Das neue Fernsehen und das Wettrennen um Zuseher
Es ist viel vom „neuen Fernsehen“ die Rede und von den teuren Serien, die im deutschsprachigen Raum entstehen: So wie das mit der ROMY geehrte „Babylon Berlin“ von ARD und Sky, das im Herbst auch vom ORF gezeigt wird. Oder die Sky-Thriller-Serie „Der Pass“ mit Nicholas Ofczarek. Ein Gespräch über neue Fronten und Allianzen im TV-Geschäft, Gebühren und Inhalte mit ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner, Elke Walthelm, Executive Vice President Content Sky Deutschland, und Sky Österreich-Geschäftsführerin Christine Scheil.
KURIER: „ Babylon Berlin“ ist die erste gemeinsame Serie von Pay-TV und Öffentlich-Rechtlichen. Sind Sie nun Konkurrenten oder Partner?
Christine Scheil: Wir sind Konkurrenten, wenn es um den Rechteerwerb geht wie etwa im Sport-Bereich beim Fußball. Sky und die Öffentlich-Rechtlichen sind aber ebenso Partner – das zeigen „Babylon Berlin“ und andere Partnerschaften, die wir auch mit dem ORF haben. Und: International haben wir viele gemeinsame Interessen – wenn es um die Tech-Medien-Player geht.
Geht es um eine gemeinsame Front gegen Google, Facebook, Netflix?
Kathrin Zechner: Ich würde gar nicht von Front reden. Große, internationale Produktionen sind wirtschaftlich allein nicht mehr stemmbar. Netflix investiert 15 Millionen Dollar pro 45-Minuten-Folge. Das ist zwar nicht mein Ausgabenziel, aber nur durch internationale Co-Produktionen schaffen wir höhere Produktionsbudgets.
Braucht der ORF das? Viele große US-Serien – also international bekannte Premiuminhalte – funktionieren im Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr.
Zechner: Auch ORF-Produktionen wie „Maria Theresia“ oder „Maximilian“ sind internationale Premiuminhalte. Da haben wir wirklich große Budgets und hohe Production-Values gestemmt – das könnte der ORF allein nicht. Früher waren unsere Partner das ZDF oder der Bayerische Rundfunk. Das hat sich erweitert: Sky ist da einer der wertvollsten Partner, weil wir in Qualitätsfragen sehr ähnlich ticken.
Sky hat aber andere Ziele – da geht es um neue Abonnenten. Wie passt das?
Elke Walthelm: Es müssen alle Beteiligten abwägen, ob für sie so ein Modell funktioniert. Für Sky ist vor allem Exklusivität wichtig. Denn wir müssen einen Anreiz bieten, damit der Kunde bereit ist, für bestimmte Inhalte zu bezahlen. Grundsätzlich sind wir immer für gute Partnerschaften offen.
Sky setzt verstärkt auf regionale Inhalte. Warum?
Scheil: Wir wollen allen Mitgliedern eines Haushalts etwas bieten. Da ist das Thema Serie natürlich sehr wichtig. Lokale Inhalte, aber auf internationalem Niveau produziert, sind ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal auf dem Markt. Und Österreich ist bei Sky sehr präsent: Stefan Ruzowitzky, Nicholas Ofczarek, Andreas Prochaska ...
Walthelm: Es gibt für mich auch keinen Grund mehr, warum das nächste „Game Of Thrones“ nicht aus Deutschland und Österreich kommen könnte.
Welchen Platz nimmt in der TV-Welt der teuren Produktionen der ORF ein?
Zechner: Die Aufgabe eines ORF ist es, Talente wie etwa Andreas Prochaska so lange zu begleiten, bis er auf internationaler Ebene respektiert wird. Auch ein vielfach preisgekrönter Weltregisseur wie Michael Haneke hat einmal beginnen müssen.
Die ORF-„Vorstadtweiber“ gibt’s auf Netflix – ein Geschäft oder Marketing?
Zechner: Es gibt für uns nicht mehr das „einzig wahre Verwertungsmodell“. Der ORF kann heute kaum noch eine Serien-Produktion alleine so ausfinanzieren, dass am Ende alle Verwertungsrechte bei uns liegen. Manchmal halten auch Produzenten Rechte zurück, um eine Produktion auf einer Plattform zu zeigen. Ob das klug ist? Da scheiden sich auch bei uns – im ORF, innerhalb der Produzentenlandschaft – die Geister. Ich halte wenig davon, für sehr wenig Geld zu sagen: Die „Vorstadtweiber“ gibt es jetzt bei Netflix. Ich glaube auch nicht an den generell großen Marketing-Effekt, oder dass damit die internationale TV-Welt auf etwas so Lokales aufmerksam wird. Jedes Produkt ist zu analysieren für die richtige Verwertung. Kern bleibt: Innovation, Unverwechselbarkeit, Partnerschaft mit den Kreativen vom ersten Moment an und nicht erst, wenn wir von Stars sprechen.
Überrascht hat auch die Partnerschaft von Sky mit Konkurrent Netflix.
Walthelm: Wir wollen unseren Kunden das Entertainment-Erlebnis mit Sky so einfach wie möglich machen. Insofern passt auch unsere künftige Partnerschaft mit Netflix in dieses Bild. Gleiches gilt für die Aufnahme der Mediatheken von ARD und ZDF in unser neues Angebot Sky Q.
Scheil: Es reicht jetzt eine Fernbedienung für alle – Öffentlich-Rechtliche, Sky, Netflix ...
Warum ist es heute hip, für Pay-TV und Streaming zu zahlen – während man über ORF-Gebühren diskutiert?
Zechner: Meine Überzeugung ist, der Öffentlich-Rechtliche ist die Wirbelsäule dieses Landes, der eine Breitenwirksamkeit herstellt und Inhalte vermittelt, die ein Kommerzieller in Österreich nicht produziert. Man muss deshalb sehr aufpassen, dass der Öffentlich-Rechtliche nicht zum Nischenprodukt gemacht wird. Das, was der ORF jetzt leistet, kann ein Spartenkanal nie leisten.
Warum funktioniert heute Pay-TV und Streaming wirtschaftlich? Warum wird nun für Serien extra bezahlt?
Walthelm: Es gibt heute mehr spannende Inhalte und einen ganz anderen Qualitätsstandard. Auch die Veränderung im Sehverhalten ist ein wichtiger Motor. Heute reichen Smartphone oder Laptop, um Inhalte nicht nur im Wohnzimmer, sondern genauso im Zug oder im Park zu schauen. Diese universale Verfügbarkeit hat Serien zum Lifestyle-Produkt gemacht.
Scheil: Es ändert sich auch das Sehverhalten in den Familien. Die Nutzung von Zweit- und Drittgeräten nimmt stark zu – der Vater schaut Fußball am TV-Gerät, die Frau die Serie am Tablet ... (lacht) ... oder andersrum!
Frau Zechner, warum macht Ihnen das keine Sorgen?
Zechner: Weil ich den ORF als Speerspitze nicht nur der Qualität, sondern auch der Innovation sehe – und um uns herum nicht nur High-End-Serien, sondern auch sehr viel Auswechselbares produziert wird. Die Entwicklung der Fernsehnutzung schätze ich etwas anders ein: Das Smartphone ist Kommunikation, dort konsumiere ich, wenn nichts Anderes verfügbar ist – ein Tor, aber kein ganzes Match.
Walthelm: In der U-Bahn kann man viele junge Menschen sehen, die am Mobiltelefon Bewegtbild schauen – da geht es nicht mehr nur um Kommunikation. Aber auch bei „Babylon Berlin“ war deutlich über 50 Prozent der Nutzung linear, der Rest on demand. Also, das klassische, lineare Fernsehen ist noch lange nicht tot, aber es ist ein deutlicher Trend zur bequemen On- Demand-Nutzung zu erkennen.
Aber vielleicht geht der Serienhype zu Ende? Man liest, dass in den USA Menschen das Angebot zu viel wird.
Walthelm: Dies können wir bei Sky so nicht erkennen, ganz im Gegenteil. Was wir sehen, ist eine stärkere Nutzungsbewegung vom Film hin zur Serie, aber insgesamt steigt die Nachfrage nach gut erzählten Geschichten. Ich erwarte, dass durch die steigende Anzahl von lokalen und internationalen Serien noch mehr Zielgruppen angesprochen werden und auch kleinere Serienproduktionen ihr Publikum finden.
Was heißt das für Ihre Partner? Die ARD wurde bei „Babylon Berlin“ kritisiert, weil sie erst nach Sky im Herbst ausstrahlt.
Walthelm: Ich verfolge die Partnerschaft mit der ARD nun seit etwa drei Jahren und ich finde sie nach wie vor großartig. Die ARD und auch der ORF werden nun für ihre Ausstrahlungen von unser PR- und Marketingarbeit profitieren. Für uns ist es wichtig, dass „Babylon Berlin“ auch im Free TV gut läuft. Die Auszeichnungen, wie jüngst die ROMY, sind ein Beleg für die Qualität der Serie. Jede Folge hatte schon in den ersten sieben Tagen im Durchschnitt 570.000 Seher. Auch das wird sich hoffentlich in den Free TV-Quoten der Kollegen widerspiegeln.
Zechner: ... merkt Euch das, liebe Journalisten!
Walthelm: Es gibt noch viel Luft für unsere Partner. Sky hat über fünf Millionen Abonnenten in Deutschland und Österreich, aber es gibt über 40 Millionen TV-Haushalte. Da heißt auch, dass es ganz viele gibt, die nun von „Babylon Berlin“ gehört, aber es nicht gesehen haben. Aber die Marke ist jetzt in aller Munde. Und dazu hat Sky einen großen Beitrag geleistet.
Zechner: Wenn man Modelle der Zusammenarbeit nicht ausprobiert, erfahren wir nie, ob etwas Sinn macht. Man kann nicht immer nur nach demselben Schema vorgehen – dann wäre auch das Rad noch nicht erfunden.