Koller: "So etwas ist rufschädigend"

Koller: "Österreich hat natürlich viele Legenden, in der Schweiz sind die völlig egal."
Marcel Koller über Austro-Legenden und Realitätssinn.

KURIER: Ihre längere Entscheidungsfindung, österreichischer Teamchef zu bleiben, wurde Ihnen von einigen als Zögern und Zaudern ausgelegt. Was ist in Ihnen tatsächlich vorgegangen?

Marcel Koller:Das Ganze hat natürlich nicht an einem Tag stattgefunden. Da gab es Österreich, dann ist auf einmal das in der Schweiz mit dem Hitzfeld passiert. Ich hab von seinem Rücktritt gehört und mir gedacht: „Uhh, jetzt könnten die auch noch kommen.“

Und die vom Schweizer Verband sind gekommen ...

Ja. Wir haben einmal telefoniert und uns einmal getroffen. Du kriegst plötzlich die Möglichkeit, dein Heimatland zu trainieren. Von klein auf hab’ ich dort gespielt, auch in der Nationalmannschaft, die jetzt Nummer sieben der Welt ist. Auf der anderen Seite Österreich, wo ich etwas angefangen habe. Aber dieses ganze Hin und Her wollte ich öffentlich nicht hochschaukeln, ich habe außerhalb mit niemandem gesprochen. Da war schon der eine oder andere Spaziergang dabei und eine unruhige Nacht. Dann bist du frühmorgens wach, und alles dreht sich wieder darum. Doch ich bin immer wieder auf Österreich gekommen. Am Dienstagabend der Vorwoche habe ich es gewusst: „Okay, ich sage Österreich zu.“

Weil auch die Mehrheit der Österreicher für Ihren Verbleib gestimmt hat?

Gut zu spielen und gute Kritiken zu bekommen von den Fans, den Spielern, den Mitarbeitern, das ist alles schön und hat sicher hineingespielt. Aber entscheidend war, dass das Projekt noch nicht zu Ende ist. Wir sind sportlich noch nicht da hingekommen, wo ich das Team hinbringen möchte.

Haben Sie die mediale Begleitmusik mitverfolgt, beispielsweise die unter die Gürtellinie gehenden Ausbrüche eines österreichischen Boulevardblattes, dieses Nicht-hinnehmen-Wollen, dass einfach nichts nach außen dringt – wie es hierzulande sonst üblich ist?

Ich habe nicht im Internet rumgesurft, rauf- und runtergelesen, was gut oder schlecht ist. Ich weiß ja, wer ich bin und was ich tue. Ich versuche jedenfalls, korrekt zu sein. Was andere daraus machen, kann ich nicht beeinflussen. Die Zeitungen werden sowieso gefüllt. Ich denke aber auch, dass ich nicht jeden Tag drinnen stehen und zu jedem Thema was sagen muss. So wichtig nehme ich mich nicht. Und ich werd’ auch in Zukunft so verfahren. Wirklich mitbekommen habe ich nur die Meldung, ich würde Verrat betreiben. Ja, so etwas ist rufschädigend. Es muss noch geklärt werden, wie und ob ich dagegen vorgehe.

Schweizer Journalisten meinten, Sie würden in Österreich mehr verdienen als in der Schweiz. Richtig?

Blödsinn. Ja, wir haben in der Schweiz das eine Mal auch über Geld gesprochen, aber da wurde nur ein Rahmen festgelegt. Verhandelt wurde über eine konkrete Summe nicht.

Haben Sie Bedenken, dass der Job als Schweizer Teamtrainer nach zwei Absagen jetzt für alle Zeiten dahin ist?

Klar tut es weh, wieder abzusagen. Aber alles ist korrekt abgelaufen. Also kann irgendwann wieder ein Angebot kommen. Mag sein, dass es ein Traum ist, Teamchef im eigenen Land zu sein. Aber irgendwelche Träume zu hegen, ist nicht gut. Du musst mit deinen Gedanken da sein,wo du gerade bist. Ist das nicht der Fall, spüren das die Leute, die Spieler und das Umfeld. Das darf nicht sein.

Immer wieder wird auch behauptet, Ihr Berater Dino Lamberti würde Sie sehr beeinflussen. Ist er der Architekt Ihrer Karriere?

Er war in dieser Entscheidung sehr wichtig für mich. Er hätte auch einige persönliche Argumente dagegen gehabt. Schließlich wird auch Gökhan Inler, der Kapitän des Schweizer Nationalteams, von ihm betreut. Dino hat letztendlich zu meiner Entscheidung gemeint: „Das ist gut, das passt.“ Er wollte mich in keine Richtung drängen.

Warum ist es eigentlich nichts mit dem 1. FC Nürnberg geworden? Auch der deutsche Bundesligist wollte Sie unbedingt.

Natürlich hat es mich interessiert, weil es auch reizvoll ist, ein Klubtrainer zu sein. Es gab konkrete Gespräche, aber es war von der Zeit zu knapp, einfach zu eng.

Über 80 Prozent der Menschen in Österreich sind laut Umfragen froh, dass Sie bleiben, circa 20 Prozent sind eher negativ eingestellt und sagen: „Der hat sich ja nicht für die WM qualifiziert ...“

Die haben auch recht. Es ist ja so. Es bringt nichts, alles schönzureden, wenn wir nicht bei der WM dabei sind. Das beste Beispiel war das Heimspiel gegen Deutschland. Wir haben dominiert, hätten mindestens einen Punkt verdient gehabt, aber verloren. Und trotzdem haben alle gejubelt. Da hab’ ich mir gedacht: „Hallo, was ist da eigentlich los?“

Na gut, mit Deutschland auf Augenhöhe zu sein – das ist für Österreich schon ein kleiner Sieg, oder nicht?

Diese Reaktion war eine sehr spezielle Erfahrung für mich. Und ich hatte einen dicken Hals, als gesagt wurde: „Wenn wir auswärts in Deutschland punkten, sind das ja Bonuspunkte.“ Warum schenken wir schon vorher ein Spiel her? Mit einer solchen Einstellung ist es schwierig. Doch ich wusste, wenn alles passt, wir alles abrufen, ist etwas möglich.

Welche Erfahrungen haben Sie noch so gemacht in den ersten beiden Jahren in Österreich?

Da gibt es mehrere. Das ständige Raunzen zum Beispiel war nach einem Jahr gar nicht mehr zu hören. Da fährt neben dir jemand auf der Autobahn, sieht dich – und hält die Daumen hoch. Ja, das Raunzen ist nicht mehr da, und ich hoff’, es kommt auch nicht mehr. Natürlich ist das vor allem von unserer Leistung abhängig.

Was noch?

Es wurde hier auch ständig gerechnet in dieser Qualifikation. Wie viele Punkte brauchen wir da, wie viele dort? Schon das erste Auswärtsspiel in Kasachstan war ein Finalspiel, auch das Heimspiel gegen die Färöer. Da gab’s auf einmal nur Finalspiele. Ich hab’ auf Pressekonferenzen immer versucht, ein wenig Einfluss darauf zu nehmen. Auffällig ist auch das ständige Reden von der Vergangenheit. Das lebt der eine oder andere Journalist hier so richtig. Mich hat nie interessiert, was vor zehn, 20 oder gar 30 Jahren war.

In Ihrer Heimat ist das anders?

In der Schweiz ist alles nüchterner. Österreich hat natürlich viele Legenden, in der Schweiz sind die völlig egal. Du kannst 100 Länderspiele haben, und es interessiert eigentlich keinen. Es wird nicht hofiert und chauffiert. Ich hab’ zwar keine 100 Länderspiele, aber wenn ich irgendwo in der Schweiz ein Spiel anschauen will, bekomme ich wegen meiner 55 keinen Parkplatz nahe beim Stadion und kein Ticket in der Mitte, sondern irgendwo auf der Seite der Tribüne. Du kannst in der Schweiz nicht erwarten, dass dich das Volk herumträgt, nur weil du vor zehn, 20 Jahren einmal irgendetwas erreicht hast.

Extreme sind eben Teil der österreichischen Mentalität. Konsequenz ist nicht unbedingt die ganz große Stärke. Spielt das eine Rolle?

Ja, ich denke schon. Aber gerade im fußballerischen Bereich brauchen wir mehr Konsequenz. Das heißt, die Bereitschaft und das Bewusstsein, die Dinge konsequent durchzuziehen. Denn je höher man kommt, umso mehr merkt man, dass die Luft dünner wird. Da verträgt es weniger Fehler.

Das Spiel in Schweden war bezeichnend. Zwei Halbzeiten, zwei Gesichter ...

Ich wollte in die Play-off-Spiele kommen. Unbedingt. Und in diesem entscheidenden Spiel in Schweden ist tatsächlich etwas gegangen. Dann haben wir halt Fehler gemacht, und du kassierst das Tor. Ob am Ende fünf oder zehn Minuten gefehlt haben, ist egal. Wir haben es bekommen. Es hat mich sehr hart getroffen, dass wir weg waren. Das ärgert mich, das schürt meinen Ehrgeiz. Ich sage: „Ich will weiterkommen, den Weg weitergehen.“ Ich spüre, das Team will mitziehen. Auch das hat bei meiner Entscheidung mitgespielt.

So wie auch Ihr persönliches Befinden und das Leben in Österreich abseits des Fußballs?

Eigentlich weniger. Laut internationaler Statistik ist Wien die Nummer eins in puncto Lebensqualität, Zürich die Nummer zwei. Es passt beides. In Wien bin ich mehr unterwegs, ich bekomme öfters Besuch und muss dann Stadtführungen machen. Übrigens: Vor Kurzem war ich mit meiner Frau bei der Benefizmatinée „O Sole Nostro“ in der Staatsoper. Ich muss schon sagen, kulturell machen wir in Wien mehr gemeinsam als zuvor in Zürich.

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