Rechtsradikale "übernehmen" Lesbos und verprügeln Menschen
Mit einer Platzwunde am Kopf ist der Videojournalist Michael Trammer wütenden Rechtsradikalen entkommen. Seine Kameras hat der Mob offenbar ins Wasser geworfen. "Die Situation auf Lesbos hat sich in den letzten Tagen extrem zugespitzt. Als heute eines der Boote anlegen wollte, standen etwa hundert Menschen am Hafen, haben ,Geht zurück in die Türkei' gebrüllt und die Menschen mit Gegenständen beworfen", erzählt Trammer dem Tagesspiegel.
Laut ihm haben Rechtsradikale die Insel übernommen, das Anlegen von Booten mit Migranten verhindert, NGO-Mitarbeiter und Journalisten zusammengeschlagen. Widerstand von der lokalen Bevölkerung gebe es kaum: "Selbst die, die nicht mit den Rechtsradikalen sympathisieren, stimmen deren Aktionen mindestens stillschweigend zu, hat man den Eindruck." Die Küstenwache habe sich "nicht blicken lassen".
Der Spiegel bestätigt die Geschichte in einer Reportage: Als ein Flüchtlingsboot am Pier vor Anker gehen will, stehen dort Hunderte wütende Menschen. Sie singen die griechische Nationalhymne, hindern das Boot am Anlegen und errichten mit Ästen an der Küste Straßensperren. Dort halten sie zudem "Verdächtige" fest, verhören sie und lassen die Fäuste sprechen.
Flüchtlinge durchlöcherten eigenes Boot - Kleinkind ertrunken
Beim Untergang eines weiteren Schlauchbootes vor Lesbos ist am Montagvormittag ein Kleinkind ertrunken. Wie das griechische Fernsehen (ERT) berichtet, war das Opfer an Bord eines Schlauchbootes mit 48 Geflüchteten aus der Türkei gekommen.
Als die Migranten ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache sahen, durchlöcherten sie das Schlauchboot, um als Schiffbrüchige gerettet zu werden, hieß es. Die Küstenwache ist dann verpflichtet, die Menschen aufzunehmen und sie nach Griechenland zu bringen. Das Boot ging unter. Die Küstenwache habe die Flüchtenden geborgen, hieß es weiter. Für das Kind kam aber jede Hilfe zu spät, berichtete der Staatsrundfunk.
Am Sonntag und Montagmorgen sollen etwas mehr als 1.000 Migranten und Flüchtlinge aus der Türkei auf Lesbos, Samos und Chios angekommen sein - den meist betroffenen ägäischen Inseln.
Asylrecht ausgesetzt
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis hat am Sonntag das Asylrecht ausgesetzt: Ab sofort werde man für einen Monat keine Asylanträge mehr akzeptieren. Migranten, die es trotzdem nach Griechenland schaffen, sollen zurück in ihr Herkunftsland gebracht werden.
Nicht zuletzt diese Ankündigung dürfte Rechtsradikale auf Lesbos in ihrem Handeln bestätigt haben. Was jenes Boot im viralen Video betrifft, das nicht anlegen durfte: Es soll erst Stunden später von der griechischen Küstenwache zu einem anderen Hafen gebracht worden sein, schenkt man Journalisten vor Ort Glauben.
Athen fordert Frontex-Soforteinsatz
Griechenland hat indes umgehende Unterstützung durch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex beantragt. Ein entsprechendes Ersuchen Athens ging am Sonntag am Sitz der Behörde in Warschau ein. Für solche Fälle hat Frontex einen Reservepool von bis zu 1.500 Grenzschützern, die von den Mitgliedstaaten gestellt werden. Sie sollen binnen fünf Tagen vor Ort sein.
Soforteinsätze sind laut Frontex für EU-Länder vorgesehen, die an ihrer Außengrenze unter "außergewöhnlichem Druck", stehen. Dies gelte "insbesondere im Zusammenhang mit einer großen Zahl von Nicht-EU-Bürgern, die versuchen, illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einzureisen".
Schießübungen geplant
Einheiten der griechischen Armee werden heute, Montag, auf den Inseln im Osten der Ägäis umfangreiche Schießübungen durchführen. Dies berichtete das griechische Staatsfernsehen unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Athen. Die Übungen sind aus Sicht von Kommentatoren eine Reaktion Athens auf den Zuwachs von Migranten.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Freitag die Grenzen der Türkei Richtung EU für offen erklärt und damit eine neue Migrationswelle ausgelöst. Die Regierung in Athen hat alle seine Sicherheitskräfte in höchster Alarmbereitschaft versetzt, um illegale Grenzübertritte aus der Türkei zu stoppen. Laut UNO-Organisation für Migration harrten rund 13.000 Menschen bei Frost im Grenzgebiet aus.
Türkei agiere wie Schlepper
Von der griechische Seite der Grenze aus beobachteten Augenzeugen Montagfrüh, dass sich deutlich weniger Migranten auf der türkischen Seite des Grenzübergangs aufhielten. Nach Einschätzung von Reportern wollen die Menschen an anderen Stellen versuchen, über die Grenze nach Griechenland zu kommen. Andere hätten rund zwei Kilometer entfernt auf türkischer Seite kleine Zelte aufgeschlagen.
Athen hatte am Vorabend alle seine Sicherheitskräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt, um illegale Grenzübertritte aus der Türkei nach Griechenland zu stoppen.
Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas hatte am Vorabend der Türkei vorgeworfen, wie ein Schlepper zu agieren und Migranten dazu zu bewegen, nach Griechenland zu kommen. Athen wolle außerdem zusätzliche Hilfe seitens der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und Finanzhilfe bei der EU beantragen, hieß es.
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