Vor der Türkei-Wahl: Es wird eng für Doppelstaatsbürger
„Man muss sich an Gesetze halten“, sagt der junge Mann und lacht zuversichtlich. Der 24-Jährige, der sich selbst Ossi nennt, war Mittwochmittag im türkischen Generalkonsulat, um für die türkische Parlaments- und Präsidentschaftswahl seine Stimme abzugeben. Für Erdoğan, wie er betont. Ossi war Doppelstaatsbürger – zumindest bis nach der Stimmabgabe. Da legte er, der laut eigenen Aussagen in Österreich geboren wurde, nämlich die türkische Staatsbürgerschaft zurück.
Am 24. Juni wird in der Türkei gewählt, in Österreich können wahlberechtigte Auslandstürken schon seit gestern, Donnerstag, bis zum 19. Juni ihre Stimme in den Konsulaten in Wien, Salzburg und Bregenz abgeben. Rund 107.000 Austro-Türken sind wahlberechtigt.
Gegen Mittag herrscht vor dem Wiener Konsulat ein reges Kommen und Gehen. Viele Familien kommen mit ihren Kindern, zahlreiche junge Menschen gaben ihre Stimme ab. Liberale Studenten sind genauso dabei, wie konservative Wähler. Letztere wollen nicht gerne mit dem KURIER reden. „Ihr schreibt eh nicht die Wahrheit“, sagt ein Mann und eilt davon. Er habe Erdoğan gewählt, erklärt er noch. „Das ist richtiges türkisches Blut.“ Die AKP sei nicht schlecht, meint auch die 25-jährige Döndü, bevor sie mit ihrer Tochter weitergeht. „Sie machen alles für uns. Sie denken an uns, mit der Religion und ihrem Herzen.“
Mehr Verfahren
Mit der Wahl rücken auch wieder die illegalen Doppelstaatsbürgerschaften in den Fokus. Nach wie vor beschäftigen sie die österreichischen Behörden. Allein bei der Wiener MA 35 sind aktuell 17.001 Verfahren in Bearbeitung. Die Zahlen steigen. Ende März war in Wien noch von 12.000 überprüften Einträgen die Rede. In vier Fällen wurde Anfang 2018 per Bescheid der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft festgestellt. Davon sind drei Fälle beim Landesverwaltungsgericht anhängig. Aus verfahrensökonomischen Gründen und aus Gründen der Rechtssicherheit werden daher bis zur Entscheidung keine weiteren Bescheide erlassen. Österreichweit war im März von 30 Bescheiden die Rede.
In Vorarlberg wurden 148 Personen überprüft, bis auf rund zwei Dutzend Verdachtsfälle hat das Land diese abgearbeitet. Es gab neun Aberkennungen, sechs Fälle sind noch beim Landesverwaltungsgericht anhängig. Sowohl die österreichische als auch die türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen, ist illegal. Ob dabei zur hiesigen die türkische zusätzlich angenommen wurde, oder das unbeabsichtigt etwa in der Kindheit passierte, ist unerheblich.
Staatsbürgerpflicht
Die Wahl jedenfalls polarisiert. Nicht nur Erdoğan-Unterstützer eilten schon am ersten Tag zu den Urnen. Die 24-jährige Istanbuler Studentin Gül änderte gar ihren Wohnsitz, um während ihres Auslandaufenthalts rasch wählen zu können – gegen Erdoğan. „Nach der Verfassungsänderung entscheidet sich nun, ob das derzeitige System bleibt oder wieder zu einer Demokratie wird“, meint auch Student Baran, der hofft, dass die Opposition die Machtverhältnisse im Parlament ändern kann.
Zu wählen sei Staatsbürgerpflicht. „Wir wählen für die Zukunft. Es geht darum, ob es künftig eine unabhängige demokratische Türkei geben wird“, ergänzt Zeynep S., die seit 2000 in Österreich lebt.
Dennoch glauben viele, dass Erdoğan die Wahl gewinnen wird. Bei der Abstimmung zur türkischen Verfassungsreform 2017 ging fast die Hälfte der Austro-Türken zur Wahl. Fast drei Viertel stimmten pro Erdoğan.
Ossi jedenfalls sieht es als seine Pflicht zu wählen. „Die Wurzeln kommen von dort“, erklärt er. Erdoğan sei korrekt, es sei wichtig, dass die Türkei auf der Weltbühne den USA und Russland stark entgegentreten könne. Kritik sei okay, das könne das Land aushalten.
Stimmen der Auslandstürken diesmal besonders wichtig
Mit seinem Überraschungscoup, die türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auf den 24. Juni vorzuverlegen, wollte Staatschef Erdoğan den noch spürbaren Rückenwind der Wirtschaft ausnutzen und mit einem Sieg seine Macht zumindest für die kommenden fünf Jahre sichern. Das scheint nun aber nicht mehr so klar.
Scheiterte er in der ersten Runde an der 50-Prozent-Hürde, müsste er in die Stichwahl am 8. Juli. Wenn sich dann die Opposition geschlossen gegen Erdoğan verbündete, wäre eine Niederlage des Präsidenten durchaus möglich, meinen Beobachter. Deswegen könnten im ersten Anlauf die Stimmen der Auslandstürken von entscheidender Bedeutung sein.
Denn in den europäischen Ländern mit den meisten türkischen Migranten (siehe Grafik) hat Erdoğan eine treue Gefolgschaft. Bei dem Verfassungsreferendum des Vorjahres, das einer Abstimmung über die Politik des Staatschefs glich, votierten in Deutschland 63 Prozent, in Frankreich 65, in den Niederlanden 71 und in Belgien 75 Prozent mit Ja. In Österreich waren es ebenfalls fast drei Viertel (73 Prozent). In der Türkei schaffte es der Präsident trotz eines medialen Trommelfeuers gerade einmal auf knapp über 51 Prozent. In den Städten Istanbul, Ankara und Izmir überwogen gar die Nein-Stimmen.