Nationalismus kann die EU zerfetzen
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übt sich in Zweckoptimismus: "Wir sind nicht am Anfang vom Ende. Unsere Probleme sind im Vergleich mit jenen unserer Eltern und Großeltern klein", sagte er kürzlich in Brüssel. Historisch gesehen hat er recht.
Auch wenn der luxemburgische Christdemokrat gegen die Zerfallserscheinungen der EU ankämpft, glauben viele, dass ein Scheitern des Integrationsprojektes Europäische Union nicht mehr auszuschließen sei.
Die inneren Verwerfungen sind gewaltig: Sie reichen von der Schuldenkrise, die Griechenland beinahe aus dem Euro katapultiert hätte, über Wachstumsschwäche, hohe Arbeitslosigkeit, nationale Alleingänge bei der Lösung der Flüchtlingsfrage durch Zäune und Grenzkontrollen bis hin zum möglichen Austritt Großbritanniens. Dazu kommen in Ungarn und Polen Angriffe auf den Rechtsstaat, dem Fundament unserer Demokratie. Eine Gefahr sind seit Jahren die erstarkten Rechtsparteien, deren Ziel die Zerschlagung der EU ist und die Abschottung, Rassismus und Antisemitismus als Mittel gegen die Krise propagieren. Den Erosionsprozess der EU verstärkt das sinkende Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit europäischer Politiker. Viele sehen sich als Wohlstandsverlierer und wenden sich extremen Parteien und Positionen zu.
Auch von außen ist die EU gefordert: Der Russland- und Ukraine-Konflikt, die instabile Region im Nahen und Mittleren Osten sowie der islamistische Terror.
Das alles ist den Spitzen der EU bewusst. In exklusiven Runden wird in Kommission, Rat und Parlament über die Zukunft der EU diskutiert. Mit dem totalen Zerfall des Projektes, also ein Europa ganz ohne EU (wie gleich nach dem Zweiten Weltkrieg), rechnet niemand. Das hätte enorme negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und die soziale Sicherheit aller Länder, Österreich wäre da keine Ausnahme. Viel wahrscheinlicher ist ein Europa mit einem harten Kern von willigen Ländern und unterschiedlichen Intergrationsstufen. Ein Überleben der EU steuert in diese Richtung und würde Europa einen neuen Ruck versetzen.
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