IS bekennt sich zu den Anschlägen in Afghanistan
Die Warnungen der USA und anderer Länder vor einem Anschlag der IS-Miliz in Kabul waren so eindringlich und konkret wie selten - nun sind bei mindestens zwei Explosionen vor dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt viele Menschen getötet und verletzt worden. Dort hatten sich am Donnerstag immer noch tausende Menschen vor den Toren des Flughafens gedrängt, um einen Platz in einem der letzten Evakuierungsflugzeuge westlicher Staaten zu bekommen.
Dann kam es zu den tödlichen Explosionen. Zunächst war unklar, wer hinter den Anschlägen steckt, wenige Stunden nach den Explosionen bekannte sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" auf ihrem Telegram-Account zu der Tat.
Der afghanische IS-Ableger
Der IS hatte 2014 weite Teile des Iraks und Syriens überrannt und ein "Kalifat" ausgerufen. Wenige Monate später schworen abtrünnige Mitglieder der pakistanischen Taliban-Organisation TTP dem damaligen IS-Anführer Abu Baqr al-Baghdadi die Treue. Zusammen mit Kämpfern aus Afghanistan gründeten sie den regionalen IS-Ableger Provinz Khorasan (ISIS-K). Anfang 2015 erkannte die Führung der Jihadistenmiliz den IS-Ableger Provinz Khorasan offiziell an.
Khorasan ist die historische Bezeichnung für eine Region in Zentralasien, die unter anderem Teile der heutigen Staaten Afghanistan, Pakistan und Iran umfasst.
Der ISIS-K konnte in Afghanistan vor allem in den nordöstlichen Provinzen Nangarhar und Qunar Fuß fassen. Nach Angaben von UN-Experten baute die Gruppe auch Schläferzellen in anderen Teilen des Landes, darunter Kabul, sowie in Pakistan auf. Die jüngsten Schätzungen zur Zahl der Kämpfer des IS-Ablegers schwanken zwischen 500 und mehreren tausend, wie aus einem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli hervorgeht.
Anschläge des IS in Afghanistan und Pakistan
Dem ISIS-K werden einige der blutigsten Anschläge der vergangenen Jahre in Afghanistan und Pakistan zur Last gelegt. Dabei wurden Zivilisten in Moscheen, Krankenhäusern und an anderen öffentlichen Orten getötet. Die sunnitischen Extremisten nehmen vor allem Muslime ins Visier, die sie als "Ketzer" betrachten, insbesondere Schiiten.
Im August 2019 bekannten sie sich zu einem Angriff auf Schiiten bei einer Hochzeit in Kabul, bei dem 91 Menschen getötet wurden. Die Gruppe wird auch hinter einem Anschlag im Mai 2020 auf eine Entbindungsstation in der afghanischen Hauptstadt vermutet, bei dem 25 Menschen getötet wurden, unter ihnen Neugeborene, Mütter und Krankenschwestern.
Kämpfer des IS-Ablegers verübten außerdem regelmäßig Massaker an Dorfbewohnern. Der Gruppe gelang es aber nicht, größere Gebiete in Afghanistan unter ihre Kontrolle zu bringen. Nach Einschätzung der UNO und der USA konzentrieren sie sich nun weitgehend darauf, mithilfe von Schläferzellen große Anschläge in Städten zu verüben.
Das Verhältnis des IS zu den Taliban
Obwohl es sich sowohl beim IS als auch bei den Taliban um sunnitische Extremisten handelt, bestehen zwischen beiden Gruppen Differenzen in religiösen und strategischen Fragen. In Erklärungen des IS wurden die Taliban als "Abtrünnige" bezeichnet. Beide Gruppen führten auch blutige Kämpfe gegeneinander, aus denen die Taliban weitgehend als Sieger hervorgingen.
Der IS übte auch scharfe Kritik an dem im Februar 2020 geschlossenen Abkommen der Taliban mit den USA, in dem Washington einen vollständigen Truppenabzug aus Afghanistan zusicherte. Die Taliban hätten damit die Ziele des Jihad verraten, erklärte der IS. Nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul erhielten die Islamisten Glückwünsche von verschiedenen jihadistischen Gruppen, nicht aber vom IS, der ankündigte, seinen Kampf fortzusetzen.
Die Warnungen
Nach US-Angaben bestand rund um den Kabuler Flughafen eine hohe Gefahr durch Anschläge von ISIS-K-Kämpfern. Die USA und mehrere andere westliche Länder warnten eindringlich davor, sich zum Flughafen zu begeben. US-Präsident Joe Biden sprach von einer "akuten und wachsenden Gefahr" von IS-Anschlägen auf Soldaten und Zivilisten.
Angesichts des für nächsten Dienstag vorgesehenen Abzugs der US-Truppen kündigten mehrere Länder an, ihre Rettungsmissionen für gefährdete Menschen in Afghanistan bereits am Donnerstag oder Freitag einzustellen. Die Taliban, die rund um den Flughafen ihre eigenen Kämpfer für Kontrollen installiert haben, lehnten eine Verlängerung des US-Abzugsdatums strikt ab.