Warum die Natur in bewegten Zeiten ein Anker ist

High angle shot of a carefree young woman relaxing in a field of grass and flowershttp://195.154.178.81/DATA/i_collage/pi/shoots/805935.jpg Urheberrecht: PeopleImages Stock-Fotografie-ID:79251987
Fühlen, hören, schmecken – oft haben einfache Dinge die größte Wirkung.

Träumen Sie gerade wehmütig von den malerischen Sonnenuntergängen des kürzlich zu Ende gegangenen Sommerurlaubs, während sich draußen schon der Herbst ankündigt? Falls es vielleicht sogar regnet: Wunderbar! Eine herrliche Gelegenheit, statt sich über das Heraufdräuen der dunklen Jahreszeit zu ärgern, einmal diesen einzigartigen Gerüchen nachzuspüren, die Niederschläge in der Natur hervorrufen. Dafür gibt es sogar einen Namen: "Petrichor" (aus dem Griechischen) beschreibt den an Öl erinnernden Geruch, den Regen in Böden und Felsen freisetzt.

Neu erden und verwurzeln

Das ist nur eine der vielen Ideen, die die australische Kommunikationsdesignerin Anna Carlile gesammelt hat, um in ihren pulsierenden Großstadtalltag in Melbourne kleine Naturerlebnisse zu integrieren. Denn in hektischen, unsicheren Zeiten sind Rückzugsorte wichtiger denn je. Weil sie uns einen Anker liefern, mit dem wir uns im wahrsten Wortsinn wieder erden und neu verwurzeln können. Und die Natur spricht alle Sinne des Menschen an: Sie lässt sich fühlen, hören und schmecken. Und oft sind es die ganz kleinen, fast vergessenen Dinge, die am besten entschleunigen und Raum für neue Gedanken oder Lösungsansätze schaffen.

Den Rhythmus spüren

Warum die Natur in bewegten Zeiten ein Anker ist
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Ob man nun am liebsten im eigenen Garten in der Erde wühlt, nachts dem Mond beim Zu- und Abnehmen zuschaut oder bei einem morgendlichen Waldspaziergang mit dem Hund die Seele baumeln lässt, ist im Grunde egal. Es gehe darum, den Rhythmus zu spüren, meint Anna Carlile. Dass die Natur dabei ein großes Potenzial zur Heilung hat, bestätigen Wissenschaftler immer öfter. Nehmen wir nur den Wald: Koreanische Forscher fanden heraus, dass bereits ein einstündiger Waldspaziergang Adrenalinausschüttung, Blutdruck, Herz- und Pulsfrequenz deutlich senkt. Im gleichen Ausmaß nahm die Lungenfunktion zu. Dazu wird auch das Immunsystem angekurbelt. Eine japanische Studie zeigte kürzlich, dass sogar Killerzellen gegen Krebs aktiviert wurden.

Wissenschaftlich belegte Wirkungen

Was ebenso für das Gesundheitselixier Natur spricht: die positiven Effekte für die Erholung zeigen sich bereits nach kürzester Zeit. Britische Wissenschaftler stellten fest, dass diese bereits nach fünf Minuten an der frischen Luft einsetzen und nachweislich die Entspannung und sogar das Selbstwertgefühl erhöhen.

Sich ganz auf den jeweiligen Moment zu konzentrieren – auch dabei hilft die Natur. Kein Wunder, dass viele Menschen so gerne im Freien meditieren oder ihre Yoga-Übungen dort praktizieren. Doch oft reicht es bereits, nur wenige Minuten zu lauschen. Oder einfach barfuß zu gehen und Gras, Steine oder Sand unter den Sohlen zu spüren.

Wer nun einmal mehr dem Sommer nachweint, kann beruhigt sein: Jede Jahreszeit birgt schließlich Spannendes und Erhebendes für Körper und Geist. Die Natur bietet ein nahezu unerschöpfliches Reservoir – man muss sich nur darauf einlassen. Buchautorin Anna Carlile hält es mit dem berühmten amerikanischen Schriftsteller Henry David Thoreau der in seinem Klassiker "Walden oder Leben in den Wäldern" schreibt: "Lebe jede Jahreszeit, wie sie kommt."

Drachen steigen lassen

Ein Beispiel, falls der Wetterbericht für die nächsten Tage Wind meldet. Aus zwei Holzstäben, einer Schnur und Papier ist flott ein klassischer, rautenförmiger Papierdrachen gebaut. Wenn er im Wind tanzt, verschafft einem das nicht nur Bewegung im Freien, sondern erfreut auch das Auge und im Inneren steigen vielleicht schöne, längst vergessene Kindheitserinnerungen auf. Oder Sie sammeln beim nächsten Spaziergang besonders schöne Blätter, die bereits von den Bäumen gefallen sind – diese sind ideal dafür, Papier oder Stoffe damit kreativ zu bedrucken.

Wer der Natur lieber kulinarisch nahe kommt, sollte gerade jetzt im Spätsommer noch zugreifen und mit offenen Augen unterwegs sein: Beeren oder Wildkräuter zu sammeln erfüllt da schließlich gleich einen doppelten Zweck. Denn mit den geschmackvollen Mitbringseln lassen sich, einmal eingekocht zu Marmeladen, Chutneys oder Pestos, noch Monate später vortrefflich Erinnerungen an diese Begegnungen mit der Natur wachrufen.

Buchtipp

Warum die Natur in bewegten Zeiten ein Anker ist
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Die Australierin Anna Carlile zeigt 365 Möglichkeiten zur Begegnung mit der Natur – für alle Jahreszeiten. Erschienen im Verlag Edel, 30,80 Euro.

Der Mensch ist mehr als sein Körper – er ist auf vielfältige Weise mit seiner Umwelt verbunden. Das ist mit ein Grund, warum die Natur so großen Einfluss auf unser Wohlbefinden hat. Der Biologe Clemens G. Arvay ist überzeugt, dass die Trennung dieser natürlichen Verbindung im Gegenzug chronische Krankheiten begünstigen kann. In seinem neuen Buch „Der Heilungscode der Natur“ (Riemann-Verlag, 20,60 €) widmet er sich dieser, wie er es nennt, Ökopsychosomatik. Grund des Potenzials der Mensch-Tier-Natur-Beziehung seien biochemische und neurobiologische Abläufe.

Diesbezügliche Erkenntnisse haben Wissenschaftler aber bereits früher herausgefunden. Der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson stellte etwa die Theorie auf, dass die emotionale Verbindung des Menschen zur Natur zur genetischen Ausstattung gehört. Diese „Biophilie“, die Liebe zur Natur und sein Bedürfnis, die Natur zu erleben, habe der Mensch im Laufe der Evolution erworben. Der Grund: die aufmerksame Beobachtung der Umgebung war fürs Überleben wichtig. Ob es zur genetischen Ausstattung gehört oder nicht – Grünraum tut jedenfalls gut.

Britische Umweltpsychologen stellten in einer Langzeitstudie fest, dass Menschen in jenen Zeiten glücklicher und zufriedener sind, in denen sie neben Parks oder Grünflächen leben. Dafür befragten sie Zehntausende Briten über 18 Jahre nach ihren Wohnorten und ihrer psychischer Gesundheit.

Ähnlich wie die Natur zeigen auch Beziehung zu Tieren positive Auswirkungen. Das Streicheln eines Hundes etwa aktiviert im menschlichen Körper die Produktion des Abwehrstoffs Immunglobulin A. Durch das Zusammenleben mit Tieren werden wiederum körpereigene Schmerzmittel produziert, ebenso soll der Kontakt zu Tieren vor Herzinfarkten schützen, zeigen Studien.

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