Psychotherapeutin: Wie Sie die Corona-Krise meistern
Von Richard Grasl
KURIER: Psychotherapie kann derzeit vor allem über Hotlines oder Videokonferenzen stattfinden. Wie groß ist der Andrang?
Renate Bukovski: Der ist schon sehr stark. Es gibt ja durch verschiedene Initiativen auch neue Hotlines und Hilfestellungen, und natürlich gibt es derzeit einen erhöhten Bedarf, weil Menschen ganz spezielle Fragen haben. Ängste, die Enge zuhause und dadurch auch neue Krisensituationen.
Was sind die am meisten geäußerten Ängste und Sorgen?
Die finanzielle Not, Sorgen die Zukunft betreffend, weil man nicht weiß, wie lange das dauert. Aber eben auch Nöte zuhause durch die Enge der Räumlichkeiten, die notwendige Betreuung, das Lernen mit den Kindern. Und natürlich auch die Enge in der Beziehung, auch da entstehen neue Konfliktfelder.
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Sind diese größer als jene vor Ansteckung, Krankheit oder Tod?
Ja, diese Ängste werden weniger geäußert, weil jene Menschen, die uns anrufen sehr diszipliniert mit den Vorgaben umgehen und sich dadurch gut beschützt fühlen. Ausnahme sind ältere und vorerkrankte Menschen. Hier gibt es schon stärkere gesundheitliche Sorgen. Aber auch hier ist es so, dass sie sich in völlige Isolation begeben und dann mit dem Alleinsein in den eigenen vier Wänden zu kämpfen haben.
Wie helfen Sie Menschen, denen das Leben in den eigenen vier Wänden zu eng und konfliktreich wird?
Ich versuche Ihnen zu sagen, dass sie sich klar darüber werden müssen, was sie selbst jetzt brauchen. Wichtig ist für viele, auch Eigenzeit zu haben. Dass muss man dann klar strukturieren und in der Familie auch klar kommunizieren. Dann kann man sich ein bis zwei Stunden alleine in ein Zimmer zurückziehen, und der Partner übernimmt die Kindererziehung. Wir alle müssen eine neue Alltagsstruktur schaffen und uns klar werden, wie schaut die im Miteinander aus. Und die Transparenz bringt dann auch Ordnung.
Ängste vor Jobverlust und Schulden sind ja nicht abstrakt, sondern ganz konkret. Kann man da überhaupt helfen?
Die einzige Hilfestellung ist, dass man Situation so aushält, wie sie derzeit ist. Wir können bestimmte Bedingungen im Leben oft mal nicht verändern. Da geht es jetzt darum, für sich selbst gut zu sorgen: Schlaf, Ernährung, Sport, um dann Kraft zu haben für die Möglichkeiten, die sich nach der Krise bieten, um diese ergreifen zu können.
Man soll das Leben nehmen, wie es ist. Ein Satz, der auf Viktor Frankl zurückgeht, der viele Jahre im Konzentrationslager gesessen ist.
Ja, und das Wichtigste ist, dass wir momentan nicht daran denken, welche Erwartungen, Vorstellungen habe ich, wie sollte was denn sein und dagegen anzukämpfen versucht. Sondern die Situation so zu nehmen wie sie ist, indem man versucht, innezuhalten, durchzuatmen, sich selbst zu beruhigen – und dann zu schauen, welche Frage mir das Leben jetzt stellt. Das ist eine Kehrtwendung zu unserem bisherigen Denken. Aber wenn wir im Äußeren nichts tun können, so können wir jedenfalls unsere innere Haltung zur Situation ändern. Ich bin erstaunt und berührt von Ideen vieler Menschen, anderen jetzt zu helfen.
Das kann der Situation einen Sinn geben. Da geschieht sehr viel über die innere Haltung. Viktor Frankl hat in seinem Buch über das KZ geschrieben: Ich kann meinem Nachbarn versuchen, das letzte Stück Brot wegzuessen oder ich kann versuchen, es mit ihm zu teilen. Das erlebe ich jetzt von ganz vielen Menschen, dass sie teilen wollen und Ideen entwickeln, anderen zu helfen.
Es gibt Situation, die wir wohl alle kennen, da kreisen die Gedanken zu einem Thema und man kommt gar nicht raus aus diesem Kreisel. Haben Sie da einen Trick, wie man das durchbrechen kann, um wieder klare Gedanken fassen zu können.
Erstens hilft es dabei schon, diese Gedankenspiralen bewusst wahrzunehmen, zu bemerken, dass ich sie überhaupt habe. Ich bin ja viel mehr als meine Gedanken, und der Mensch hat die Fähigkeit, sich von seinen Gedanken zu distanzieren und nicht in ihnen verhaftet zu sein. Gedanken sind nur Vorschläge des Gehirns.
Jeder Mensch hat persönliche Ressourcen: schreiben, malen, basteln, kochen und vieles mehr. Hilft es, diese Ressourcen jetzt zu heben?
Das hilft auf alle Fälle sehr. Man sollte sich mal in Ruhe hinsetzen, innehalten mit sich selbst eine Beziehung aufzunehmen. Was tut jetzt not, was liegt mir jetzt am Herzen? Dadurch entstehen neue Räume, auch neue Möglichkeiten. Diese können wir für Dinge, zu denen wir lange nicht mehr gekommen sind, nutzen. Auch das Auf- und Ausräumen der Wohnung gehört dazu. Wir könnten uns auf vieles konzentrieren, was zuvor vielleicht zu kurz gekommen ist. Jeder findet seine eigenen Möglichkeiten.
Welche Rolle spielen die Medien? Man wird ja dauerbeschallt von der Krise. Soll man sich diesen entziehen?
Ich finde es unglaublich wichtig, dass wir das begrenzen. Es sollte unbedingt in unserer Struktur drinnen sein, dass wir uns nur begrenzte Zeit damit auseinandersetzen. Denn das Leben ist ja auch mehr als nur das Corona-Virus. Daher sollte man den Nachrichtenkonsum darüber begrenzen und genau auswählen, welche Medien ich konsumiere.
Viele Menschen schreiben uns, sie können sich zum Beispiel beim Lesen gar nicht mehr wirklich konzentrieren, weil Gedanken sofort wieder um das Virus kreisen. Haben Sie einen Tipp?
Ich muss diese Gedanken zuerst bewusst feststellen, dann innehalten, auf den Atem konzentrieren. Wo spüre ich den Atem, er bietet immer die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren. Wir lernen ja auch in den große Medititationsschulen, sich auf den Atem zu konzentrieren, die Gedanken wie Wolken am Himmel zu beobachten und sie vorbeiziehen zu lassen. Man nimmt Gedanken dann zwar wahr, aber ich steige nicht auf sie ein.
Viele Menschen sitzen in Wohnungen, vor allem in der Stadt ohne Balkon, Terrasse oder Garten. Wie wichtig ist der Aufenthalt im Freien?
Unendlich wichtig, und ich bin sehr froh, dass es bei uns noch die Möglichkeit gibt, in der Nähe der Wohnung den Freiraum zu nutzen. Manche Menschen haben auch Fitnessgeräte zuhause, die könnte man – wenn möglich auch bei offenem Fenster zu nutzen. Aber jedenfalls sollte man alle Gelegenheiten nützen, eine Runde zu gehen.
Ostern steht vor der Tür. Viele bedrückt es, weil sie Ostern diesmal nicht mit der Familie feiern können. Wie sollte man Ostern heuer sehen?
Nutzen Sie zum Beispiel die Videokonferenzen. Da gibt es ganz berührende Geschichten, wie schon jetzt Freunde und Verwandte einen Kaffee oder ein Glas Wein mit ihren Liebsten per Skype trinken. Betrachten Sie das heurige Ostern einmal, dass man das einmalig auf diese Weise ausprobiert und vielleicht gute Erfahrungen damit machen kann.