Oskar Deutsch: "Strache hat eine Chance vertan"
KURIER: Herr Präsident, aus Anlass der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Jänner 1945 durch die Rote Armee ist dieser Tag von der UNO ab 2005 zum internationalen Holocaust-Gedenktag ernannt worden. Was erwarten Sie sich für ein Gedenken von Österreich?
Oskar Deutsch: Auschwitz ist Symbol für den industriellen Massenmord. Die Shoah hat nicht in den Gaskammern begonnen. Am Anfang war der Hass. Aufrichtiges Gedenken heißt, an die Opfer zu erinnern, um damit auch der Zukunft zu dienen. Für Juden ist die Erinnerung an die Shoah immer präsent. Unsere Großeltern, Eltern und Freunde sind ermordet worden. Für mich ist wesentlich, dass das Gedenken keine jüdische Angelegenheit ist. In Israel heulen am Gedenktag Jom HaShoah die Sirenen. Für eine Minute steht das ganze Land still. Das wäre auch in Österreich und Deutschland würdevoll.
Es gibt immer weniger Überlebende von Ausschwitz, Mauthausen oder Birkenau, die erzählen können, wie es wirklich war. Wie kann ein lebendiges Gedenken aussehen, wenn es keine Stimme mehr gibt?
Wir sollten jede Minute nützen, in der es diese Stimmen noch gibt. Dass vom Holocaust ein paar Seiten im Geschichtsbuch bleiben, das darf und kann nicht sein. Die Shoah war ein einmaliges, furchtbares Ereignis. Wir sind alle verpflichtet, daraus für die Zukunft zu lernen und neue Wege der Vermittlung zu finden, online und offline.
Holocaust-Überlebende und Historiker warnen, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Teilen Sie diese Befürchtung?
Solange Israel existiert, wird es keine Shoah geben. Und wer „Nie wieder!“ sagt, der muss auch für die Existenz des Staates Israel einstehen. Heute haben wir auch ein vereintes Europa. Die EU ist – neben der Existenz des Staates Israel – ein Garant dafür, dass es nicht noch einmal in diese Richtung gehen kann. Der steigende Antisemitismus und der Terrorismus sind ebenso besorgniserregend wie der Zulauf zu Populisten.
Gibt es aktuelle Daten zum Antisemitismus in Europa?
Eine Studie der EU-Grundrechte-Agentur, die im Dezember veröffentlicht wurde, zeigt, dass das Wort „besorgniserregend“ nicht zutreffend ist. Es ist eine Katastrophe. In 12 Ländern, darunter auch in Österreich, wurde untersucht, wie Juden sich im Alltag fühlen, wie gefährdet sie sind. Die Zahlen sprechen für sich, aber gegen Europa. Der gestern veröffentlichte Eurobarometer zeigt, dass fast 50 Prozent der gesamten Bevölkerung Antisemitismus für ein großes Problem hält. Viele lesen darüber in den Zeitungen, aber wie spüren den Antisemitismus hautnah.
Was spüren Sie?
Früher gab es anonyme Briefe oder Anrufe. Heute nennen Leute ihre Namen, schreiben ihre Adressen auf Kuverts und posten mit ihren Klarnamen. Heute ist man offen antisemitisch. Glücklicherweise sind wir in Kooperation mit der Polizei in der Lage physische Angriffe zu verhindern oder abzuwehren.
Nimmt ein spezifisch motivierter Antisemitismus zu? Immer wieder ist von mehr muslimischem Antisemitismus die Rede.
Ja, der muslimische Antisemitismus steigt. Die Zuordnung der ideologischen Herkunft ist erstens nicht immer möglich und zweitens wird damit Antisemitismus oft instrumentalisiert. Die Arten von Antisemitismus, der rechte, der linke, der auch stark gegen Israel gerichtet ist, und der muslimisch motivierte Antisemitismus steigen. Der muslimische Antisemitismus kommt nicht nur von Flüchtlingen, wie es oft heißt, sondern auch von türkischstämmigen Österreichern, die schon lange hier leben und von Erdogan beeinflusst sind. Aber auch die sind nicht repräsentativ für die Mehrheit der Türken in Österreich. Unabhängig davon: Ich will die verschiedenen Arten von Antisemitismus nicht gegeneinander ausspielen.
Anlässlich der EU-Wahl im Mai reden viele über ein mögliches Auseinanderdriften der EU. Vom Aufstieg der Rechtspopulisten, die ein „Europa der Nationen“ wollen. Von anderen, die die EU gar zerstören wollen.
Ich hoffe sehr, dass sich die etablierten Parteien durchsetzen und rechtsextreme Parteien nicht stärker werden. Die EU ist nicht perfekt, aber sie ist noch immer ein Friedensprojekt. Nationalismus führt weg von dieser Idee.
Sollte es einheitliche Gesetze in der EU geben, um Antisemitismus zu ahnden?
Die österreichische EU-Präsidentschaft hat einen Meilenstein gesetzt: Im Dezember einigten sich die 28 Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel auf eine Definition von Antisemitismus und gaben eine Erklärung für die Existenz und den Schutz jüdischer Gemeinden ab. Auch Israelhass ist von Definition erfasst. Die Sensibilität wurde geschärft. Jetzt müssen Taten folgen. Man sollte die Gesetze vereinheitlichen, aber auf einzelne Staaten und deren Traditionen Rücksicht nehmen.
FPÖ-Chef und Vizekanzler Strache hat in einer Rede 2018 versprochen, gegen Antisemitismus, auch in den eigenen Reihen, vorzugehen. Hat er für Sie Wort gehalten?
Was Strache gesagt hat, war richtig. Die Mitglieder des Kultusrates haben erwartet, dass nach der Rede Taten folgen. Das kam dann auch, aber verkehrt. Es gab an die 50 antisemitische oder neonazistische Vorfälle, seit die FPÖ in der Regierung ist. Fast nie gab es Konsequenzen. FPÖ-Politiker wie Herr Landbauer, der ja Auslöser für die Rede von Herrn Strache war, gehen kurz auf Tauchstation und werden nach ein paar Monaten wieder eingesetzt. Das ist alles andere als glaubwürdig. Strache hat eine Chance vertan.
Welche Tat der FPÖ wäre für Sie glaubwürdig?
Keine antisemitischen oder rassistischen Vorfälle mehr produzieren und sich dann auch noch hinter die Verantwortlichen stellen – das wäre ein Anfang. der FPÖ-Politiker haben einen bestimmten Background, viele sind in Burschenschaften. Hier gehört die Partei vielleicht reformiert.
Ist die von der FPÖ eingesetzte Historikerkommission ein Schritt in die richtige Richtung?
Das sagen manche. Unabhängige internationale Historiker wären ein guter Schritt. Zuletzt hat das Buch von Hans Henning Scharsach hat die Geschichte und den Ist-Zustand der FPÖ beleuchtet. Jetzt muss es Taten geben.
Aktuell wird diskutiert, einen Ethik-Unterricht für all jene einzuführen, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden, um Werte und Grundhaltungen zu lernen. Die Debatte mit entfacht haben die Morde an Frauen mit mutmaßlich muslimischen Tätern. Können Sie dem Ethik-Unterricht etwas abgewinnen?
Ich bin dafür, dass Kinder über alle Religionen lernen. Juden über Katholiken, Muslime über Protestanten, Buddhisten, etc. Ethikunterricht mit der Gewalt an Frauen, mutmaßlich begangen von muslimischen Männern, zu begründen, ist falsch. Man muss sagen, was ist, und auch kulturell bedingte Probleme ansprechen, aber hier werden hochsensible Dinge vermischt – und das darf nicht sein.