Politik/Ausland

Russland verstärkt Beschuss: Explosionen in Lemberg, Angriffe auf Kiew

Tag 23 nach dem russischen Angriff: Russland hat seine Offensive in der Ukraine wieder verstärkt. Aus mehreren Städten des Landes wurde am Freitag Raketenbeschuss gemeldet, auch nahe der westukrainischen Großstadt Lemberg/Lwiw. Dort haben sich am Freitagmorgen heftige Explosionen ereignet. Wie Bürgermeister Andrej Sadowyj mittelte, schlugen mehrere russische Raketen in der Nähe des Flughafens ein. Ein Wartungsgebäude für Flugzeuge sei zerstört worden, es habe aber keine Opfer gegeben. Augenzeugen berichteten in der Früh auch von Explosionen im Norden Kiews, über der Stadt war ein Rauchsäule zu sehen.  

In Lemberg ist es in dem seit mehr als drei Wochen dauernden russischen Krieg gegen die Ukraine bisher vergleichsweise ruhig geblieben. Die Stadt ist voller Flüchtlinge aus anderen Landesteilen.

Angriff auf Wohnviertel in Kiew

Bei einem Angriff auf ein Wohnviertel in Kiew sind laut Bürgermeister Vitali Klitschko ein Mensch getötet und 19 verletzt worden. Unter den Verwundeten im Kiewer Stadtteil Podil seien vier Kinder, sagte Klitschko am Freitag in einem Video, das er auf Telegram veröffentlichte. Russische Truppen hätten Wohnhäuser, Kindergärten und eine Schule beschossen. Nach Angaben der Hauptstadtverwaltung wurden seit Beginn des Krieges 222 Menschen getötet. 889 weitere Menschen seien zudem verletzt worden. Diese Angaben lassen sich unabhängig nicht überprüfen.

 

Insgesamt sollen in der Ukraine seit Anfang des Krieges mindestens 816 Zivilisten getötet worden sein. Nach Angaben des UN-Menschenrechtsrats in Genf wurden zudem 1.333 weitere Menschen verletzt. Die tatsächlichen Zahlen dürften allerdings weit höher liegen, Opferzahlen aus besonders umkämpften Gebieten wie etwa Mariupol liegen etwa noch nicht vor.

Kramatorsk unter Beschuss

Beim Beschuss der Großstadt Kramatorsk im Gebiet Donezk in der Ostukraine sollen zwei Menschen getötet und sechs verletzt worden sein. Pawlo Kyrylenko vom Koordinierungszentrum der Region machte die russische Armee für den Angriff verantwortlich. "Die Russen sind nicht in der Lage, einen fairen Krieg zwischen Armeen zu führen, also schießen sie immer wieder Zivilisten nieder", teilte er am Freitag bei Telegram mit. Kyrylenko zufolge trafen Raketen ein Wohn- und ein Verwaltungsgebäude. Russland bestreitet, zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen.

Kämpfe um Mariupol

Besonders umkämpft ist weiterhin Mariupol im Süden des Landes. Dort erhalten die prorussischen Separatisten Unterstützung von russischen Truppen, meldete die Nachrichtenagentur RIA. "In Mariupol ziehen die Einheiten der Volksrepublik Donezk mit Unterstützung der russischen Streitkräfte ihren Belagerungsring enger und bekämpfen die Nationalisten im Zentrum der Stadt", erklärte das russische Verteidigungsministerium.

Die ukrainische Regierung versucht nach eigenen Angaben erneut Fluchtkonvois aus Städten zu organisieren. Doch häufiger Beschuss durch russische Streitkräfte verhindert eine sichere Evakuierung von Städten und Dörfern an der Front in der Region Luhansk.

Noch immer völlig unklar ist die Zahl der Opfer nach dem Bombardement eines als Schutzort genutzten Theaters in Mariupol. Der Bombenschutzkeller des Gebäudes habe den Beschuss überstanden und 130 Menschen seien bisher gerettet worden, erklärte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmila Denisowa, am Freitag. Die Arbeiten, um den Zugang zu dem Keller freizubekommen, dauerten demnach an. Schätzungen zufolge hatten etwa 1.000 Menschen in dem Theaterkeller Schutz gesucht.

Der ukrainische Abgeordnete Sergiy Taruta erklärte, Russlands Blockade der Stadt behindere die Rettungsbemühungen. Zwar hätten es einige Menschen aus dem zerstörten Theater hinaus geschafft. Aber die anderen, "die das Bombardement überlebt haben, werden unter den Trümmern des Theaters sterben, oder sind schon tot".

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Fluchtkorridore geplant

Ukrainischen Angaben zufolge sind für Freitag landesweit erneut neun Fluchtkorridore geplant, über die Zivilisten aus umkämpften Gebieten in Sicherheit gebracht werden sollen. Aus Mariupol sollen Menschen ins nordwestlich gelegene Saporischschja fliehen können, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk am Vormittag in einer Videobotschaft. Weitere sogenannte Korridore soll es beispielsweise in der nordöstlichen Region Sumy geben, die aus verschiedenen Städten ins zentralukrainische Poltawa führen.

Nach Mariupol, wo die Lage besonders dramatisch ist, sei zudem noch immer ein Tanklaster mit Kraftstoff für Privatautos auf dem Weg, sagte Wereschtschuk. In den vergangenen Tagen war Tausenden Zivilisten die Flucht aus Mariupol in eigenen Fahrzeugen geglückt. Viele stecken aber weiter fest in der Stadt am Asowschen Meer, in der es seit Tagen keinen Strom, kein Wasser und keine Heizung mehr gibt. Hilfskonvois kommen nach Angaben aus Kiew nicht bis zu den Menschen dort durch.

Selenskij: Ukrainische Armee hält weiter Schlüsselgebiete

Nach Angaben der ukrainischen Staatsführung halten die Streitkräfte indes weiter die wichtigsten Gebiete, in die Russlands Armee vorzudringen versucht. Die Truppen antworteten auch auf jeden Angriff russischer Einheiten, sagte Präsident Wolodymyr Selenskij in einer in der Nacht auf Freitag auf Telegram veröffentlichen Videobotschaft.

Russland meldete Raketenangriff

Russlands Armee hat unterdessen nach eigenen Angaben einen ukrainischen Raketenangriff auf die südukrainische Stadt Melitopol abgewehrt. In der Nacht habe das ukrainische Militär Raketen vom Typ Totschka-U auf Wohngebiete der von russischen Einheiten besetzten Stadt gefeuert, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die mit Streumunition bestückten Raketen seien über der Stadt Saporischschja abgefangen worden. Ukrainische Stellungen, von denen aus die Raketen abgefeuert worden seien, seien zerstört worden. Auch diese Angaben lassen sich nicht verifizieren.

Scholz telefonierte mit Putin

Angesichts des Krieges gegen das Nachbarland Ukraine mahnte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag, Russland nicht mit Putin gleichzusetzen. "Nicht das russische Volk hat die fatale Entscheidung des Überfalls auf die Ukraine getroffen. Dieser Krieg ist Putins Krieg." Das sagte Scholz auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Ehren des SPD-Politikers Egon Bahr, der am Freitag 100 Jahre alt geworden wäre.

Diese Unterscheidung sei wichtig, um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Russen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufs Spiel zu setzen, betonte Scholz. "Und sie ist wichtig, um den mutigen russischen Männern und Frauen, die unter hohen persönlichen Risiken gegen Putins Angriffskrieg auf die Straße gehen, eines zu zeigen: Ihr steht nicht allein. Wir stehen an Eurer Seite."

Am Freitag telefonierte Scholz mit dem Kremlchef: Putin soll dabei über die mangelnde Kompromissbereitschaft Kiews in den aktuellen Gesprächen mit Moskau geklagt haben. Kiew versuche, die Gespräche zu verlangsamen und mache auch "unrealistische Vorschläge", meldeten russische Nachrichtenagenturen. Putin habe sich auch über die "täglichen persönlichen Beleidigungen" von US-Präsident Joe Biden beschwert.

In einer Videoansprache vor dem Bundestag hatte Selenskij am Donnerstag Deutschland an seine historische Verantwortung erinnert, dem Unrecht entgegenzutreten. Er forderte weitere Hilfen für sein Land. Das Parlament ging nach der Rede zur Tagesordnung über, was nicht nur bei Abgeordneten auf deutliche Kritik stieß.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk forderte, Deutschland solle als Signal wenigstens kurzfristig für ein oder zwei Monate keine russischen Energieträger kaufen. "Man kauft kein Gas, kein Öl, keine Kohle", sagte er in der ZDF-Sendung Maybrit Illner. "Das ist unsere Bitte an die Bundesregierung."

London meldet Versorgungsprobleme des Kremls

Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste soll Moskau angesichts des stockenden Vormarsches Probleme mit der Versorgung der eigenen Truppen mit Lebensmitteln oder Benzin haben. Dass Russland keine Kontrolle über den Luftraum habe und sich kaum über unbefestigtes Gelände bewege, verhindere, dass die russische Armee effektiv mit dem Nötigsten versorgt werden könne, hieß es in der Nacht auf Freitag in einem Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministeriums.

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USA: Russland greift vermehrt zivile Ziele an

US-Außenminister Antony Blinken warf Russland Kriegsverbrechen in der Ukraine vor, bezeichnete dies aber als seine persönliche Meinung. Er verwies auf eine ähnliche Äußerung von Präsident Biden. Absichtliche Angriffe auf Zivilisten seien ein Kriegsverbrechen. Offiziell hat die US-Regierung eine solche Einstufung bisher nicht vorgenommen. Blinken sagte aber: "Unsere Experten sind dabei, mögliche Kriegsverbrechen, die in der Ukraine begangen werden, zu dokumentieren und zu bewerten." Auch nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums greift das russische Militär in der Ukraine vermehrt zivile Einrichtungen an.

Informieren Sie sich über das aktuelle Kriegsgeschehen, internationale Reaktionen und Sanktionen in unserem Live-Ticker:

Wegen des Kriegs in der Ukraine will US-Präsident Biden am Freitag mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping telefonieren. China ist der wichtigste Verbündete Russlands, lässt aber bei dem Angriff auf die Ukraine eine gewisse Distanz erkennen. Die Auswirkungen des tiefen Konflikts zwischen dem Westen und Moskau dürften auch die Überlegungen zu einer Nationalen Sicherheitsstrategie für Deutschland prägen. Dazu findet in Berlin eine Auftaktveranstaltung statt, bei der Außenministerin Annalena Baerbock sprechen wird. Um die Ukraine dürfte es auch bei einem Treffen von Bundeskanzler Scholz mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez gehen.

Russland nimmt Abstand von UNO-Abstimmung zu Resolution

In New York nahm Russland wegen mangelnder Unterstützung im UN-Sicherheitsrat Abstand von einer Abstimmung über eine Resolution zur humanitären Lage in der Ukraine. Das mächtigste UN-Gremium soll aber am Freitag erneut zu einer Dringlichkeitssitzung wegen angeblicher US-Labore zur Produktion von Biowaffen in der Ukraine zusammenkommen - eine Behauptung, die von russischer Seite trotz fehlender Beweise immer wieder erhoben wird. Der Rat hatte sich schon einmal auf Anfrage Moskaus mit den Vorwürfen beschäftigt, die weithin als Falschinformation und haltlose Propaganda bezeichnet werden.

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