Erst Weltkrieg, dann Künstler

Der Erste Weltkrieg war, auch durch technische Neuerungen, ein Krieg von nie dagewesener Brutalität. Unter den Soldaten befanden sich spätere Künstler und Politiker – viele andere starben auf den Schlachtfeldern
Viele später berühmt gewordene Künstler waren im Ersten Weltkrieg an der Front. Unter ihnen die Brüder Paul und Attila Hörbiger, Karl Farkas, Hans Moser.

Paul Hörbiger hatte es als Volksschauspieler wahrlich weit gebracht. Als er mir aber im Jahr 1978 sein Leben erzählte, hätte er am liebsten fast nur über seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg gesprochen. Der Mann hatte 300 Filme mit Marlene Dietrich, Willi Forst, Zarah Leander, Heinz Rühmann und vielen anderen Großen gedreht – aber er wollte vor allem loswerden, wie er seine Kameraden sterben sah, wie er selbst in lebensgefährliche Situationen geriet und am Ende des Krieges fast verhungert wäre. Der Erste Weltkrieg hat auf ihn und seine Generation einen derart tiefen Eindruck hinterlassen, dass sie die Bilder in ihrem ganzen Leben nicht mehr los geworden sind und immer wieder darüber sprechen wollten.

Erst Weltkrieg, dann Künstler
Der 84-jährige Paul Hörbiger breitete sein Leben vor mir aus, weil ich als sein „Ghostwriter“ die Memoiren des Schauspielers schrieb. Er und sein Bruder Attila waren am 28. Juli 1914 – dem Tag, an dem der Krieg ausbrach, auf Sommerfrische in Tragöß in der Steiermark. „Noch am selben Tag erhielten wir ein Telegramm unseres Vaters“, erzählte Paul Hörbiger, „in dem stand: ,Sofort heimkehren, freiwilligen Kriegsdienst antreten, Papa.’“ Die Brüder brachen ihren Urlaub ab, meldeten sich bei der Stellungskommission in Wien und wurden zu ihrem großen Erstaunen für untauglich erklärt! „Attila war noch zu jung“, mutmaßte Paul, „und ich war damals eher schwach gebaut“.
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Paul Hörbiger
Für beide brach eine Welt zusammen, denn in allen Teilen der Monarchie herrschte eine Kriegseuphorie, wie sie heute unvorstellbar ist. „Für Kaiser und Vaterland“ zu kämpfen, ja zu sterben, das war der Wunsch vieler junger Männer. Mit einem „Trick“ gelangten die Hörbiger-Brüder dann doch an die Front.

Hans Moser

Paul Hörbigers später oftmaliger Filmpartner und Freund Hans Moser tritt 1914 der k. k. Armee bei. Der 34-jährige „Ersatz-Reserve-Infanterist“ der untersten Charge wird dem Infanterieregiment Nr. 4, besser bekannt als „Hoch- und Deutschmeister“, zugeteilt, macht die Isonzo- Schlachten mit, gelangt nach Polen und Russland.

Je mehr Soldaten fallen, desto unsinniger erscheint Hans Julier, wie Moser eigentlich hieß, der anfangs bejubelte Krieg. Moser empfindet das Sterben der Kameraden als so grausam, dass er den Rest seines Lebens unter panischen Todesängsten litt.

Frau und Tochter

Erst Weltkrieg, dann Künstler
Mosers Gedanken sind in den vier Jahren an der Front bei seiner Frau Blanca, die ihm ein Jahr vor Kriegsausbruch eine Tochter geschenkt hat, die er aber kaum kennt. Er betet jeden Tag, Frau und Kind wieder zu sehen und zählt zu den wenigen, die die Kämpfe in Galizien unverwundet überstehen. Moser zeichnet sich durch große Tapferkeit aus und wird mit dem „Eisernen Verdienstkreuz mit der Krone“ geehrt.

Die Kriegserklärung

Weniger glimpflich geht der Krieg für den späteren Kabarettisten Karl Farkas aus, der gerade die Wiener Schauspielakademie besucht, als Kaiser Franz Joseph 1914 die „Kriegserklärung“ an Serbien unterschreibt.

Das Wort „Kriegserklärung“ wird Farkas später dann, als Kabarettist, so definieren: „Einen Krieg muss man nämlich erklären. Sonst versteht ihn keiner!“

Farkas verwundet

Erst Weltkrieg, dann Künstler
- BILD ZU APA 085 KI VON HEUTE - PORTRT -Zum 100. Mal jährt sich am Sonntag (21.Apr) der Geburtstag von Attila Hörbiger, unvergessener Grandseigneur des österreichischen Theaters und Doyen einer Schauspielerdynastie. (undatiertes Archivbild
Wie die Brüder Hörbiger meldete sich auch der 21-jährige Maturant Karl Farkas als Einjährig-Freiwilliger, und da sein Vater gebürtiger Ungar ist, wird er dem 4. Honvéd-Infanterieregiment zugeteilt, dessen Auftrag lautet, die von den Russen eingenommene Festung Przemyśl zurückzuerobern. Dies gelingt auch, doch gibt es auf beiden Seiten Tausende Tote und Verwundete. Auch der Kadett Farkas wird mit einer schweren Schussverletzung in das Wiener „Vereinsspital Nr. 7“ überstellt. „Patient Farkas, Schusswunde in der rechten Brustseite, anämisch (= blutarm), allgemein nervöse Schwäche, Zittern der Hände“, steht in seinem „Rentenakt“ vom 4. August 1915, den man heute noch im Wiener Kriegsarchiv einsehen kann. Karl Farkas muss dennoch wieder an die Front und rüstet bei Kriegsende als Leutnant ab.

Eben noch „untauglich“, treffen Paul und Attila Hörbiger auf zwei Burschen, denen Ähnliches widerfahren ist. Sie teilen den Brüdern mit, dass es „im dritten Bezirk ein Scharfschützen-Korps gibt, das jeden nimmt“. Prompt werden die späteren Schauspieler, 20 und 18 Jahre jung, dort für tauglich erklärt.

Der erste Fronteinsatz

Nun „dürfen“ sie einrücken, doch die Scharfschützen sind ein so armseliger Haufen, dass Attila und Paul nur weg wollen. Attilas erster Fronteinsatz erfolgt bei einem Feldkanonen-Regiment in der Ukraine, ehe er 1916 zur Gebirgsartillerie in die Dolomiten transferiert wird.

1916 ist das dritte Kriegsjahr und es ist das Jahr, in dem Kaiser Franz Joseph stirbt. Als die Nachricht seines Todes wie ein Lauffeuer alle Fronten erreicht, ahnen viele, dass es nun bald auch mit der Monarchie zu Ende gehen würde: „Der Kaiser war das Bindeglied“, erklärten erfahrene Offiziere, „jetzt ist auch der Krieg verloren“. Der nachlassende Kampfgeist innerhalb der Truppen wird deutlich spürbar.

Leutnant Hörbiger

Attila Hörbiger übersteht den Krieg unbeschadet und kehrt 1918 als Leutnant der Reserve nach Wien zurück. Bruder Paul hat seinen Kriegsdienst als Kadett-Aspirant beim 8. Artillerieregiment in Südtirol angetreten und erfährt nach einem Jahr, was es bedeutet, in die Schlacht zu ziehen: „Die feindlichen Italiener hatten eine Gebirgsstraße bei Chiesa gesprengt“, erzählte er. „Unsere Pioniere mussten unter großen Verlusten einen Steg über ein tiefes Tal bauen. Dann läuft einer nach dem anderen über die wackelige Brücke. Die Italiener schießen. Ein Kamerad kommt heil herüber, der nächste wird erschossen und stürzt tot ins Tal. Dann schafft es einer, doch mein Vordermann stirbt. Nun komme ich. Einmal tief durchatmen und drüber. Ein Schuss, daneben! Fast hätte es mich erwischt, aber ich hab es doch geschafft. Den Nächsten trifft es wieder, er wird erschossen.“

Ein Lebenszeichen

Paul Hörbigers nächstes Ziel ist Russland. „Bei der jeweiligen Abreise haben wir nie erfahren, wohin es ging“. Die Brüder Hörbiger schickten von überall Lebenszeichen an ihre Eltern. Doch da die Einsatzorte geheim sind und bei handgeschriebenen Briefen die Gefahr besteht, dass etwas verraten wird, dürfen nur vorgefertigte Feldpostkarten versandt werden, deren Aufdruck einheitlich ist: „Ich bin gesund, es geht mir gut“ (siehe Faksimile). Jedes persönliche Wort ist verboten.

Hunger und Not

Die Ernährungslage ist katastrophal, die Männer drohen zu verhungern. In ihrer Not kochen sie Frösche und schlachteten den Sanitätshund. Im letzten Kriegsjahr ist Paul Hörbiger wieder an der italienischen Front: „Der Regimentsarzt musste am laufenden Band amputieren, ein Reservist wurde von einem Granatsplitter getroffen, er hatte so unerträgliche Schmerzen, dass er ständig schrie: ,Daschiaßt’s mi, i halt’s nimmer aus!“ Ein Sanitätsoffizier gibt ihm eine Spritze, die sein Leid beendet.“

Gemeinsam feiern

Als es im November 1918 zu Waffenstillstandsverhandlungen kommt, wird der nunmehrige Oberleutnant Paul Hörbiger von den Italienern verhaftet – weil die erst mit 24-stündiger Verspätung vom Ende des Krieges erfahren. „Aber dann haben wir gemeinsam gefeiert, die Italiener freuten sich wie wir und waren mit vielen Flaschen Chianti-Wein gerüstet.“

Gestern noch Feinde

Nun bejubeln die Männer, die gestern noch Feinde waren, gemeinsam das Ende des Krieges. Die Szene zeigt, dass die Menschen, die einander auf Befehl anderer töten, persönlich nichts gegeneinander haben – es ist immer nur die Politik, die das Elend hervorbringt.

Nach dem Ersten Weltkrieg confériert der einstige Leutnant Karl Farkas auf der Bühne des Kabarett Simpl: „Der Krieg zerstört das, was er zu beschützen vorgibt und bringt die Menschen um, damit sie einer besseren Zukunft entgegensehen.“

Als Julius Raab 1953 von Bundespräsident Theodor Körner als Bundeskanzler angelobt wurde, standen einander zwei Männer gegenüber, die – trotz ideologischer Differenzen – große Hochachtung füreinander empfanden. Denn sie hatten sich als Offiziere der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg kennen gelernt: Körner war Generalstabschef aller Streitkräfte am Isonzo, und der um 18 Jahre jüngere Raab war ihm als Mitglied der technischen Elitetruppe im Range eines Oberleutnants unterstellt.

Theodor Körner Edler von Sigringen schaffte im Ersten Weltkrieg eine große Karriere und schuf als leitender Generalstabsoffizier ein effizientes Verteidigungssystem an der Isonzo-Front. Als einer der tapfersten Offiziere im Frontbereich machte sich Körner einen Namen, der ihm später dann als Politiker zugutekommen sollte.

Der Bruder ist gefallen

Körner war so angesehen, dass man ihn an eine Zentralstelle ins Kriegsministerium holen wollte. Doch er weigerte sich, die Isonzo-Front zu verlassen – an der sein Bruder Richard übrigens 1915 gefallen war. Theodor Körner wurde Generalstabschef, konnte aber – obwohl er den österreichischen Vorstoß an die Piave-Front ermöglichte – an der endgültigen Niederlage der Mittelmächte nichts ändern.

Oberst Körner trat 1918 in das Berufsheer der Ersten Republik ein, wurde aber im Alter von 49 Jahren im Range eines Generals pensioniert. Er wurde Mitglied der sozialdemokratischen Partei und in den Jahren 1934 und 1944 vorübergehend verhaftet.

1951 bis 1957 war Körner der erste vom Volk gewählte Bundespräsident der Republik Österreich. „Sein“ Oberleutnant Julius Raab ging als „Staatsvertrags-Kanzler“ in die Geschichte ein.

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