ÖBAG als türkise Abkehr von der Schüssel-Doktrin
Industriepolitik. Wer formuliert in dieser Regierung eigentlich die Industriepolitik? Die Kompetenzen sind gesplittet: Für Standortpolitik ist Margarethe Schramböck zuständig. Für einen sehr wichtigen Standortfaktor – das Vorhandensein qualifizierter Mitarbeiter – zeichnet jedoch Arbeitsminister Martin Kocher verantwortlich. Die Transformation zu klimagerechtem Produzieren obliegt Leonore Gewessler. Die staatliche Industriebeteiligung ÖBAG ressortiert wiederum zu Finanzminister Gernot Blümel, in dessen Ressort es allerdings keine industriepolitische Abteilung gibt.
Die ÖBAG wird von den Türkisen als volkswirtschaftliches Instrument verstanden, wo – formale Zuständigkeit hin oder her – Kanzler Sebastian Kurz die Grundrichtung vorgibt. Und da unterscheidet sich Kurz durchaus von seinen ÖVP-Vorgängern.
Der Paradigmenwechsel weg von Wolfgang Schüssels Slogan „Mehr privat, weniger Staat“ spiegelt sich ganz klar in der 2019 neu gegründeten Staatsholding ÖBAG wider. Sie unterscheidet sich wesentlich von der Vorgängergesellschaft ÖIAG, die de facto eine Privatisierungsagentur war und deren Auftrag es war, die Schulden der ehemaligen Verstaatlichten Industrie durch Verkäufe abzubauen.
Die ÖBAG kann zwar auch privatisieren, aber das ist für Türkis kein Thema.
Die Holding kann ihre Anteile an den bestehenden Unternehmensbeteiligungen (OMV, Telekom, Post, BIG, Casinos, Verbund) aufstocken. Sollten dabei die Grenzen von 25, 50 oder 75 Prozent überschritten werden, braucht es aber einen Regierungsbeschluss.
Anders als die alte ÖIAG kann die ÖBAG an anderen Unternehmen vorübergehend Minderheitsbeteiligungen eingehen, wenn diese für den Wirtschaftsstandort „von besonderer Bedeutung“ sind. Auch die Übernahme von Krediten und Garantien ist möglich. Dafür braucht es ebenfalls einen Regierungsbeschluss.
Eine Beteiligung an MAN ist de facto nicht möglich. Der Einstieg bei Unternehmen, die sich in der Krise befinden, ist gesetzlich ausgeschlossen. Da sind das Eigenkapitalersatzgesetz und auch das EU-Beihilfenrecht vor.
Allerdings wählt Oberösterreich heuer, und mit Thomas Stelzer steht ein ÖVP-Landeshauptmann auf dem Prüfstand. Das könnte erfinderisch machen.