Argentinien-Pleite: Zur Zähmung der Widerspenstigen

So reiten die Gauchos: Geschieht kein Wunder, endet Argentiniens wilder Ritt auf den Finanzmärkten abermals mit einem Abwurf.
Insolvenzrecht für Staaten soll das Chaos zügeln – UN-Organisation arbeitet neue Regeln aus.

Nur noch zwei Tage. Argentinien steht wieder dort, wo es 2001 bereits war – kurz vor der Pleite. Damals beschloss der Andenstaat, 100 Milliarden Dollar Schulden einfach nicht zurückzuzahlen. Heute ist es anders: Sie würde gern zahlen, darf aber nicht, beteuert die Regierung in Buenos Aires. Schuld ist ein New Yorker Gericht, das die Interessen zweier widerspenstiger Hedgefonds über jene von 93 Prozent kompromissbereiten Gläubigern gestellt hat (siehe rechts). Kurz gefasst: Entweder alle sehen ihr Geld – oder gar niemand. Argentinien wäre in jedem Fall pleite. Welch ein Chaos.

So könnte die neue Normalität aussehen, warnen Experten. Üblicherweise erpressen Pleitestaaten ihre Kreditgeber nämlich mit einem eher unanständigen Angebot: Ihr seht zwar nur einen Teil eures Geldes wieder – aber besser als gar nichts.

Das US-Gerichtsurteil stellt das jedoch auf den Kopf. Es bedeutet: Wenn ich mich als Geldgeber querlege und das Umschuldungsangebot kategorisch ablehne, habe ich Chancen, vor Gericht meine gesamte Forderung zu erstreiten. Oder ich kann wie die Hedgefonds NML Capital und Aurelius – in Argentinien nur "Aasgeier" genannt – sogar einen Riesengewinn einstreifen. Die Fonds hatten die Argentinien-Papiere nämlich billig aufgekauft.

Schuldenfalle

"Wenn diese Strategie aufgeht, hätte das große Auswirkungen. Wir würden sicher mehr ‚holdouts‘ (Schuldenschnitt-Verweigerer) sehen", sagt Michael Waibel, Experte für Staatsinsolvenzen an der britischen Eliteuni Cambridge, zum KURIER. Marode Staaten könnten sich gar nicht mehr aus dem Schuldensumpf befreien. Das Problem: Für Privatpersonen und Unternehmen gibt es fast überall ein Insolvenzrecht, das die Interessen bei einer Zahlungsunfähigkeit ausgleicht und den Weg zur Schuldenfreiheit weist. Für Staaten gibt es solche Regeln aber bis heute nicht – obwohl das schon Adam Smith, der Vater der Nationalökonomie, 1776 angeregt hatte. Deshalb geht es bei Umschuldungen noch immer zu wie im Wilden Westen oder auf dem Basar.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) wollte 2002 ein Umschuldungsregime einführen (Sovereign Debt Restructuring Mechanism) – ohne Erfolg. Nun begnügt er sich mit neuen internen Regeln, die frühzeitiger und häufiger zu Schuldenschnitten bei finanzschwachen Ländern führen werden.

Ambitionierter sind die Pläne der UNCTAD: Die Welthandels-Konferenz der Vereinten Nationen arbeitet seit Juli 2013 an Regeln (Debt Workout Mechanism), die zum globalen Standard werden sollen. Wann dürfen Staaten eine Umschuldung anstreben? Wer soll das entscheiden? Wie geht man mit renitenten Gläubigern um? All das sind Fragen, auf die die UNCTAD Antworten sucht. Rechtsverbindlich wären die Regeln allerdings nicht.

Bisher sind Gläubiger oft extrem ungleich behandelt worden, sagt Waibel – der Vorarlberger war am 7. Juli bei der vierten Arbeitssitzung von UNCTAD dabei. Als Beispiel nennt er Russland, das bei der Pleite 1998 die Inlandsgläubiger stärker geschröpft habe. Oder Griechenland: Beim Haircut 2012 kamen Anleihen nach britischem Recht völlig ungeschoren davon.Bei Argentinien sieht er eine 50:50-Chance, dass die Zahlungsunfähigkeit in letzter Minute abgewendet wird – etwa indem die US-Fonds neue Anleihen erhalten. Laut Medien will es Buenos Aires aber lieber auf die neuerliche Pleite ankommen lassen, statt sich von den verhassten "Geierfonds" rupfen zu lassen.

Im Jänner 2002 kündigt Argentinien an, Schulden in Höhe von 100 Mrd. Dollar nicht zurückzuzahlen. Nach langen Verhandlungen verzichten 2005 und 2010 rund 93 Prozent der Gläubiger auf gut zwei Drittel ihrer Ansprüche. Sieben Prozent weigern sich; einige US-Fonds ziehen vor Gericht.

Am 16. Juni 2014 wird das Urteil von US-Richter Thomas Griesa rechtskräftig: Argentinien muss alle Gläubiger gleich behandeln. Die US-Fonds sollen 1,33 Mrd. Dollar (990 Mio. Euro) erhalten – sonst bleiben die Zahlungen an alle anderen Gläubiger blockiert.

Damit droht am 30. Juli der Zahlungsausfall („Pleite“) nach Definition der Ratingagenturen.

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