Dunkle Spuren: Vier Freunde und ein tödlicher Rausch
Es ist keine Nobelvilla, wie es viele in der Gegend gibt. Es ist ein schönes Haus am Stadtrand von Wien-Döbling, ein bisschen in die Jahre gekommen. Dazu ein kleiner Garten. In der Küche dreht der Familienhund seine Runden. Am Tisch sitzt Alice K. „Plötzlich sind Polizisten vor unserer Tür gestanden“, erinnert sie sich. „Sie haben gesagt: Ihr Sohn Klemens ist tot.“
Klemens war 19 Jahre alt, als er im vergangenen Jänner im Stiegenhaus eines Mehrparteien-Wohnhauses tot aufgefunden worden war. Nur ein paar Kilometer entfernt von seinem Elternhaus. Gestorben an einer Drogenüberdosis. „Das war ein Schock. Mir war nicht bewusst, dass man heute noch an Drogen sterben kann. Er hat ja nichts gespritzt“, sagt seine Mutter.
Auf der Suche
Doch wie konnte es dazu kommen? Klemens war kein Junkie. Er hatte eine intakte Familie. Er hatte Freunde. Und trotzdem spürte er eine Leere. „Er konnte sich nicht lange für etwas begeistern. Das ist dann auch in der Schule zum Problem geworden“, erzählt seine Mutter. "Klemens wollte immer der Beste sein", meint Schwester Karolina. Klemens brach die Schule ab, ging auf Jobsuche. Scheiterte. "Das war schwierig für ihn, dass er keine Ausbildung gefunden hat. Er hat einfach noch nicht seinen Platz gefunden. Das ist für viele junge Leute ein Thema. Und wenn du nichts findest, bist du ein bisschen hilflos", sagt Karolina.
Klemens begann mit einer Abendschule. Dann kam Corona.
„Diese Zeit hat, glaube ich, sehr viel mit ihm gemacht“, sagt Valentina, die Cousine von Klemens. Und sie führte auch dazu, dass Klemens Drogen probierte. Erst rauchte er Marihuana. Dann griff er zu härteren Drogen. Und schließlich kam er nicht mehr nach Hause.
„Wir hatten zwar täglich telefonischen Kontakt. Aber er hat mich immer vertröstet, er musste immer noch irgendwas erledigen“, erinnert sich seine Mutter.
In Wirklichkeit war Klemens bei neuen „Freunden“. Er hatte die beiden Brüder erst wenige Tage zuvor kennengelernt. Am Abend vor seinem Tod hielt er sich in ihrer Wohnung auf. Auch zwei Mädchen waren da. Gemeinsam konsumierten sie Drogen. Dann gingen sie schlafen. Klemens blieb auf der Couch liegen.
Es war gegen 2 Uhr nachmittags, als Alice K. versuchte, ihren Sohn zu erreichen. Ein Mädchen hob das Handy ab. „Ich habe sie wohl aufgeweckt“, sagt die Mutter. Das dürfte auch der Zeitpunkt gewesen sein, als die Jugendlichen bemerkten, dass Klemens Probleme beim Atmen hatte.
Was dann passierte, ist Inhalt von polizeilichen Ermittlungen. Denn die Anwesenden dürften Panik bekommen haben. Sie sollen Klemens angezogen und in das Stiegenhaus getragen haben. Erst dann wurde die Rettung alarmiert. Für Klemens war es zu diesem Zeitpunkt zu spät. Er hatte einen Atemstillstand.
„Wir kennen ihn nicht“, erklärte ein junger Mann der eingetroffenen Polizei. Doch das stellte sich rasch als falsch heraus. Als die Beamten Nachschau in der Wohnung hielten, fanden sie dort unter anderem den Rucksack von Klemens. Und Drogen.
Ermittlungen
Gegen die vier Anwesenden wird nun wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt. Laut Gutachten des Gerichtsmediziners hatte Klemens zuvor unter anderem Heroin und Speed konsumiert. Dennoch: Wäre sofort der Notarzt verständigt worden, würde Klemens noch leben.
Doch die Geschichte von Klemens war kein Einzelfall. Nur wenige Tage vor seinem Tod starb sein Freund T. in der Wohnung seiner Eltern. Er war ein Freund von Klemens. „Unser Sohn ist nicht obduziert worden“, sagt seine Mutter. „Wir fühlen uns ohnmächtig. Die Behörden schauen zu.“
Und nur wenige Wochen später, wurden zwei weitere Freunde von Klemens mit einer Überdosis gefunden. Die beiden starben gemeinsam in einer Wohnung in Wien-Simmering. Beide kämpften schon zuvor gegen ihre Sucht. M., der gerade erst 18 geworden war, wurde auf einem Bauernhof betreut. „Klemens war in täglichem Kontakt mit ihm. Mein Sohn hat mir auch erzählt, dass er versucht hat, zu helfen“, erinnert sich Alice K. Der andere wiederum soll Klemens im Vorfeld vor den beiden Brüdern gewarnt haben. Sie seien schon „zu tief unten.“
Tot im Badezimmer
Die jungen Männer starben am 27. Februar. Sie lagen nebeneinander im Badezimmer. Abschiedsbrief hinterließen sie keinen. Aber von einem wurden Notizen gefunden – er schrieb, wie sehr er Klemens vermisste.
Jährlich sterben rund 200 Menschen in Österreich an Drogen. "Der Drogenmarkt hat sich in den letzten Jahren nicht stark verändert. Was sich verändert hat, ist die Online-Suchtmittel-Kriminalität", sagt Daniel Lichtenegger, Leiter des Suchtmittel-Büros im Bundeskriminalamts. Cannabis ist die Nummer eins. Kokain und Heroin sind geblieben. Und die Qualität der beiden Drogen hat sich zuletzt massiv gesteigert. "Kokain gibt es teilweise mit über 80 Prozent Reinheitsgrad auf der Straße", sagt Lichtenegger. Die Qualität von Heroin hat sich von zwei bis drei Prozent auf aktuell fast 40 gesteigert. "Es wundert mich, dass es nicht mehr Todesfälle gibt", sagt Lichtenegger.
Was ihn aktuell massiv beschäftigt, sind die synthetischen Drogen. Der überwiegende Teil stammt aus den Niederlanden. "Viel wird mit der Post verschickt", sagt er.
Die Konsumenten sind bunt gemischt. Aber gibt durchaus auch Fälle, die Lichtenegger nachdenklich machen. Etwa dann, wenn Kinder als Konsumenten erwischt werden. "Anzeigen gibt es auch bei unter 10-Jährigen", weiß er.
Oft fallen Drogenprobleme bei Jugendlichen in der Schule auf. Dann werden Experten wie Irene Köhler oder Michael Guzei zu Hilfe gerufen. Sie sind beide in der Prävention tätig.
Joint in der Landschulwoche
"Ich war vor Kurzem in einer Schule, weil es auf einer Landschulwoche in einer dritten Klasse Cannabiskonsum gab", schildert Köhler. "Bei den Gesprächen ist rausgekommen, dass ein Bursche das vom Papa mitgehen hat lassen." "Besser, er raucht einen Joint als wenn er sich niedersauft", hört sie dann immer wieder.
Was die beiden Experten dann machen: Gemeinsam mit den Jugendlichen Alternativen suchen. Und keinesfalls jemanden zu verschämen. "Ich plädiere ganz stark, ja nicht zu verurteilen. Und auch den Eltern sagen wir: Gehen Sie weiter ins Leben und arbeiten Sie das möglichst mit guter Hilfe auf. Alles, was hier passiert, ist tief menschlich. Was es unmenschlich macht, ist die gesellschaftliche Bewertung."
Unterstützung bekommen Drogenkonsumen bei Einrichtungen wie dem Verein Dialog in Wien. Der Wartebereich in der Zweigstelle in der Gudrunstraße wirkt wie ein großes Arzt-Wartezimmer. Grauer Linnoleum-Boden, weiße Wände, Plastikstühle, ein paar Grünpflanzen. Gerhard Rechberger ist hier der ärztliche Leiter.
"Von Sucht spricht man im Wesentlichen dann, wenn man die Kontrolle über die Einnahme der Substanz verliert", sagt er. Speziell bei Opiatabhängigen ist die Sterberate hoch. "Werden sie nicht behandelt, dann sind nach 20 Jahren ungefähr 40 Prozent verstorben." Nur bei längerfristigen Konsumenten liegt das an körperlichen oder organischen Schäden durch den Konsum. "Bei den jungen Patienten ist eine Überdosierung die Hauptgefahr", weiß Rechberger.
Eltern von suchtkranken Jugendlichen wollen oft helfen - und bewirken das Gegenteil. "Wenn sie die Entzugserscheinungen sehen, dann geben sie ihnen manchmal Geld, damit sie sich Drogen kaufen können. Oder sie kaufen sie selbst", weiß er aus Erfahrung. Andere haben die Vorstellung: Ein Entzug im Krankenhaus - und alles ist wieder gut. "So einfach ist das aber nicht", sagt der Mediziner.
Manche Patienten sind bis an ihr Lebensende in einem Drogenersatz-Programm.