So wurde der Atter- zum Milchsee

So wurde der Atter- zum Milchsee
In Seewalchen (OÖ) demonstrierten am Donnerstag Bauern für faire Lebensmittelpreise. Karikaturist Haderer unterstützt die Aktion.

"Freimilch schenken statt schleudern": Unter diesem Motto teilten Bauern am Donnerstag in Seewalchen am Attersee frische Milch an Passanten aus – flankiert von Holz-Kühen des Karikaturisten Gerhard Haderer. Fünf Stück hat er exakt an seinem 65. Geburtstag auf Wunsch einer Freundin gezeichnet – und an zwei Abenden gemeinsam mit einem Dutzend Bauern aus der Region gezimmert.

Die Bauern sind Mitglieder der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_Innen Vereinigung ÖBV und wünschen sich eine andere Agrarpolitik. Denn: Vom (drastisch gesunkenen) Milchpreis könne man nicht mehr leben, das schade den Bauern und ihren Tieren, immer mehr Betriebe sperren zu.

Haderer selbst lebt das halbe Jahr in Steinbach am Attersee und will Bewusstsein für den Wert natürlicher Nahrungsmittel aus der Region schaffen. Seit drei Wochen gastieren seine Holzkühe auf einer Wiese vor dem Kaffeehaus "Bandlkramerey" der Trachten-Unternehmerin Gexi Tostmann, die das Anliegen ebenfalls unterstützt. Dort traf ihn der KURIER, gemeinsam mit der Milchbäuerin Hildegard Bachler.

KURIER: Herr Haderer, wie sind Sie zur Aktion gekommen?

Gerhard Haderer: Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit ähnlichen Themen, die da heißen: Schätzen Konsumenten die Lebensmittel richtig ein? Oder sitzen sie nur vor dem Fernseher, wo sie eine Idylle vorgeführt bekommen, in der das kleine Schweinchen "ja natürlich" mit dem Bauern plaudert?

Der Bauer im TV-Spot ist doch sympathisch, das Ferkel lustig. Warum hassen die Bauern das?

Haderer: Klar sind sie sauer, weil es die Karikatur der Realität ist. Falls die Supermärkte morgen beschließen, die Tore nicht mehr zu öffnen, werden Hunderttausende Kunden davor verhungern, weil sie nicht mehr wissen, wie man Erdäpfel anbaut und ein Tier schlachtet. Wenn es aber noch Menschen gibt, die dieses Wissen haben, haben sie Respekt verdient – und es sollte gefälligst auch fair mit ihnen umgegangen werden. Das ist mein ganz naiver Ansatz. Der Grundgedanke ist: Es gibt ein menschliches Maß und ein Maß der Großkonzerne. Auf welcher Seite ich da stehe, ist ganz klar!

Die Handelskonzerne fördern bio und regional stark. Dennoch fühlen sich die Bauern nicht unterstützt?

Hildegard Bachler: Der Handel gibt den Bauern vor, wie und zu welchem Preis sie produzieren müssen. Bei den Eigenmarken der Handelskonzerne sind wir austauschbar. Der Konsument weiß nicht, wer das Lebensmittel liefert. Daher fordern wir bessere Produktkennzeichnung.

Im AMA-Gütesiegel weiß man wenigstens, dass Österreich drin und die Qualität hoch ist.

Bachler: Aber selbst so ein Lebensmittel darf 15 Prozent ausländische Produkte enthalten – etwa Mango im Joghurt. Nehmen Sie meine Rohmilch: Sie ist gesundheitlich unbedenklich, aber ich darf sie nur in meinem Hof so verkaufen. Wissen Sie, wie Milch behandelt wird, nachdem sie von uns abgeliefert wurde? Pasteurisieren ist da noch das Harmloseste. Die Milch wird in der Molkerei komplett zerlegt und wieder zusammengebaut. Und in vielen Lebensmitteln, etwa Speise-Eis, wird Milch- durch billiges Palmfett ersetzt.

Sind die Auflagen für Lebensmittel zu streng?

Bachler: Zu streng würde ich nicht sagen, sondern unberechenbar. Alle drei bis vier Jahre gibt es neue Bestimmungen, wo man wieder investieren muss.

Die Milchquote ist voriges Jahr ausgelaufen. Seither produzieren Bauern zu viel Milch, daher sinkt der Preis. Das nennt man schlicht Marktwirtschaft. Kann man das denn bekämpfen?

Bachler: Hätten wir eine ehrliche Marktwirtschaft, gäbe es die Probleme nicht. Aber die Überproduktion wurde in den letzten Jahren ja gefördert. Wer mehr produziert, kriegt mehr Förderung.

Was wäre ein gutes System für die Milchbauern?

Bachler: Dazu gehört zum Beispiel, die Kuh wieder so zu füttern, wie es sich gehört – also nicht mit Mais. Uns wird immer vorgeworfen, dass wir gefördert werden – aber gefördert wird ja eigentlich der Bürger. Niemand weiß mehr, was unsere Lebensmittel wirklich wert sind. Und dass wir eine kleinbetriebliche Struktur in Österreich haben, ist ein großer Schatz, den man erhalten soll. Viele Bauern leben nur noch von der Substanz und investieren nicht mehr.

In Wahrheit haben Sie eine starke Vertretung, die zum Beispiel gerade einen Sozialversicherungsrabatt verhandelt.

Bachler: Glauben Sie denn, dass wir damit glücklich sind? Jeder hält uns das vor.

Welche Rolle spielen Sie bei der Aktion, Herr Haderer?

Haderer: Eine sehr kleine, und ich bin nicht bereit, mich an Milchkannen anzuketten (lacht). Ich will, dass Menschen genauer hinschauen. Am Attersee-Radtag gab es die erste Aktion dazu, die Reaktion war positiv.

Bachler: Wir wollen mehr Familienbetriebe. Massentierhaltung soll vermieden werden. Wir wünschen uns ein gutes Leben für alle.

Ist denn small wirklich immer beautiful? Den Tieren kann es in einem großen, modernen, voll automatisierten Stall besser gehen als in einem kleinen.

Bachler: Naja, man kann sich drei Stunden in einem vollen Fußballstadion auch wohlfühlen – aber sein Leben will man darin nicht verbringen.

Haderer: Wir haben gesagt, jetzt fangen wir mal mit einer Demonstration auf einer kleinen grünen Wiese in Steinbach an, wo die Radlfahrer vorbeifahren.

Bachler: Dann ist Gexi Tostmann auf die Aktion aufmerksam geworden, und nun schenken wir an ihrem Geburtstag bei ihr zum zweiten Mal Freimilch aus.

Haderer: Und ich bemale dabei mit Kindern die Kühe. Wir haben eine Diskussion in Gang gebracht.

Bachler: Auch aus dem Mühlviertel ist schon eine Anfrage für die Kühe gekommen.

Das werden jetzt Reisekühe?

Haderer: Kann sein, dass sie eine Tournee unternehmen und auch einmal vor dem Parlament stehen – wer weiß? Hoffentlich bewegt das auch viele Konsumenten.

Bachler: Wir haben bewusst auf das Schild geschrieben: "Bei diesen Preisen geht uns die Luft aus". Es geht ja nicht nur um den Milchpreis, sondern auch um den Fleisch- und den Getreidepreis.

Haderer: Ich habe diesen Hilfeschrei gehört und mich damit zu beschäftigen begonnen. Da kommt man dann schnell auf die großen Themen der Politik. Als Konsument sollte man sich einige Fragen zur vorgespiegelten schönen, heilen Konsumwelt stellen. Und die Antworten gibt die Hildegard. Die Situation für die Bauern ist unerträglich und wird noch schlimmer.

Zwei Welten:

Hildegard Bachler (49) arbeitet in einem seit vielen Generationen bestehenden Familienbetrieb am Attersee. Sie hat 25 Milchkühe.
Gerhard Haderer (65), Karikaturist, zeichnet wöchentlich für das deutsche Magazin Stern, außerdem für die OÖN und die Kleine Zeitung.


Milchpreis: Die EU-Milchquote ist im April 2015 ausgelaufen. Sie wurde seinerzeit als Reaktion auf „Butterberge“ und „Milchseen“ eingeführt. Die Bauern liefern nun mehr Milch, dadurch ist der österreichische Preis um ein Drittel eingebrochen. Die Politik diskutiert nun Hilfe für die Bauern.

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