Marcel Koller: "Zu große Lockerheit bringt nichts"

Koller: "Wir wollen mit dem Spiel doch Emotionen wecken."
Ein Schweizer entfachte eine Fußball-Begeisterung in Österreich. Der Versuch, seinem Erfolgsrezept näher zu kommen.

Marcel Koller schubst sich mit einem Lächeln von seiner Geradlinigkeit. Offen ist er im Gespräch und doch zugeknöpft. Der Fußball ist sein Job, "zu 90 Prozent" sein Leben, "aber keine Belastung" wie er sagt, und alles was darüber hinaus geht, geht die Öffentlichkeit nichts an.

Koller ist Trainer, kein Privatmensch, legt Wert auf diese strikte Trennung. "Fokusiert" ist er. Fast immer. Und festgenagelt auf dem Boden der Realität, wenn sich über ihm die Wogen der Begeisterung zusammenschlagen. Ein Mann hat eine ganze Nation von sich überzeugt, hat einem Volk, von dem er vorher wusste, es würde zu einem nicht geringen Prozentsatz aus Nörglern und Raunzern bestehen, den wohl größten Erfolg in einer schon als schicksalhaft armselig bejammerten Fußballgeschichte geschenkt. Als Schweizer noch dazu.

Marcel Koller: "Zu große Lockerheit bringt nichts"
ABD0034_20150604 - STEGERSBACH - ÖSTERREICH: Teamchef Marcel Koller während des Trainings des ÖFB-Teams am Donnerstag, 4. Juni 2015, in Stegersbach. Die österreichische Fußball-Nationalmannschaft wird am 14. Juni 2015 ein EM-Qualifikationsspiel gegen Russland in Moskau bestreiten. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Vor zwei Jahren drohte die vielversprechende Partnerschaft zu Ende zu gehen. Ein Trainerjob in Deutschland, doch Nationaltrainer in der Schweiz? Von Revolverblättern bereits als "Verräter" beschossen, nahm sich Koller lediglich "Zeit zum Überlegen." Der Teamchef überlegte. Blieb sachlich und in Österreich.

Sie sagten damals, noch eine Rechnung offen zu haben. Warum wussten Sie, dass diese auch aufgeht?
Das wusste ich nicht. Es war ein Gefühl, verbunden mit einem Risiko. Eigentlich eine Spekulation. Dass es klappen kann, wenn man meine Ideen umsetzt. Ich wusste jedenfalls, da kann ich noch mehr herausholen. Und ich habe die Geduld, die Sturheit und auch die Konsequenz dafür.

Und Marcel Koller ist es trotz , oder gerade wegen seiner in die Auslage geschobenen Nüchternheit gelungen, unumschränkter Sympathieträger zu werden. Harte, seriöse, von einem klaren Konzept geleitete Arbeit, die Emotionsausbrüche nur dann unterbrechen, wenn sie tatsächlich angebracht sind. Wie eben jetzt. Österreich ist Teilnehmer der EM 2016 in Frankreich, ist in fast vier Jahre von der weltweiten Nummer 72 auf Platz elf geklettert. Nach souveräner, europaweit Aufsehen erregender Qualifikation.

Am vergangenen Montag hat sich der 54-Jährige tatsächlich als Franzose verkleidet und erschien als solcher bei der Pressekonferenz nach dem beeindruckenden 4:1-Erfolg in Schweden. Baskenmütze auf dem Kopf, Baguette in Hand und Mund. Nicht übertrieben sein Schauspiel, nur das liebenswerte Ausleben erlaubter Feiertagsstimmung.

Wann ist Ihnen die Idee gekommen, verkleidet auf einer Pressekonferenz zu erscheinen?
Ich habe das schon vor dem Spiel in Liechtenstein vor der Mannschaft gemacht. Um den Spielern klar zu machen, dass Frankreich vor der Tür steht. Ein Wink, ein kleiner Schmäh, wie man hier sagt. Drei Tage vor der Pressekonferenz habe ich mir überlegt, das in der Öffentlichkeit zu wiederholen, sollte alles fix sein.

Geht Ihnen die Begeisterung nicht schon auf die Nerven?
Wir wollen mit dem Spiel doch Emotionen wecken. Ich kann mich doch dann nicht beklagen, wenn sich die Leute freuen.

Koller nahm dennoch Abstand. Verbringt dieses Wochenende in Zürich. Aber von restloser Entspannung keine Spur. "Ich werde mir auch einige Spiele anschauen."

Marcel Koller: "Zu große Lockerheit bringt nichts"
ABD0060_20150603 - RIEGERSBURG - ÖSTERREICH: Teamchef Marcel Koller während einens Klettertrainings im Rahmen des ÖFB-Trainingslehrganges am Mittwoch, 3. Juni 2015, im Kletter- und Erlebnispark Riegersburg. Die österreichische Fußball-Nationalmannschaft wird am 14. Juni 2015 ein EM-Qualifikationsspiel gegen Russland in Moskau bestreiten. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Typisch sei dieses Verhalten des Trainers, meint ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner, der eigentlich auf die Idee Marcel Koller gekommen ist. "Er ist sehr fleißig, macht dabei keine sinnlosen Überstunden, bleibt immer effektiv." Der Schweizer habe schon im ersten Gespräch überzeugt. "Marcel ist zu intelligent, um unvorbereitet in so ein Treffen zu gehen. Er kannte Details, jeden Spieler, hatte Videos studiert. Ich wusste, das ist unser Mann. Ich dachte, wenn es mit ihm nicht klappt, dann ist unser Weg und das Potenzial des Fußballs in diesem Land ohnehin zu schwach." Ruttensteiner bekennt heute: "Wäre es mit Koller schief gegangen, hätte ich meine Tätigkeit beim ÖFB beendet."

Ein Aufschrei der Wehleidigkeit in manchen Medien ("Ein Nobody", "Ein schweres Foul am österreichischen Fußball") und gekränkten Trainern war laut im November 2011. Herbert Prohaska hat sich bereits mehrmals entschuldigt, Werner Gregoritsch wechselte längst die Seite, gehört jetzt als U-21-Trainer im ÖFB zu Kollers Mitarbeiterkreis.

Marcel Koller: "Zu große Lockerheit bringt nichts"
ABD0090_20150603 - RIEGERSBURG - ÖSTERREICH: Teamchef Marcel Koller beim Bogenschiessen im Rahmen des ÖFB-Trainingslehrganges am Mittwoch, 3. Juni 2015, im Kletter- und Erlebnispark Riegersburg. Die österreichische Fußball-Nationalmannschaft wird am 14. Juni 2015 ein EM-Qualifikationsspiel gegen Russland in Moskau bestreiten. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Im Jahr 2015 trägt das Nationalteam eine deutliche Handschrift. Das System wurde zur Marke, Schritt für Schritt verfeinert mit weitgehend unverändertem Personal, geprägt von druckvollem Spiel als erkennbares Selbstbewusstsein. Selbst ein "Unerziehbarer" wie Marko Arnautovic entdeckte den Fußball als Mannschaftssport.

Sie haben an Spielern festgehalten, die bei Ihren Vereinen keine Stammspieler waren, was oft zum Kopfschütteln verleitet hat. War die fußballerische Qualität, oder die Menschenkenntnis entscheidend?
Das Fußballerische ist das Wichtigste. Einige Spieler hatten die Kondition nur für 60, 70 Minuten, weil sie bei ihren Vereinen nicht regelmäßig im Einsatz waren. Wir haben das durchgezogen. Aus Überzeugung. Auch weil sie menschlich dazu gepasst haben. Sehr wichtig ist uns im Trainerteam: Was geben sie uns zurück? Wir müssen in Sachen Leistung auch etwas zurückbekommen. Vertrauen für unser Vertrauen.

Ruttensteiner meint, Koller wisse das gebotene Potenzial optimal auszuschöpfen. "Seine größte Stärke ist seine Persönlichkeit. Je näher das Spiel, umso stärker wird er. Ich habe Trainer gesehen, die immer nervöser werden." Er hingegen verliere nie die Kontrolle.

Sind Sie gar ein Kontrollfreak, Herr Koller?
Nein. Ich bin für das Ganze verantwortlich und möchte das Beste für das Team herausholen. Wenn der Chef immer locker ist, könnte es auch von den Spielern interpretiert werden, immer locker zu sein. Zu große Lockerheit bringt nichts, man muss die Konzentration auf den Platz bringen. Wenn es im Training emotional zu bunt, das Ganze nur noch zum Zirkus wird, dann greife ich durch.

Sie haben es dabei mit 18- bis 35-Jährigen zu tun...
Die Jungs brauchen Regeln. Und Spaß. Wie ich auch. Die Ausgewogenheit verhält sich wie auf des Messers Schneide. Daher schaue ich täglich von acht bis 23 Uhr, dass alles in den richtigen Bahnen verläuft. Und du selbst kannst nicht als Greis auftreten, der keine Ahnung hat, was da momentan abgeht.

Welche Rolle spielen dabei Handy und Social Medias?
Ich bin im Facebook vertreten. Die Inhalte kommen von mir, bei der Umsetzung der Posts habe ich externe Unterstützung. Wenn du überall dabei bist, dazu auch noch mit Whats App all den ganzen Tag hindurch beschäftigt bist, verlierst du deinen Fokus. Das Handy ist in der Nacht abgedreht und sonst nur auf Vibration gestellt. Das reicht.

Marcel Koller: "Zu große Lockerheit bringt nichts"
Marcel Koller mit Ehefrau Gisela Wr. Musikverein
Koller, der Klassikliebhaber, dessen öffentlich gemachtes Privatleben sich auf statistische Werte (Frau Gisela, zwei Kinder aus erster Ehe) beschränkt, der sich in einem TV-Werbespot als "einer von Millionen Teamchefs" selbstironisch im österreichischen Dialekt verbeißt, sagt dann doch, welche Frage ihm ziemlich auf die Nerven geht.

Und zwar?
Jene, die jetzt schon wieder oft gestellt wird: Kommen wir ins EM-Finale? Das Team und ich machen da nicht mit.

Wie beurteilen fußballerfahrene Schweizer nach der souverän fixierten EM-Teilnahme des ÖFB-Teams die Arbeit ihres Landsmannes Marcel Koller in Österreich?

Heinz Herrmann, mit 117 Länderspielen der Schweizer Rekordinternationale, meldete sich via Tages-Anzeiger mit höchstem Lob zu Wort:

Marcel Koller: "Zu große Lockerheit bringt nichts"
FC Luzern's (FCL) new sporting director Heinz Hermann before their Swiss Super League soccer match against FC Servette in Lucerne April 21, 2012. REUTERS/Romina Amato (SWITZERLAND - Tags: SPORT SOCCER HEADSHOT)
"Die Österreicher haben Marcel Koller nicht gerade freundlich empfangen. Doch mittlerweile ist er für sie zum absoluten Glücksfall geworden. Er schaffte in einer äußerst schweren Gruppe ein Fußballwunder, auf das auch wir Schweizer getrost stolz sein dürfen. Marcel ist kein Blender, sondern ein ruhiger, besonnener Schaffer, akribisch in seiner Arbeit, fachlich hochkompetent und ein Trainer, der seine Spieler mit Argumenten überzeugt.

Koller hat die österreichische Nationalmannschaft seit seinem Amtsantritt taktisch und technisch nicht nur einen, sondern gleich zwei, drei, vier und fünf Schritte weitergebracht. Marcel ist auch ein glänzender Psychologe, kann eine Mannschaft heiß machen und motivieren wie nicht jeder."

Matthias Erne, seit 1977 Fußball-Journalist und mittlerweile weit gereister internationaler Korrespondent des Schweizer Fernsehens mit weltweiter Fachkompetenz, ließ den KURIER per Mail wissen:

"Wer mit den Bayern Meister werden will, muss vor allem die Stars bei Laune halten – der Rest geht praktisch von alleine. Aber Österreich zur EURO bringen? Als Gruppenerster? 4:1 in Ibrahimovic' Wohnzimmer gewinnen? Mensch Marcel – das ist sensationell! Kein Wunder, dass man in seiner Heimat fast ein wenig neidisch nach Osten schaut. Vielleicht hat man ihn in der Schweiz wegen seiner ruhigen und unaufgeregten Art zu lange übersehen, und in Wien fragt inzwischen auch niemand mehr: Was kann der, was wir nicht können?

Als Spieler war Koller ein Arbeitstier, das dafür sorgte, dass die anderen glänzen konnten. Als Teamchef tut er eigentlich das Gleiche. Jetzt haben sich harte Arbeit und Beharrlichkeit ausgezahlt."

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