An der Bürokratie sind nicht Beamte schuld, sondern wir alle

Die Wirtschaft weist ja schon seit Jahren gebetsmühlenartig darauf hin. Doch so manche österreichische Absurdität wird einem erst in einem Krisenfall wie der jetzigen Flüchtlingswelle so richtig bewusst. Oder hätten Sie gedacht, dass Kasernen, die für Rekruten in Ordnung sind, bei Flüchtlingen nicht den Auflagen entsprechen? Dass privat zur Verfügung gestellte Räumlichkeiten nicht genutzt werden können, weil es nach Geschlecht getrennte Toiletten geben müsste? Und dass vorhandene Flüchtlingslager nicht erweitert werden können, weil irgendeine Feuerstiege fehlt?

Hohe Sicherheitsstandards sind ja prinzipiell nichts Schlechtes. Aber erstens kann man es übertreiben, zweitens verlangt ein Notfall eine unbürokratische Reaktion. Deutsche Gründlichkeit sei zwar super, hat Angela Merkel kürzlich gemeint, aber "es wird jetzt deutsche Flexibilität gebraucht". Darin scheinen auch die Österreicher erstaunlich wenig Übung zu haben, obwohl sie sich gegenüber den deutschen Präzisionsmeistern gern mit ihrer tollen Flexibilität brüsten. Oft ist das aber nur Schlampigkeit und Schlitzohrigkeit.

Zweite Lift-Tür

Wer ist schuld an den sich ständig erhöhenden Auflagen? Muss sich die überdimensionierte Verwaltung selbst beschäftigen? Ist es ein Nachhall der Habsburgermonarchie mit ihrer Beamtenhochburg Wien? Ist es unsere streberische Art, EU-Richtlinien auch dann übereifrig umzusetzen, wenn man sie für unvernünftig hält? Stimmt alles nur zum Teil. Schuld sind auch die Medien, die bei einem Unfall nach strengeren Regeln rufen und fragen, wo denn die Kontrolle blieb. Dann wird Taglicht bei Autos eingeführt (und wieder abgeschafft), und in Zehntausenden Liften muss eine zweite Tür eingebaut werden. Ganz oft ist es sogar die Wirtschaft selbst, die sich Normen und Rechtssicherheit wünscht – oder Neuregelungen so lange blockiert, bis der gefundene Kompromiss ein richtig großer Pallawatsch wird, wie beim Tabakgesetz geschehen. Wenn die Wirte jetzt "Skandal" schreien, weil sie gezwungen sind, ihre Lokale innerhalb weniger Jahre gleich zwei Mal umzubauen, dann sollten sie lieber ihrer Vertretung einen Wutbrief schicken, vor der die Politik damals in die Knie gegangen ist. Auch die zu Recht über ihre Gängelung stöhnende Landwirtschaft hat sich gerade eben einen Agrarmarkt-Regulator gewünscht, um gegen die Dumpingpreise im Handel vorgehen zu können. Was natürlich bedeutet: neue Bürokratie.

Garantierte Keimfreiheit

Wenn sich gleichzeitig die Konsumenten darüber aufregen, dass die kleinen Fleischhauer alle verschwunden sind und man nur noch in Plastik eingeschweißtes, nach Plastik aussehendes Fleisch im Supermarkt kriegt, dann sind auch sie selbst daran mitschuld. Verlangen sie denn nicht tausendprozentige Lebensmittelsicherheit? Doch maximale Keimfreiheit und penibelste Inhaltsangaben kann eben nur die Industrie garantieren. Die Katze beißt sich in den Schwanz.

Wer wieder kleine Fleischer will oder zum Beispiel billigeres Wohnen, muss sich für Deregulierung einsetzen. Das erfordert mündigere Bürger, die auch einmal in Kauf nehmen, dass ein Teil ihres Lebens nicht (scheinbar) zu 100 Prozent abgesichert ist. Im Zweifel muss man dann selbst ein Restrisiko übernehmen. Wollen wir das wirklich?

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