Gabriel Zucman: "Es ist naiv, den Bankern zu trauen"

"Österreich ist keine Steueroase. Man hat das aber lange geglaubt, wegen des Bankgeheimnisses", so Ökonom Zucman.
Der Kampf gegen Steueroasen ist noch nicht gewonnen, sagt der junge Starökonom Gabriel Zucman.

Ein höflicher, fast schüchterner junger Mann: Dass Gabriel Zucman einen kometenhaften Aufstieg hinter sich hat, würde man auf den ersten Blick nicht vermuten. Der Franzose gilt als jüngster Shootingstar unter den linksgerichteten Ökonomen. Er hat einen Bestseller verfasst, wird von Nobelpreisträgern hofiert und lehrt als Assistenzprofessor an der weltberühmten London School of Economics. Und all das im zarten Alter von 28 Jahren.

Einer der Gründe für den sagenhaften Erfolg: Zucman beschäftigt sich wie sein früherer Lehrer Thomas Piketty ("Kapital im 21. Jahrhundert") mit populären Aufreger-Themen wie der Schieflage der Vermögen oder Steuerhinterziehung. Und er hat plausibel berechnet, wie viel Geld in Steueroasen gebunkert ist (siehe Grafik) und vor den Finanzbehörden versteckt wird.

Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Steuerparadiese sind naturgemäß wenig auskunftsfreudig. Zucman kam den Beträgen mit einer cleveren Beobachtung auf die Spur: Er verglich die Statistiken zu internationalen Finanzströmen und stellte fest, dass bei den offiziellen Zahlen zum Wertpapierbesitz von Ausländern eine eklatante Lücke klafft. Seine These: Das ist nur durch das Bankgeheimnis erklärbar – Behörden können die Papiere, die dort lagern, nicht korrekt verbuchen, weil sie von ihrer Existenz gar nichts wissen.

Hohe Steuerausfälle

So kommt er auf 5800 Milliarden Euro, die bei Offshore-Banken gebunkert sind – etwa 8 Prozent des gesamten globalen Finanzvermögens. 1800 Milliarden Euro sollen allein in der Schweiz liegen, der Rest in exotischeren Destinationen wie Singapur oder auf den Cayman Islands.

Etwa 80 Prozent davon dürften unversteuert sein, schätzt Zucman. Somit koste die Steuerhinterziehung durch Superreiche die Staaten jährlich 130 Milliarden Euro – weil die Steuern auf Zinsen und Dividenden, Erbschaften und Vermögen nicht bezahlt werden. Allein den europäischen Staaten entgingen dadurch mehr als 55 Milliarden Euro im Jahr.

Am Freitag referierte Zucman vor 450 Zuhörern in der Arbeiterkammer Wien und stand Journalisten Rede und Antwort. Nachgefragt zu:

Österreich, eine Steueroase?

Nein. Das haben viele gedacht, weil Österreich an der Seite Luxemburgs so vehement für das Bankgeheimnis gekämpft hat. Aber das Vermögen von Ausländern beträgt hier 30 Milliarden Euro. Das ist nur ein Zehntel des Betrags, der in Luxemburg liegt und gar nichts verglichen mit den 2,5 Billionen Dollar in der Schweiz.

Unversteuerte Vermögen von Österreichern

Weil die meisten Steueroasen gar keine Daten veröffentlichen, ist es unmöglich, das zu beziffern. Genau deshalb wäre es so wichtig, ein weltweites Register zu haben, in dem alle Finanzvermögen verzeichnet sind.

Das ist machbar: In jedem Land führt eine Finanzinstitution Buch, wem welche elektronischen Wertpapiere gehören. Die EU könnte relativ rasch ein solches Register aufbauen. Oder sie könnte das Thema in die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP, Anm.) aufnehmen.

Kampf gegen Steuerbetrug

Es hat große Fortschritte gegeben. Bis Ende des Jahrzehnts sollte der automatische Austausch von Bankdaten anlaufen. Theoretisch erhalten dann Länder wie Frankreich oder Österreich viele Informationen aus der Schweiz oder den Cayman Islands. Das baut aber darauf, dass man Bankern in Steueroasen trauen kann und sie ausländische Vermögen wahrheitsgetreu melden. Viele werden das tun, aber sicher nicht alle. Jene, die zuvor bei der Hinterziehung geholfen haben, sollen jetzt Steuern eintreiben? Das ist ein bisschen naiv.

Sanktionen

Betrüger, Offshore-Banker und Steueroasen werden ihr Geschäft nur einstellen, wenn es zu teuer und gefährlich wird. Deshalb sind harte Sanktionen nötig. Jenen Ländern, die nicht kooperieren wollen, könnten im Handel hohe Strafzölle auferlegt werden.

Ende des Steuerwettbewerbs

Weltweit einheitliche Steuern zu verlangen, wäre nicht sehr sinnvoll. Seien wir pragmatisch: Es darf künftig nicht mehr möglich sein, dass ein Land die politischen Entscheidungen eines anderen Staates aushebelt und dessen Steuern stiehlt – etwa wenn ein Land eine Vermögenssteuer einheben möchte.

Steuervermeidung durch Großkonzerne

Eine globale Zahl habe ich dafür nicht, aber ich weiß, dass US-Firmen sich jährlich 120 Milliarden Dollar Steuern ersparen, indem sie Gewinne in Niedrigsteuerländer verschieben. Dieses Geld fehlt den USA, aber auch anderen Staaten. Am besten sieht man die Entwicklung daran: In den 1960ern haben die Unternehmen in den USA effektiv 45 Prozent Steuern auf Gewinne gezahlt. Ende der 1990er waren es 30 Prozent, heute sind es nur noch 20 Prozent. Die Unternehmenssteuern sind drastisch gefallen.

Die EU-Verfahren gegen Starbucks oder Amazon

Es ist ein Anfang, aber sicher nicht genug. Besser als zwei Unternehmen aufs Korn zu nehmen, wäre es, die Besteuerung multinationaler Konzerne überhaupt zu ändern. Die EU diskutiert seit Jahrzehnten über eine einheitliche Bemessungsbasis für die Steuerberechnung. Die "LuxLeaks"-Affäre sollte der Anlass sein, das zu beschleunigen.

Sollte Luxemburg notfalls wirklich aus der EU fliegen?

Es muss nicht unbedingt gleich ein Rausschmiss sein. Meine Idee ist folgende: Einige EU-Länder wollen doch die Integration vorantreiben und wirtschaftlich enger zusammenarbeiten. Wenn Luxemburg sich in Sachen Steuern nicht bewegt, wird es da nicht dabei sein können.

Gabriel Zucman: "Es ist naiv, den Bankern zu trauen"

Steueroasen stehen keineswegs im Wettbewerb, sondern ihre Aufgaben greifen eng ineinander: Als Beispiel erfindet Zucman den Unternehmer Maurice, Eigentümer von Maurice & Cie in Paris, der zehn Millionen Euro in die Schweiz transferieren will. Er gründet dazu eine Scheinfirma, etwa im US-Bundesstaat Delaware, die ein Konto in Genf einrichtet.

Maurice & Cie beauftragt nun bei der US-Firma fiktive Beratungsleistungen und bezahlt diese durch Überweisung auf das Schweizer Konto. Weil der Gewinn in Frankreich geringer ausfällt, erspart sich Maurice & Cie so Körperschaftssteuer. Wird das Genfer Vermögen veranlagt, scheinen die künftigen Zins- und Dividendeneinnahmen nicht auf.

Kommentare