Übern Zaun schau’n: „Mach dir dein eigenes Bild!“

Szenenfoto aus "Übern Zaun schau'n" von "Ich bin o.k."-Tanzstudios
Neue Tanztheater-Produktion des inklusiven Tanzstudios „Ich bin O.K.“ im Wiener Theater Akzent.

Es ist 10.04 Uhr. Die Publikumsreihen sind fast gefüllt. Plötzlich geht mehr als ein Raunen durch die Reihen: „Pschschschttttt!“ meinen die erwachsenen Begleitpersonen den Kindern und Jugendlichen vermitteln zu müssen. Stiiiille. Der rote Vorhang hebt sich – vorerst nur in der Mitte. Applaus. Kurz nach der Begrüßung durch das künstlerische Leitungs-Duo und einen der Tänzer_innen geht’s los. Die ersten Takte der Musik ertönen und – mindestens die Hälfte des Publikums klatscht den Rhythmus mit.

So etwas schafft selten eine Aufführung und noch seltener ein Publikum. Der Funke ist von Anfang an übergesprungen, das Feuer entfacht. Die Flammen werden in den kommenden mehr als eineinhalb Stunden unterschiedlich hoch züngeln, aber das Feuer nie erlöschen. Und das, obwohl es sich bei dieser Aufführung der inklusiven Tanztheaterproduktion „Übern Zaun schaun’n“ des „Ich bin O.K.“-Tanzstudios im Wiener Theater Akzent erst um die Vorpremiere handelt.

Coole Musik von "drüben"

Übern Zaun schau’n: „Mach dir dein eigenes Bild!“
Szenenfoto aus "Übern Zaun schau'n" von "Ich bin o.k."-Tanzstudios
Emma, Steffi und Lukas, die drei Hauptfiguren, treffen einander in ihrem Heimatdorf – nach zehn Jahren. Die Übersetzerin, die Tänzerin und der Buchautor erinnern sich an ihre Kindheit. Und die läuft in der Folge in vielen verschiedenen Szenen ab, wobei drei anderen Theater-Tänzer_innen in ihre vergangenen Ichs schlüpfen. Ausgangspunkt ist ein Dorffest mit ländlicher Musik. Auf einmal vernehmen sie Musik von der anderen Seite des Zauns, der das Dorf umgibt – oder vielmehr einsperrt (?) Die Musik gefällt ihn, taugt ihnen sogar noch mehr als die „eigene“. Und so organisieren sie sich ein Leiter, um den Zaun zu überwinden. Schließlich wollen sie die Menschen kennen lernen, die so coole Klänge spielen. Und so wie sie jenseits des Zauns neue Leute kennen lernen, so wandern sie immer weiter, kommen in die verschiedensten Gegenden und mit den unterschiedlichsten Menschen, Kulturen und „Sprachen“ in Berührung – letzteres im wahrsten Sinn des Wortes. Bei einer der Stationen verständigen sich die Leute „nur“ mit Hilfe von Berührungen, in einer anderen Welt läuft alles rückwärts – die Fortbewegung, aber auch eine Krawatte wird am Rücken, dafür das was wir als Rucksack kennen vor Brust und Bauch getragen. Nicht jede der Welten ist angenehm. Sie landen auch in einem Polizeistaat, wo alle, die sich nicht an die Anordnungen halten, eingesperrt werden. Aber auch dort kommt Hilfe herbei – tänzerisch und musikalisch.

Viele verschiedene Welten entdecken

Übern Zaun schau’n: „Mach dir dein eigenes Bild!“
Szenenfoto aus "Übern Zaun schau'n" von "Ich bin o.k."-Tanzstudios
„Jede Gruppe hat sich das selbst ausgedacht und ausgemacht – wie ihre Welt aussehen soll und wie sich dort alle bewegen oder miteinander kommunizieren“, erzählen Lilith (13) und Imanja (16) kurz nach der Vorstellung dem Kinder-KURIER und der Inklusiven Lehr-Redaktion (deren Mitarbeiter_innen schreiben Berichte in einfacher Sprache, Link unten). Rund zwei Jahre liegen zwischen der Idee zu diesem Stück und der ersten Aufführung. Zäune, Grenzen, Mauern, Barrieren waren als Thema da. Und dann erarbeiteten die einzelnen Gruppen, die an verschiedenen Tagen – einmal wöchentlich ein bis eineinhalb Stunden – tanzen und proben – ihre Szenen. Die jüngsten sind zwischen 7 und 10 Jahre, viele sind jugendlich, einige erwachsen. Viele sind schon seit einigen Jahren bei „Ich bin O.k.“, einem Verein, der seit 37 Jahren Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt im Tanz-Theater-Bereich zusammenbringt.

Premiere

Übern Zaun schau’n: „Mach dir dein eigenes Bild!“
Szenenfoto aus "Übern Zaun schau'n" von "Ich bin o.k."-Tanzstudios
Für Moritz (16) war’s eine echte Premiere. „Ich bin heute das erste Mal vor Publikum aufgetreten. Mein Herz hat stark geklopft, aber trotzdem hab ich alles geschafft. Das hat sich richtig, richtig, richtig cool angefühlt. Und tut es jetzt noch!“, ist ihm berechtigter Stolz, Freude, aber auch die Erleichterung nach der Vorstellung anzusehen, anzuhören, zu merken, auch richtiggehend zu spüren. Angespitzt wurde er dadurch, dass „ich eine frühere Aufführung von „Ich bin O.K.“ gesehen habe und dann wollte ich das auch selber machen!“

Es geht auch, berichten die Interview-Partner_innen immer auch ums „Vertrauen, gerade wenn alle nach hinten gehen, musst du dich auf alle anderen verlassen können, damit nicht alle zusammenknallen“. Vertrauen und Stärkung gewinnt Konrad (20) „vor allem von meiner Familie, weil meine Mama, mein Papa und mein Bruder hinter mir stehen und zu mir halten“.

Tanz ist meine Sprache

Übern Zaun schau’n: „Mach dir dein eigenes Bild!“
Szenenfoto aus "Übern Zaun schau'n" von "Ich bin o.k."-Tanzstudios
Eine der drei Hauptrollen, die der Tänzerin Steffi, wurde von Laura gespielt. Die 35-jährige verrät ihre eigene Methode, den Text zu lernen. „Ich muss ihn hören, immer wieder hören. Ich hab mir oft und oft die CD angehört und meine Mama hat mir auch immer wieder den Text vorgelesen. Aber noch leichter tu ich mir, wenn ich gleich dazu die Bewegungen mache, die Tanzschritte und die Handbewegungen und die Mimik. So lern ich’s am besten. Das Tanzen gibt mir auch sehr viel Energie, es ist so etwas wie die beste Therapie für mich. Tanz ist auch irgendwie meine Sprache.“

Imanja begann „mit ungefähr elf Jahren Hip-Hop zu tanzen und so bin ich zum Tanzstudio gekommen, jetzt bin ich 16. Ich war bei der Rückwärtswelt, aber auch bei anderen Gruppen dabei“.

Zäune, Mauern, Grenzen, Barrieren

Übern Zaun schau’n: „Mach dir dein eigenes Bild!“
Szenenfoto aus "Übern Zaun schau'n" von "Ich bin o.k."-Tanzstudios
Natürlich ist das Stück auch politisch und aktuell, greift die Fragen von Grenzen, Zäunen, Mauern und Barrieren auf. Und barrierefrei ist – trotz entsprechender Gesetze – auch unser Land noch nicht. Ob es auch speziell Jugend thematisiere, weil die ja häufig Grenzen überwinden wollen, bejaht Lilith, ergänzt aber: „Aber das können alle in jedem Alter verstehen.“

„Ist die Welt wirklich so wild?/Mach dir dein eigenes Bild./Hör nicht, was die anderen sagen./Wer was will, muss wagen“, heißt es in dem Lied, das sich wie ein roter Faden durchs Stück zieht. Der Ohrwurm-Refrain: „Überspringen/Übersteigen/nur drauflos und auf Kurs bleiben/keine Angst vor Fremden zeigen!“

Zur Homepage von "ich bin O.K."

Zum KURIER in einfacher Sprache

Übern Zaun schau’n
Inklusive Tanztheater-Produktion des „Ich bin O.K.“- Tanzstudios

Regie & Konzept: Hana Zanin-Pauknerova & Attila Zanin
Live Musik: Broken-Tree-O

Auf der Bühne: Mehr als 110 Tänzer_innen mit und ohne Behinderung des „Ich bin O.K.“ Tanzstudios, der Tanzausbildung Wien, der Musikschulen Wien, des Gymnasiums Theresianum Wien, Studierende der MUK (Musik und Kunst Privatuniversität Wien) und der Vitalakademie Wien

Wann & wo?
7. April 2017, 19 Uhr
5. Mai 2017, 10 Uhr
7. Mai 2017, 14 Uhr
9. Mai 2017, 19 Uhr

Theater Akzent, 1040; Theresianumgasse 18
Telefon: (01) 501 65-3306
www.akzent.at

Kommentare