtlinge, für Inhaber einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ (sie erhalten RWR-Card-Besitzer, wenn sie mind. 10 von 12 Monaten einen Job hatten), Inhaber einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ (gute Deutschkenntnisse oder Job) und mit dem „Aufenthaltstitel Familienangehöriger“. Nach fünf Jahren Aufenthalt und Erfüllung der Integrationsvereinbarung erhalten Drittstaatenangehörige den „Daueraufenthalt-EU“ – und damit vollen Zugang zum Arbeitsmarkt.
Beschäftigungsbewilligung
Um Zuwanderer aus Drittstaaten beschäftigen zu können, muss der Arbeitgeber eine Beschäftigungsbewilligung beantragen. Sie gilt für den konkreten Job für ein Jahr und muss danach verlängert werden. Arbeitgeber müssen laut Gesetz die Arbeitsmarktlage prüfen – ein Ausländer darf den Job nur bekommen, wenn kein Inländer oder ein Ausländer mit Arbeitsgenehmigung verfügbar ist. Für Asylwerber wird die Beschäftigungsbewilligung für sechs Monate in der Saisonarbeit (Landwirtschaft, Gastgewerbe) erteilt.