Fall für zwei: Wer nutzt den Ausnahmezustand in der Formel 1?
Blanker Hohn oder guter Wille? Die Intension war nicht sofort erkennbar, als man am Freitag, dem ersten offiziellen Renntag der Formel-1-Saison 2020, die Einfahrt zum Red-Bull-Ring sah: „Willkommen Rennfans“ war da zu lesen. Dahinter: Eisengitter, Absperrungen, Kontrollpunkte, Hygienestationen. Wer keine Akkreditierung vorweisen konnte, kam gar nicht so weit. Bei der Ortseinfahrt nach Spielberg war für die meisten schon Schluss.
Dennoch ist die Vorfreude auf den ersten Grand Prix der vermutlich merkwürdigsten Saison der 70-jährigen Renngeschichte nicht nur in der obersteirischen Gemeinde groß. Organisatorisch lief bisher alles rund. Sportlich folgt die erste echte Standortbestimmung am Samstag im Qualifying (15 Uhr/live ORF1, RTL, Sky Sport).
Mit ganz großen Überraschungen im großen Rennen um den WM-Titel wird nicht zu rechnen sein. Neben Titelverteidiger Lewis Hamilton wird immer wieder Red-Bull-Star Max Verstappen als Geheimfavorit genannt. Die Ferrari-Männer haben bestenfalls Außenseiterchancen. Das spricht für und gegen die Titelanwärter ...
Lewis Hamilton
Sieben Rennsiege fehlen dem Briten noch, um zu Rekordmann Michael Schumacher (91) aufzuschließen. Gelingt die Bestmarke heuer, ist ihm der siebente WM-Titel (ebenfalls Rekord) nicht zu nehmen. Denn derzeit sind gerade einmal acht Saisonrennen bestätigt. Ob die, für die Erfüllung der TV-Verträge nötigen 15 angepeilten Grands Prix bis Dezember zustande kommen, ist weiter unklar. Was sich nach dem ersten Trainingstag bereits sagen lässt: Hamilton hat auch heuer von Mercedes einen schnellen Dienstwagen zur Verfügung gestellt bekommen. Die zuletzt geringe Fehlerquote im eingespielten Team spricht ebenfalls für den 35-Jährigen.
Max Verstappen
Der Niederländer gilt als erster Herausforderer des Titelverteidigers. Ob das Gesamtpaket Mensch/Maschine aber so ausgereift ist, wie jenes bei Hamilton und Mercedes, werden die ersten Rennwochenenden zeigen. Der Honda-Motor soll jedenfalls endlich auf Augenhöhe mit dem Silberpfeil-Triebwerk sein. Verstappen selbst gibt sich angriffslustig: „Ich gehe immer mit der gleichen Einstellung, sonst wird es ein Desaster.“
Soll heißen: Nur der Sieg zählt. Doch mit bereits 102 Grand-Prix-Starts bringt der erst 22-Jährige jede Menge Erfahrung mit. Die Reife erkennt auch Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko: „Er weiß, dass er nicht mehr jedes Training gewinnen muss. Das war anfangs mitunter oft ein Problem.“ In der vergangenen Saison ging die Ausfallquote deutlich zurück: Neun Podestplätzen standen zwei Ausfälle gegenüber.
Ferrari
Vielmehr als der Titel „sentimentaler Favorit“ bleibt für die Scuderia nicht übrig. Nach den Korrekturen beim Motor – die Regelhüter hatten gegen Ende der Saison 2019 Unregelmäßigkeiten erkannt – scheinen Mercedes und Red Bull außer Reichweite. Während die beiden Teams auch aerodynamische Verbesserungen am Auto präsentierten, hat Ferrari sein erstes Update erst für Saisonrennen drei (Budapest) angekündigt.
Zudem brodelt es im Team. Sebastian Vettel spart nach seiner Ausbootung ab 2021 nicht mit Kritik, obwohl der Deutsche gestern erklärte: „Nachtreten ist nicht meine Art und auch nicht mein Ziel.“ Groß Schützenhilfe auf der Rennstrecke braucht sich Charles Leclerc aber wohl auch nicht erwarten. Dass Vettel zudem nicht mehr in die technische Detailarbeit eingebunden sein wird, ist kein Vorteil. Der Routinier war es, der zuletzt die Entwicklungsarbeit am Rennwagen vorangetrieben hatte.