"Böswillig": SPÖ attackiert Brunner nach Milliardenhilfe für Wien Energie
Von Michael Hammerl
Böswilligkeit? Freude über ein Unternehmen in der Krise? Meuchelpropaganda? Die politische Auseinandersetzung zwischen SPÖ und ÖVP wird mit immer härteren Bandagen geführt.
Die Vorgeschichte: In den vergangenen Tagen war unklar, wie viel Geld die Wien Energie vom Bund benötigt, um weiter handlungsfähig zu bleiben. Die Forderungen variierten zwischen zwei bis sechs Milliarden Euro. Bund und die Stadt Wien – Eigentümer der Wien Energie – einigten sich auf Mittwoch vorerst auf eine Kreditlinie in Höhe von zwei Milliarden. Die Wien Energie benötigt das Geld für den Fall, dass die Gaspreise wieder in die Höhe schnellen. Dann muss sich für an der Börse abgeschlossene Derivategeschäfte höhere Sicherheitskautionen hinterlegen.
Ludwig: "Keine Affäre"
Ohne Milliardenspritze sei die Versorgungssicherheit für zwei Millionen Kunden nicht mehr gewährleistet gewesen – hieß es im Umlaufbeschluss des Wiener Stadtsenats am Mittwoch. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ist anderer Ansicht. Im Ö1-Morgenjournal meinte er, Wien Energie würde die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel wohl gar nicht brauchen. "Bis jetzt haben wir keinen Euro Steuergeld benötigt", wunderte sich Ludwig über die "große politische Resonanz". Die Causa Wien Energie sei "keine Affäre".
Dass Österreichs größter regionaler Energieversorger in finanzielle Nöte geraten könnte, deutete sich spätestens am 15. Juli an. Die Stadt Wien musste einen Schutzschirm in Höhe von 1,4 Milliarden Euro aufspannen, damit Wien Energie die Sicherheiten weiterhin hinterlegen konnte. Eine Information, die die Wiener SPÖ weitestgehend für sich behielt. Ludwig weist den Vorwurf der "Geheimniskrämerei" zurück, Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) sei sehr wohl informiert gewesen. Dann schnellten die Strom- und Gaspreise noch stärker nach oben, weitere Sicherheiten wurden benötigt. Diese konnte die Stadt Wien nicht mehr bedienen, Banken war das Risiko zu groß, blieb nur noch der Bund als Geldgeber.
Der stellte nach 72 Stunden Gesprächen und Verhandlungen zwei Milliarden zur Verfügung, die innerhalb von zwei Stunden abrufbar sind. Im Gegenzug erhält der Bund einen Posten im Aufsichtsrat. Zudem muss die Wien Energie ihre Handelsgeschäfte ab 2020 offenlegen.
Hat Leichtfried geheime Informationen?
Das politische Hickhack zwischen SPÖ und ÖVP hat sich trotz Einigung intensiviert. "Diese Situation ist nicht entstanden, weil spekuliert wurde. Diese Situation ist nicht entstanden, weil das Wirtschaftsmodell vielleicht das falsche war", relativierte der stellvertretenden SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried am Donnerstag bei einer Pressekonferenz die Vorgänge in der Wien Energie. Der Strompreise sei blitzartig in die Höhe geschnellt, das sei das Problem gewesen.
Und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) habe versäumt – wie Deutschland – einen Schutzschirm aufzuspannen. "Niemand kann vorhersehen, ob so etwas nicht noch einmal passieren kann", meinte Leichtfried. Brunner habe die Menschen in Österreich mit seinen Äußerungen jedenfalls verunsichert. Leichtfried habe sich auch des Eindrucks nicht erwehren können, dass sich Brunner über die Vorgänge bei der Wien Energie freue. Leichtfried spielte darauf an, dass Brunner meinte, die Wien Energie habe mutmaßlich spekuliert und sei wohl auch nicht unter den Schutzschirm nach deutschem Vorbild gefallen. "Lassen wir diese parteipolitischen Spielchen", sagte Leichtfried.
"Wenn die Probleme gottgegeben vom Markt gekommen wären, hätten wir noch zehn andere Unternehmen im deutschsprachigen Raum, mit ähnlichen Problemen. Haben wir aber nicht", sagte hingegen Walter Boltz, der ehemalige Vorstand der E-Control in der ZiB2. Es sei das Einmaleins des Managements, nie eine Verpflichtung einzugehen, die die Finanzkraft des jeweiligen Unternehmen übersteigt. Viele andere Unternehmen in ähnlichen Situationen hätten es anders gemacht und ihre Börsen-Aktivität zurückgefahren. Warum die Wien Energie ihre Volumina nicht zurückgefahren hat, verstehe er nicht. Leichtfried widersprach, wie auch schon SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im ORF-Sommergespräch am Montag, ohne konkrete Beispiel zu nennen: Auch andere österreichische Versorger seien betroffen. "Es gibt Informationen dazu. Hoffentlich wird alles gut gehen."
"Meuchelpropaganda"
Leichtfried wiederholte auch die Forderung nach einer Abschaffung des Merit-Order-Systems, also der Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis – was allerdings auf EU-Ebene geschehen muss.
SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter beklagte indes "Wien-Bashing", Brunners Äußerungen seien "böswillig" gewesen. Gar "Meuchelpropaganda" habe ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner betrieben. "Nur weil sich die ÖVP mit ihrer Politik in den vergangenen Jahren verspekuliert hat, versucht sie das größte Energieunternehmen Österreichs schlechtzureden, um der SPÖ zu schaden", polterte Matznetter.
"Täter-Opfer-Umkehr"
Sachslehner wies die Vorwürfe als durchschaubares Ablenkungsmanöver zurück. "Die Sozialdemokratie betreibt gerade eine Täter-Opfer-Umkehr, das ist nicht nur grotesk, sondern auch schlichte Realitätsverweigerung." Statt sich bei der Bundesregierung und Bundeskanzler Karl Nehammer für die rasche Lösung zu bedanken, werfe die Sozialdemokratie wieder einmal nur mit Dreck um sich. Führende Experten auf dem Gebiet hätten bestätigt, dass die Finanzierungslücke in Milliardenhöhe nicht innerhalb einer Nacht aufgrund der erhöhten Strompreise entstehen habe können. "Der Wien Energie-Skandal ist das Ergebnis fatalen Management-Versagens", stellte sie in einer Aussendung fest.