"Spalten oder gestalten?": Nehammer läutet Vorwahlkampf und "Jahr der Bewährung" ein
Begrenzt von einer Österreich- und einer EU-Fahne prangt er in schwarzen Lettern an der Wand: "Der Österreichplan" von Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer, dessen Inhalte seit Tagen sukzessive an die Öffentlichkeit gelangt sind. Die politischen Mitbewerber sparen im Vorfeld der ÖVP-Veranstaltung nicht mit Kritik.
Ganz anders die Stimmung in Wels Freitagnachmittag. Knapp 2.000 Funktionäre und Sympathisanten seien gekommen, rund 500 mehr als veranschlagt.. Sie begrüßen Nehammer mit Standing Ovations. Darunter fast alle ÖVP-Regierungsmitglieder, amtierende und ehemalige Landeshauptleute.
Doch ehe der Kanzler beginnt, sind Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer, ÖVP-Klubchef August Wöginger, Generalsekretär Christian Stocker und Staatssekretärin Claudia Plakolm am Wort. Besser am Drücker. Denn die Conference unter den ÖVP-Politikern beginnt mit einer "Millionenshow"-Frage: "Wer hat den Lockdown als Erster gefordert?" Die Antwort gibt nicht etwa ein Funktionär, sondern eine Videoeinspielung: Herbert Kickl. Hernach beginnt Wöginger, die Lehren aus Corona zu ziehen und gegen den FPÖ-Chef verbal ins Feld zu ziehen. Gegen dessen Corona-Politik und dessen Amtszeit im Innenministerium. Stocker tut es Wöginger gleich und übt Minuten lange Kritik am selbsternannten "Volkskanzler" Kickl, der für Stocker ein "Versager" ist und ein "Putin-Versteher".
Dann arbeitet sich Plakolm an SPÖ-Chef Andreas Babler und dessen Vorstoß der 32-Stunden-Woche ab. Weiter geht es mit dem Sora-Institut, dem Auszählungsdesaster am Parteitag und den günstigen Verkauf von Kleingärten.
Erst dann kehren die ÖVP-Politiker auf der Bühne die eigenen Leistungen hervor - wie die Abschaffung der Kalten Progression beispielsweise. Und Wöginger rechnet vor, überschreit sich fast dabei und spart nicht mit Witzen, die mit Applaus quittiert werden. Eine Broschüre, die in Wels aufliegt, möge man sich mit nach Hause nehmen. "Als Nachtlektüre, nicht Abendlektüre", denn am Abend sei man "bei die Leut". Jeder Funktionär möge künftig immer sagen, wem man diese Erfolge zu verdanken habe. "Kanzler Karl Nehammer". Wöginger ist sich sicher am Ende der Wahl "des wird woas".
Klimaklebern können die ÖVPler nichts abgewinnen, wie Jugendstaatssekretärin Plakolm betont. Ihre Devise sei: "Anpacken statt anpicken" und "Klimaschutz mit Hausverstand". Dazu gehöre auch die Beibehaltung der Pendlerpauschale. Dann lässt die ÖVP via Video Experten, Menschen aus der Bevölkerung sprechen, was sie sich von Österreich erhoffen und erwarten.
Die Schlagworte Leistung, Familie und Sicherheit werden eingeblendet, Österreich als Heimatland, "das schönste Land der Welt" inszeniert ehe Kanzler Karl Nehammer weit nach der avisierten Zeit kurz nach halb fünf die Bühne betritt.
Erneut Standing Ovations in der Messehalle in Wels. Nehammer beginnt mit der Begegnung mit einem jungen Landwirt. Ob er den Hof seiner Eltern übernehmen will, habe der junge Mann ihn gefragt. Nehammer wolle ihm nichts sagen, er wisse sehr gut selbst, wofür er brenne.
Gleich einer Metapher schließt der ÖVP-Chef an: "2024 ist das Jahr der Entscheidung". Es gehe darum, "Haltung zu haben", denn diese könne Halt geben. Es gehe um "redliche Politik" und darum, "Unpopuläres zu tun, weil es richtig ist für das Land und die Menschen". Es gehe darum, keine Kartenhäuser aufzubauen.
Es gehe, das wiederholt Nehammer, um Redlichkeit und um sehr viel. Mit politischen Mitbewerb gehe es darum, das Schlechte aus den Menschen herauszuholen. Die ÖVP sei angetreten, "das Gute herauszuholen". Die Volkspartei wolle eine "helle Zukunft" schaffen für Menschen, die sich in den Krisen ja auch bewährt hätten.
Ökonomie und Ökologie würden einander nicht ausschließen, sondern bedingen, beginnt Nehammer seinen "Österreichplan" zu präsentieren. Als Bundeskanzler erfahre er im Ausland immer wieder, welche Qualität in Österreich produziert wird. Nun sei es aber Zeit, wegzukommen von der Interventionitis und mehr in Österreich zu investieren. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, die Wettbewerb zulassen. "Jeder 2. Arbeitsplatz hängt ab vom Export" und "die Lohnnebenkosten müssen runter, damit Österreich wettbewerbsfähig bleibt". Zudem gelte es, "Vorschriften zu reduzieren, damit Wirtschaft möglich ist".
Im Ausland gelte schon die Devise, so der ÖVP-Chef: "Die Amerikaner sind innovativ, die Chinesen sind produktiv, die Europäer sind regulativ". Das müsse sich ändern. Leistung müsse sichtbar und spürbar werden. "Alle Steuern auf Überstunden werden abgeschafft", ruft Nehammer unter Veweis auf den "Österreichplan". Man müsse die belohnen, die Vollzeit arbeiten.
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Dann streift Nehammer im Schnelldurchlauf, was ihm wichtig ist - der Ausbau der Infrastruktur, wozu auch der Ausbau der Straße gehört und das Setzen auf e-fuels.
Als nächsten wesentlichen Punkt nennt der ÖVP-Chef Familie, den Ausbau der Kinderbetreuung und die Möglichkeit der Wahlfreiheit. "Demokratie braucht Bildung", schließt er an Bildung- und Ausbildung. Es gelte den Nutzen von Apps zu begreifen, nicht nur abhängig davon zu sein.
"Vier Wände der Zukunft"
Ähnlich seiner ersten Rede zur "Zukunft der Nation" im Frühjahr 2023 attestiert Nehammer Österreich nicht nur ein "Autoland" zu sein, sondern auch eines, in dem "Eigentum wieder leistbar" werden muss. Man müsse wissen, wie die "vier Wände der Zukunft" aussehen können. Sein Ziel bis 2030: 500.000 Menschen mehr, die sich bis dahin ein Eigenheim geschaffen haben.
Das Gesundheitssystem will er verändern. Das Medizinstudium solle an eine Berufspflicht in Österreich gekoppelt werden, insgesamt 800 neue Kassenarztstellen geschaffen werden. Dem Thema "Sicherheit" wird Nehammer viel Platz einräumen. Es gehe um Sicherheit und Verantwortung, den Kampf gegen Radikalisierung und Antisemitismus. "Antisemitismus ist ein Lackmustest für Demokratie". Bei "Terror, der Angst und Schrecken verbreitet, gibt es keine Neutralität", Umso wichtiger sei die EU. "Danke Reinhold, dass Du Dir das antust", ruft Nehammer Reinhold Lopatka, EU-Spitzenkandidat der ÖVP, zu. Es gehe darum, "Europe first" durchzusetzen, wenn es um Markt und Wirtschaft gehe.
"ÖVP als Inhaltspartei"
Nehammer werbe für die "Zuwanderung in den Arbeitsmarkt", deshalb sei er erst für Sozialleistungen erst ab 5 Jahre. Er stehe für eine Leitkultur ein, die man sich nicht von "linken Träumern oder Radikalen" wegnehmen lassen dürfe.
"Volkspartei ist immer auch eine Inhaltspartei", sagt Nehammer gen Ende. Es werde ein "Jahr der Bewährung, der Entscheidung" zwischen "demjenigen, der sich in der dunklen Vergangenheit verliert" (gemeint Kickl) und ihm, "der an die Zukunft des Landes glaubt" - ohne "Kickl" dabei je namentlich zu nennen. Es gehe darum: "Gestalten oder spalten?", ruft Nehammer, hält sein rechte Hand zum Herz, verbeugt sich und geht dann unter stehenden Ovationen zurück in den Saal. Ehe gemeinsam die Bundeshymne gesungen wird.