Rodel-Olympiasieger Gleirscher: "Keine Marcel-Hirscher-Dimensionen"
Von Christoph Geiler
"Pyeongchang." David Gleirscher muss auf der Stelle lachen. Jetzt ist es ihm schon wieder passiert. Eigentlich wollte er gerade über den Eiskanal der Winterspiele in Peking sprechen, aber auf dem Weg nach China ist er gedanklich abgebogen und in Südkorea gelandet. "Ich habe in diesem Winter alles Pyeongchang untergeordnet", sagt Gleirscher, um sich sofort selbst zu korrigieren. "Ah, Peking natürlich. Das passiert mir dauernd."
Wer kann es dem 27-jährigen Kunstbahnrodler aber auch verdenken, dass ihn regelmäßig die Vergangenheit einholt. Sein Name wird immer mit Pyeongchang verbunden sein, wo der Stubaier vor vier Jahren überraschend Olympiasieger im Einsitzer wurde. Als völliger Außenseiter, der vor den Olympischen Spielen noch kein Weltcuprennen gewonnen hatte. Ja, von diesem David Gleirscher gab es bis zu seiner Fahrt zur Goldmedaille nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag.
Es sei danach schon einiges auf ihn eingeprasselt, erzählt David Gleirscher. "Aber wir reden hier immer noch vom Rodeln. Das hat bei mir keine Marcel-Hirscher-Dimensionen angenommen."
Auch wenn er gerade in den Tagen vor dem am Samstag beginnenden Einsitzer-Bewerb als Titelverteidiger ein gefragter Mann war. Der Olympiasieger von 2018 sieht sich selbst nicht in der Favoritenrolle. Zu durchwachsen war die bisherige Saison, zu fehlerhaft waren seine Läufe, zu oft kam er auf der Suche nach der schnellsten Linie vom Kurs ab. Im Training auf der Olympiabahn in Yanqing hatte der 27-Jährige einmal auch einen Sturz fabriziert.
Schlüsselstelle
Passiert ist das Missgeschick in der berüchtigten Kurve 13, wo es den Tiroler schon in der Weltcupwoche im November zwei Mal vom Schlitten geworfen hatte. Diese tückische Passage, darüber sind sich alle Rodler einig, wird richtungsweisend im Kampf um die Medaillen. "In der Kurve 13 kann sich das Rennen entscheiden. Es wird nicht einfach, da vier Mal fehlerfrei durchzukommen."
Hey, du bist Olympiasieger, du hast schon bewiesen, dass du es kannst. Das nimmt dir keiner mehr weg"
über den Druck in China
Und genau das ist ja auch die große Herausforderung für die Kunstbahnrodler bei Olympia. Im Gegensatz zum Weltcup wird der Sieger in vier statt in zwei Läufen ermittelt. Da ist nicht nur Konstanz, sondern auch Nervenstärke gefragt, wenn in der Nacht zwischen den Läufen bei den Rodlern das große Kopfkino einsetzt.
David Gleirscher sieht es als großen Vorteil, dass die Medaillenhoffnungen nicht nur auf seinen breiten Schultern ruhen. Mit seinem jüngeren Bruder Nico und Routinier Wolfgang Kindl gibt’s zwei weitere österreichische Rodler, die in diesem Winter bereits einige Erfolge einfahren konnte. Kindl reiste als Europameister nach China und bewies seine Hochform mit einer Bestzeit im Abschlusstraining am Freitag.
Das macht es auch für David Gleirscher in Peking einfacher. Und wenn der Druck doch einmal zu viel wird, ruft er sich Pyeongchang 2018 in Erinnerung. "Ich sage mir: Hey, du bist Olympiasieger, du hast schon bewiesen, dass du es kannst. Das nimmt dir keiner mehr weg."