Onkel Ali statt Tante Emma

Onkel Ali statt Tante Emma
Migranten. Türken als Unternehmer, Kunden, Arbeitskräfte: Im Verborgenen tragen sie viel zur heimischen Wirtschaft bei – doch viel Potenzial bleibt auch ungenützt.

Die Wiener lieben ihre Konditorei Demel am Kohlmarkt. Wer es exquisiter mag, speist im Do & Co im Haas Haus mit Blick auf den Stephansplatz. Und die halbe Innenstadt wurde von der Umbau- und Abbruchfirma Ay-Ka Bau umgebaut. Alle drei Firmen haben eines gemeinsam: Sie gehören gebürtigen Türken. EU-weit hat Österreich mit 1,9 Prozent den größten Bevölkerungsanteil an türkischen Migranten, dicht gefolgt von Deutschland mit 1,8 Prozent. 265.000 Menschen sind hierzulande laut Statistik Austria türkischer Herkunft. Birol Kilic, Obmann der türkischen Kulturgemeinde und Geschäftsführer des „Neue Welt“-Verlags, geht von 300.000 aus. Denn mittlerweile sei schon die vierte Generation in Österreich geboren.

Die Zuwanderung der Türken konzentriert sich auf die Bundeshauptstadt. Zuwanderung bringe auch der Wirtschaft was, befindet die Wirtschaftskammer Wien (WKW): Migranten stärken den Wirtschaftsstandort – sie erschließen neue Kundengruppen, schlagen die Brücke zu den Märkten in den Herkunftsländern, ihre Geschäfte beleben sterbende Einkaufsstraßen. Um das Behördenimage unter den Migranten loszuwerden, gehen türkischstämmige Mitarbeiter des Diversity Referats der WKW in die Community, um Unternehmer zu beraten.

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An 5300 Unternehmen mit türkischem Hintergrund versendet Birol Kilic seine Monats-Zeitung „Yeni Vatan Gazetesi“. 7000 Unternehmen mit türkischem Hintergrund dürfte es in ganz Österreich geben, schätzt er. Die meisten seien Klein- und Mittelbetriebe, mit zusammen etwa 30.000 Mitarbeitern – „davon die Hälfte Österreicher“. Die Wirtschaftskammer hat dazu keine Zahlen parat. Wo früher der Greißler ums Eck als Tante-Emma-Laden die Nahversorgung garantierte, ist es nun also Onkel Ali. Die Unternehmen sind aber längst nicht mehr nur auf Greißler, Döner-Bude und Änderungsschneidereien beschränkt – so wie die erste Generation es aus ihrer Heimat kannte. „Viele austrotürkische Unternehmer der zweiten Generation sind in der Bau- und Textilbranche aktiv oder machen sich selbstständig im Bereich Grafik und Mode“, sagt Kilic. Auch Anwälte, Steuerberater, Handwerker und Techniker sind darunter. Oft würden vermeintlich „österreichische“ Firmen von Türken geführt. „Hier ist eine Bewegung da, die man nicht sieht“, so Kilic. „Daran sieht man, dass erfolgreiches Management nicht an eine bestimmte Kultur gebunden ist“, meint dazu Döne Yalcin, Präsidentin des Verbands Österreichischer und Türkischer Unternehmer und Industrieller (ATIS).

Österreichische Unternehmen werden auch immer wieder von Türken übernommen, heißt es aus der WKW. Wenn der Inhaber in Pension geht oder es schlecht läuft. Ein Beispiel ist die Glaserei Sindelar in Wien-Favoriten. Nachdem der Wiener Besitzer in Pension gegangen war, übernahm die türkisch geführte Glaserei Tayfun 2011 das Unternehmen. Die Ehefrau des früheren Inhabers arbeitet weiterhin im Büro mit.

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REUTERSTeam Redbull pilot Peter Besenyei of Hungary flies past the Hagia Sofia (Ayasofya), a sixth century Byzantinian monument, during the elimination round for the Red Bull Air Race world series over Golden Horn in Istanbul June 1, 2007. REUTERS/Fatih
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REUTERSWomen shop at the Ottoman-era spice market known as the Egyptian Bazaar during preparations for the upcoming holy month of Ramadan, in Istanbul August 20, 2009. Muslims around the world abstain from eating, drinking and conducting sexual relations
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Ersan und Azra kaufen auch

Die heimischen Unternehmen entdecken die Türken auch zunehmend als Kunden. Es gibt Halal-Fleisch bei Merkur, Hochzeitskredite für türkische Paare bei Raiffeisen und „Süt“ statt Milch von NÖM. Rund 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro beträgt die Kaufkraft der türkischstämmigen Menschen in Österreich, hat die Unternehmensberatung Çalışkan für 2009 errechnet. Die Zahlen differieren: Denn laut Regiodata sind es 400 Millionen Euro (Stand 2010), demnach sei die Kaufkraft der Türken nur halb so hoch wie jene der Österreicher. Mehr Potenzial sei für österreichische Unternehmen in jedem Fall drin, sagt Geschäftsführer Çağlayan Çalışkan: „Die türkische Zielgruppe schätzt Markenprodukte und ist konsumfreudig.“ Die Ausrichtung auf Ethnomarketing würde auch neue Arbeitsplätze schaffen: „Die Unternehmen benötigen dafür Mitarbeiter, die eben aus diesen Communities stammen.“ Was für sie wiederum Karrierechancen bedeute.

Arbeit, die keiner will

Und die waren für die erste Generation der türkischen Zuwanderer sehr limitiert. Als Gastarbeiter, die geblieben sind, werden sie für Hilfsarbeiten, am Bau, als Putzkräfte eingesetzt. Mit einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent waren Türken im Vorjahr doppelt so häufig arbeitslos wie Österreicher. Auch der Anteil der Arbeiter ist mit 66 Prozent nach wie vor hoch. Das Bildungsniveau der ersten Generation ist niedrig, aber höher als in anderen EU-Ländern: Die Hälfte der türkischen Väter haben die mittlere Schule absolviert, 28 Prozent lediglich die Pflichtschule.

Ihren Kindern geht es nur teilweise besser. Einer von drei jungen Türken schafft maximal die Pflichtschule, nur jeder fünfte kommt bis zur Matura. Die gut Qualifizierten unter ihnen sind jedoch gefragt: „Die Türkei ist ein wachsender Wirtschaftsmarkt. Für international tätige Unternehmen in Österreich wird es künftig spannend sein, Personen mit türkischem Migrationshintergrund einzusetzen“, sagt Margit Kreuzhuber, Migrationsexpertin der WKO.

Wie Döne Yalcin – sie begleitet als Anwältin bei der Kanzlei CMS Reich-Rohrwig Hainz heimische Firmen beim Markteintritt in der Türkei. „Die gegenseitigen Investments beider Länder schaffen neue Arbeitsplätze“, sagt sie. Während Österreich mit der Rot-Weiß-Rot-Card Fachkräfte ins Land holen will, gibt es bei den Austrotürken den gegenteiligen Effekt: Fast jeder zweite Akademiker will in die Türkei auswandern.

Die Akademiker zieht es weg

Noch immer kommen deutlich mehr Türken nach Österreich als abwandern. Die Rot-Weiß-Rot-Card dürfte sich allerdings künftig auf die Zuwanderung auswirken. Der Zuzug der Türken ist in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen, der Wegzug ist in etwa gleich geblieben. Im Jahr 2007 sind laut Statistik Austria 5237 Türken nach Österreich gekommen, 2010 waren es nur mehr 4338. Ausgewandert sind 2007 2991 Türken, drei Jahre später waren es 2963.

Gleichzeitig wächst die Zahl der österreichischen Immigranten in der Türkei. Der Grund: Die zweite Generation kehrt ins Land ihrer Eltern zurück. 42,6 Prozent der türkischstämmigen Jungakademiker wollen in den nächsten fünf Jahren in die Türkei auswandern – wegen der boomenden Wirtschaft dort einerseits und dem Rassismus hierzulande einerseits. Das ist zwar das Ergebnis einer deutschen Studie, lässt sich laut Österreichischem Integrationsfonds auch auf Österreich übertragen.

 

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