Kolumnen

Raab geht essen: Die Letzten müssten die Ersten sein

Ein kleines Rätsel: An welches Gewerbe denken Sie, wenn von der Ästhetik eines Handwerks die Rede ist? Geigenbauer? Goldschmied? Konditor? Wetten, Sie liegen auch mit Blumenbinder daneben. Also nächster Hinweis: Jeden Samstag erwartet Sie dort ein wahres Atmosphären-Vollbad, wenn trotz Überfüllung seelenruhig Schmäh geführt und Kaffee für liebe Kunden zubereitet wird. Schwer, oder? Ergo letzter Hinweis: Die dominante Farbe dieses Etablissements ist Rot, eine junge Frau in engem T-Shirt samt Aufdruck „Geile Blunzn“ erkundigt sich nach Ihren Vorlieben, befriedigt danach Ihre Fleischeslust, es sei denn, der Chef besorgt es Ihnen grad persönlich. Jetzt wissen Sie’s, oder? Ganz genau. Die geile Blunzn hat nichts mit Sexismus oder #MeToo, sondern meat for you zu tun. Wir sind also beim Fleischhauer, in diesem Fall ein Kunsthandwerk, denn die Blunzn hier ist preisgekrönt, Grammeln, Leberkäs, Kümmelbraten usw. sagenhaft, die hauseigene Wurst- und Schinkenproduktion Magie, der Klaghofer legendär. Herbert & Helmut, zwei Brüder, die ein für die Stadt bedeutsames Familienunternehmen gerettet und zur Institution haben werden lassen. Da kommen dann die Leut’ nicht nur, weil das Fleisch ausschließlich von ausgewählten heimischen Bauern stammt, die ihren Tieren mit Liebe begegnen, oder weil zu Mittag das Selchfleisch mit Erdäpfelpüree unglaubliche 5,90 Euro kostet, sondern weil es menschelt. Ein Ort voll Herz, Hirn, Humor auf der Zunge. Innereien eben. Mein Erstkontakt liegt nicht weit zurück. Ein Abend bei zuerst guten, dann besten Freunden. Das Wetter ein Traum, der Ofen angeheizt. Ist ja grad Grillsaison. Seltsames Wort: Grillsaison! Spargelsaison versteh’ ich, Marillensaison, Skisaison, wenn es unbedingt sein muss sogar Ballsaison. Aber Grillsaison? Obendrein in der ärgsten Hitz’, wenn sich das Armaturenbrett ohnedies als Teppanyaki-Platte einsetzen lässt? Warum nicht im Winter? Feuer wärmt, Grillen erspart den Heizstrahler und die barfuß eingetretenen, überall herumliegenden Bitte-beim-Öffnen-auf-die-Kronkorken-aufpassen-ich-sammle-die. Grillen geht immer. Zur Saison herabgewürdigt aber bedeutet es, bei so gut wie jeder Einladung auf genau dieselbe Käsekrainer aus der Supermarkt-Multipackung XY zu stoßen. Es sei denn, man darf sich von seinen ohnedies schon besten, seither aber allerbesten Freunden die Geschmacksnerven dermaßen aus dem Häusl bringen lassen, wie vielleicht eines Tages der Clooney Georg, sollte ihm erstmals richtiger Kaffee serviert werden. „Vom Klagi sind die!“ Käsekrainer, wie ich sie noch nie gegessen habe, dazu Chillikäsekrainer, Ochenskäsekrainer, Salsiccia, Lammbratwurst. „Und das hier gibt’s auch, schau: Zusätzlich eigenfettgereifte dry aged Steaks!“ Nichts wie hin: In die Rankgasse 25, 1160 Wien, es nicht nur schmecken, sondern auch sehen, fühlen, warum die Fleischerei Klaghofer ihr Handwerk zu Recht als ästhetisch bezeichnet. Der Laden ein Schmuckstück, die Nachfrage enorm, und dennoch ist der Klaghofer einer der letzten seiner Art. Völlig unbegreiflich. Ein Vater kam mit seiner kleinen Tochter herein. „Bist du eine Wurstprinzessin?“, wurde sie gefragt, ihr ein Radl geschenkt, und in mir die Erringung an meine Kindheit, die verträumte Frau Hansi beim längst verschwundenen Sterkl hellwach. Ein guter Plan eigentlich, genauso durch die Welt zu gehen: verträumt und hellwach. Und das Schöne dabei: Der Klaghofer hat immer Saison.