Aus dem Abseits ins Zentrum tanzen
Von Heinz Wagner
Ein roter Kreis fast mitten auf dem Boden. Rote und blaue geflochtene Seile, doch deutlich dicker als Sprungschnüre. Ganz in schwarz gekleidet die Tänzerinnen und Tänzer. Nach Aufwärmübungen mit und ohne Schnüre, bei denen alle alles – bis hin in die Fingerspitzen und die Wangen lockern, starten die vier Teilnehmer_innen dieses Probentages, den der Kinder-KURIER besuchen darf, ihre Solo-Auftritte.
Claudia Steininger, David Cheng, Kristina Krizanac und Iris Spilka starten jeweils im roten Kreis, greifen sich dann je zwei auf dem Boden bereit gelegte Seilpaare, schreiten damit langsam bis zum Ende des Raumes, lassen die Schnüre fallen, drehen sich um. Musik setzt ein und jede/r beginnt das eigene Solo.
In sich ruhend und aus sich herausgehen
Eher zaghaft die einen, gleich von Anfang an mit starken Bewegungs-Akzenten andere, Drehungen, viel tänzerische Arbeit mit Händen, Armen und dem Kopf. Manche legen sich sogar auf den Boden, um Rollen zu vollführen – angepasst oder gar sich treiben lassend von der jeweiligen Musik, die der künstlerische Leiter dieses Projekts, Edgar Lliuya, gerade „anwirft“. In diesen wenigen Minuten scheinen die Tänzer_innen irgendwie in sich zu versinken und doch gleichzeitig aus sich herauszugehen.
Online-Video bei SOHO Ottakring
„Warte“ heißt die Tanzperformance – warten darauf was kommt – könnte eine mögliche Interpretation sein, „aus meiner/deiner… Warte“ ist eine andere – die das Programmheft nahelegt.
Die Tanzperformance wird Teil der großen Aufführungen aller Tanz-Gruppen- und -Studios des Vereins „ich bin O.K.“ im kommenden Jahr sein. Sie wird aber auch Mitte Juni dieses Jahres als Video Teil des heuer online laufenden Kulturfestivals SOHO in Ottakring. Dazu filmt Oswaldo …. jede Probe mit vielen Detailaufnahmen, um daraus das Video zu schneiden. Hält er die Kamera auf die Tänzer_innen, scheinen sie ein wenig gleich das Gefühl zu verspüren, vor Publikum zu agieren.
Improvisation plus Einstudiertes
Die vier Tänzer_innen – Martin Bunyai gesellt sich bei weiteren Proben noch dazu - ziehen den Reporter – und die ganz wenigen Gäste – in den Bann: Mit ihren Kombinationen und Mischungen aus Improvisation und einstudierten, offensichtlich vielmals geprobten Bewegungen. Wochenlang hatten sie in ihren eigenen Zimmern – online verbunden mit dem Choreografen – geübt.
Nach den Soli kommt es zu einer gemeinsamen Choreografie – der Teilnehmer_innen, des Choreografen und einer der beiden Assistentinnen, Tatjana Sharenkova.
Die Geschichte vom schwarzen Punkt
Der erwähnte rote Kreis könnte für die Geschichte „der schwarze Punkt“ stehen. Von dieser ließ sich der Choreograf inspirieren. Vor allem um die Jahreswende 2016/2017 kursierte diese kurze symbolische Erzählung – praktisch immer ohne Urheberschaft – im Internet (eine YouTube-Version siehe Link unten):
Kürzest zusammengefasst: Lehrer verteilt weiße Blätter an seine Schüler_innen. Ungefähr in der Mitte der Rückseite befindet sich ein großer schwarzer Punkt. Weiter keine Anleitung. Alle (be)schrieben den Punkt und was ihnen dazu einfiel. Am Ende meinte der Lehrer, weshalb habe keiner über das viele Weiß, die viel größeren hellen Stellen statt über die kleine dunkle geschrieben?
Seht sie doch als Künstler_innen
Dieses Symbol verbindet der künstlerische Leiter auch mit seinen diversen Tanzgruppen – er arbeitet seit 20 Jahren mit Tänzer_innen wie von „Ich bin O.K.“ und anderen Einrichtungen, bei denen Menschen ohne und mit Behinderungen agieren. „Warum“, so fragt er „wird bei diesen Menschen aber meistens auf ihre Behinderung fokussiert und nicht auf ihren künstlerischen Ausdruck!?“
Also warten, bis alle die vielen hellen Stellen sehen!
Weil’s Spaß macht
Claudia Steininger tanzt mit dieser Gruppe „seit ungefähr drei Jahren, aber ich tanze auch in anderen Gruppen – Hip*Hop, Musical zum Beispiel“. Schon als kleines Kind habe sie immer gern getanzt, erzählt die 36-Jährige dem Kinder-KURIER. „Tanzen taugt mir, weil’s Gaudi ist.“
Wenn sie vor Publikum auftritt, „bin ich schon ein bissi aufgeregt“. In der Solo-Passage „tanz ich was mir grad einfällt“.
Auch ansonsten bewegt sie sich gerne, „schwimmen, Fitness-Center, Radfahren am Home-Trainer“ nennt sie neben Mandala malen, häkeln und Billard spielen als liebste Freizeitbeschäftigungen.
Fantasie treibt ihn
Iris Spilkas Vorliebe gehört eigentlich dem Bauchtanz – den sie in diese Choreografie nur ansatzweise einbauen kann. David Cheng lässt sich bei seinem Solo von Fantasie treiben, verrät er dem Kinder-KURIER.
Tatjana Sharenkova, eine der Assistentinnen dieses künstlerischen Projekts hatte schon Erfahrungen mit inklusiven Tanz-Workshops, studiert Sozialanthropologie und die selbst mehrsprachige aufgewachsene junge Frau unterrichtet Deutsch Als Fremdsprache.
Video „Der schwarze Punkt“ unten
Warte
Videos einer Performance
Künstlerischer Leitung: Edgar Lliuya
Teilnehmer_innen:
Kristina Krizanac
Iris Spilka
Claudia Steininger
David Cheng
Martin Bunyai (war am Tag des KiKu-Probenbesuchs nicht dabei)
Christiana Willinger und Katharina Herberstein – diese beiden sind nicht im Video, aber bei den Aufführungen im kommenden Jahr dabei
Assistent_innen: Tatjana Sharenkova, Nina Koppensteiner
Video: Oswaldo Alvarez
Wann, wo?
Online ab 14. Juni, 17 Uhr
Hintergrundinfos
Edgar Lliuya, geboren in Peru, arbeitet und lebt in Wien, ist Künstler und Musiker. Gründer der „Werkstatt für Leistungsabbau“ für langfristige Kunst-Projekte in Schulen (2007), und arbeitet u.a. als Assistent für den Verein GIN. Von 2005-2014 war er Produktionsleiter der Sendung „FS SOHO“ auf okto.tv
„Ich bin O.K.“ ist ein Verein zur Förderung der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung durch Tanz und Theater.
Das Buch
Ich bin O.K. - Ein Buch über das andere Tanzen
Fotos von Philipp Horak
Gestaltung Marion Mayr / Grafikum
224 Seiten
35 €