Der unbekannte Erbauer der UNO-City
Als die Arbeiter die Haustüre aufbrachen, wussten sie, dass das kein normales Büro ist, das sie räumen sollten. In den Schränken lag neben Akten stapelweise kariertes Zeichenpapier. Auf den Tischen fanden sie Rollen von Bauplänen. Vor allem eines aber machte die Arbeiter stutzig: In der Mitte des Raumes stand auf einem Tisch ein Modell der UNO-City. Anstatt das Mobiliar und den Inhalt des Büros einfach zu entsorgen, riefen die Männer das Bundesdenkmalamt an. So landete der Nachlass von Johann Staber nicht auf einer Mülldeponie, sondern im Architekturzentrum Wien – und brachte etwas Licht in das Leben und Denken eines Mannes, der kaum bekannt ist.
Von der Pike auf
Johann Staber stammte aus eher einfachen Verhältnissen. Sein Vater, ein Kärntner, war Maurerpolier, arbeitete aber in Graz als Gastwirt. Johann Staber besuchte die Technische Hochschule in Graz und bekam nach seinem Abschluss ein interessantes Angebot. Der junge Architekt konnte als Assistent im Wiener Büro des großen Oswald Haerdtl erste Erfahrungen sammeln.
„Seine ersten Arbeiten als selbstständiger Architekt sind typische Kinder seiner Zeit“, erzählt Architekturhistorikerin Caroline Jäger-Klein, die mit ihren Studenten den Staber-Nachlass gesichtet hat. „Es waren kleine Aufträge wie Kiosks oder Wohnraum.“ Im Waldviertel kann man noch andere Entwürfe bestaunen: Johann Staber plante etwa die Volks-und Hauptschule sowie den Parkkindergarten in Schrems oder die Gobl-Strickerei in Heidenreichstein. Dennoch verwundert es ein wenig, woher er den Mut nahm, sich an einem der wichtigsten internationalen Architekturwettbewerbe der damaligen Zeit zu beteiligen.
„Vielleicht war ihm nicht bewusst, dass er gegen so große Namen antreten würde“, gibt Caroline Jäger-Klein zu bedenken. „Oder er dachte sich, dass er nach der Umsetzung von Schulen auch das bewältigen könnte.“
Lotto-Gewinn für Staber
Das Echo auf die Ausschreibung zur UNO-City war enorm. 656 Architekturbüros aus 50 Staaten beteiligten sich. Die internationale Jury unter dem Vorsitz von Roland Rainer entschied sich schließlich für folgende Reihung: Platz 1 für César Pelli, die britischen BDP Architekten folgten auf Platz 2 und das deutsche Büro Fritz Novotny/Fritz Mähner auf Platz 3. Dahinter befand sich Johann Stabers Entwurf. Alle Projekte hatten Vor- und Nachteile. César Pelli plante eine Hochhausscheibe, die windanfällig war. Bei dem Entwurf von BDP erreichte die meisten Büros kein Tageslicht. Und bei Novotny/Mähner waren die Türme schlichtweg zu hoch.
„Die Stärke von Stabers Entwurfs war sicherlich, dass er durch die Y-Form der Gebäude die größte Anzahl von natürlich belichteten Büros aufweisen konnte – und das in einer Signifikanz der Formensprache, die bemerkenswert ist“, fasst Caroline Jäger-Klein zusammen. „Eines kann man Staber nicht vorwerfen: Er hat nichts kopiert, es war ein originärer Entwurf. Und es muss ein genialer Gedanke gewesen sein, denn es gibt keinerlei Vorentwürfe.“
Letztlich ließ sich der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky, der dem Bau der UNO-City immer positiv gegenüberstand, die Pläne erklären. Er soll dann ein Machtwort gesprochen haben. Johann Staber erhielt den Auftrag. Das internationale Echo war nicht gerade positiv.
„Die Mühe der Architekten-Weltelite war vergebens. Den begehrten Auftrag erhielt ein unbekannter Österreicher: Johann Staber, 42, der als bisher stolzeste Leistung den Bau einer Provinzschule samt Kindergarten nennt“, wetterte etwa das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel.
Aufstieg und Fall
Wie Johann Staber auf die Idee mit den Y-förmigen Türmen kam, ist nicht dokumentiert. Der Legende nach soll ihn der Mittelstern einer Vinyl-Single inspiriert haben. Ob das der Wahrheit entspricht, wird wohl nie verifiziert werden. Die Idee war jedenfalls genial. Durch die in die Breite gezogene Y-Form und die versetzte Anordnung der Türme sind die Büros der UNO-City natürlich belichtet und bieten einen schönen Ausblick.
So genial wie der Entwurf war auch die Ingenieurleistung. Staber wählte eine vertikale Stützkonstruktion, in der die Aufzüge und alle Versorgungsleitungen untergebracht sind. Die 127 Meter hohen Türme wuchsen rasant. Der KURIER vom 18. Juli 1975 informierte, dass sie stündlich 15 Zentimeter an Höhe dazugewannen. Abschließend wurde die waagrechte Tragekonstruktion zwischen den Türmen verspannt, die zu den Bürogeschoßen ausgebaut wurden. „Es war eine amerikanische Konstruktion, die es zu diesem Zeitpunkt bei uns nicht gegeben hat“, betont Caroline Jäger-Klein. „Dass sie hier umgesetzt wurde, liegt auch daran, dass die Österreicher immer brillant im Tiefbau waren.“
Durch die vertikale Stützkonstruktion wuchsen die 127 Meter hohen Türme schnell in die Höhe.
Am 23. August 1979 wurde die UNO-City schließlich feierlich eröffnet. Weder der Kosten- noch der Zeitrahmen waren gesprengt worden. „Das ist wahrscheinlich die größte Leistung von Johann Staber“, sagt Jäger-Klein. „Die Organisation einer Baustelle dieser Größe zeigt, dass er einer war, der die Ärmel aufkrempelte.“
... die UNO-City extraterritorial ist, in einem Kriegsfall aber von Österreichs Streitkräften verteidigt werden muss?
... für den Bau der UNO-City 80.000 Tonnen Zement sowie 40.000 Tonnen Stahl verarbeitet wurden? Zudem wurden 24.000 Glasfenster eingesetzt.
... der damalige Vizekanzler Hannes Androsch bei der feierlichen Eröffnung der UNO-City von Kurt Waldheim, seines Zeichens Generalsekretär der Vereinten Nationen, symbolisch einen Schilling Miete überreicht bekam?
... die UNO-City eine eigene Postleitzahl hat? Obwohl sie geografisch gesehen zum 22. Bezirk gehört, lautet diese 1400 Wien.
Doch genau das wurde Johann Staber schließlich zum Verhängnis. Er nahm seine Verantwortung ernst, war täglich auf der Baustelle anzufinden – von dem Architekturwettbewerb bis zur Fertigstellung des ebenfalls von ihm entworfenen Austria International Center, das zur UNO-City gehört, vergingen 19 Jahre. 19 Jahre, in denen sich Staber mit nichts anderem beschäftigte.
„Als er aus seiner Blase wieder auftauchte, hatte sich die Architektur verändert“, erzählt Caroline Jäger-Klein. „Johann Staber hat den Anschluss verloren und konnte das nie wieder wettmachen.“ Obwohl sich der Architekt an mehreren Wettbewerben beteiligte, setzte er nichts mehr um. Verbittert zog er sich zurück und starb völlig verarmt im Jahr 2005.