Doping im Fußball: "Der ist doch bis oben hin zu"

Legende: Werner Kriess war ein Star im Team von Wacker Innsbruck, das in den 70er Jahren den österreichischen Fußball dominierte.
Der ehemalige Teamkapitän Werner Kriess erzählt, wie in den 1970er-Jahren im Fußball gedopt wurde.

Die Aufregung war riesig, als eine Untersuchungskommission zum Ergebnis kam, dass in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren beim VfB Stuttgart und beim SC Freiburg "in unterschiedlichem Rahmen" gedopt wurde (Mehr dazu). Der ehemalige österreichische Nationalteamkapitän Werner Kriess berichtet, dass in dieser Zeit auch im österreichischen Fußball verbotene Mittel zum Einsatz kamen.

KURIER: Verstehen Sie die Aufregung in Deutschland?
Werner Kriess:
Das ist jetzt natürlich geheuchelt. Weil jeder weiß, dass immer schon gedopt wurde, oder, sagen wir vielleicht besser: experimentiert. Toni Schumacher (ehemaliger deutscher Teamtormann) hat ein Buch geschrieben und darin berichtet, was zu seiner Zeit alles gemacht wurde. Wobei man schon sagen muss: Was zu meiner Zeit Doping war, das ist aus heutiger Sicht ja lächerlich.

Haben Sie selbst denn jemals etwas Verbotenes genommen?
Wir haben damals in Innsbruck vor allem Captagon-Tabletten verwendet. Es hat noch ein zweites Mittel gegeben, das die Zuhälter genommen haben, damit sie in der Nacht munter bleiben. Da fällt mir aber der Name nicht mehr ein. Es war jedenfalls nicht der große Hammer.

Welche Wirkung hatte denn Captagon?
Das hat aufgeputscht, du warst dann halt richtig überdreht und ewig munter, und hast die ganze Nacht nicht geschlafen. Andererseits: Wegen dem ganzen Adrenalin schläfst du als Fußballer nach Partien sowieso nie gut. Insofern weiß ich nicht, ob das wirklich etwas genützt hat.

Haben Sie und Ihre Teamkollegen denn bewusst zu Dopingmitteln gegriffen?
Ja, das wurde schon ganz gezielt eingesetzt. Auch in der Hoffnung, dass wir auf dem Spielfeld aufmerksamer sind. Aber wir haben das nicht vor jedem Match genommen, sondern hauptsächlich vor Europacupspielen und vor den richtig schwierigen und entscheidenden Partien in der Liga. Es haben auch nicht alle etwas genommen, es gab Spieler, die haben vor dem Match lieber zwei Gläser Cognac getrunken.

Wie sind die Spieler überhaupt zu Captagon gekommen? Über den Mannschaftsarzt?
Unsere Ärzte und Trainer haben davon nichts gewusst. Captagon war damals ein rezeptpflichtiges Medikament, aber das war natürlich für uns kein Problem, es zu kriegen. Das hat auch nichts gekostet, und irgendein Spieler hat immer zwei, drei Packerln besorgt, und vor dem Spiel gab es dann die Tabletten.

Waren Ihnen klar, dass Sie da etwas Verbotenes machen?
Legal war es sicher nicht. Das war uns schon allen klar, dass das eigentlich nicht erlaubt war. Andererseits ...

... andererseits?
Andererseits hat’s damals auch noch keine richtigen Dopingkontrollen gegeben. Die Schwerathleten haben zu meiner Zeit geschluckt wie die Narren. Die Biathleten haben Tranquilizer verwendet, um beim Schießen ruhig zu bleiben. Wir haben auch mit Vitamincocktails herumprobiert.

Hatten Sie keine Angst, ertappt zu werden, oder vor Spätfolgen?
Als Aktiver denkst du ja keine Sekunde an mögliche Spätfolgen. Klar hätte man das Mittel wahrscheinlich im Blut nachweisen können. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals kontrolliert worden wäre, obwohl es geheißen hat, dass sie Stichproben machen.

Was war eigentlich der Grund, wieso überhaupt gedopt wurde?
Es hat geheißen: ,Wir nehmen das jetzt, weil es die anderen auch nehmen. Weil so blöd sind wir ja nicht, dass wir das nicht auch könnten.‘ Wir waren in Innsbruck ja nicht die einzigen. Es ist zwar nicht viel darüber geredet worden, aber alle haben gewusst, was los ist. Es ist schon anzunehmen, dass diese Sachen ziemlich flächendeckend genommen wurden. Wobei ich heute sage, dass es nicht wirklich etwas gebracht hat. Das war mehr Placebo und alles andere als professionelles Doping, wir hätten unsere Erfolge auch ohne diese Mittel gefeiert.

Haben denn die Gegner jemals argwöhnisch reagiert?
Ich kann mich erinnern, dass sich ein Rapid-Spieler, ein berüchtigtes Raubein, noch berüchtigter als ich, einmal beim Schiedsrichter beklagt hat. Der hat gesagt: ,Schau dem einmal in die Augen, der ist doch bis oben hin zu, der ist sicher gedopt.‘

Haben Sie auch einmal negative Erfahrungen gemacht?
Vor einem Europacupspiel in Basel haben wir neue Tabletten ausprobiert. Keine Ahnung, wer die damals daher gebracht hat, aber jedenfalls hat es geheißen: ,Die sind eine echte Sensation.‘

Und waren sie dann wirklich so sensationell?
Beim Aufwärmen im Stadion habe ich schon gekotzt. Daran sieht man schon, dass es bei uns damals äußerst dilettantisch zugegangen ist.

Captagon war in den 1970er- und 1980er-Jahren im Fußball weit verbreitet. Das Mittel galt als Alternative zu Amphetamin und wurde auch als Antidepressivum eingesetzt, weil es die Aufmerksamkeit und die Leistungsbereitschaft erhöht. Der Wirkstoff steht auf der Verbotsliste der Welt-Antidoping-Agentur. Der deutsche Bundesliga-Trainer Peter Neururer (Schalke, Bochum, Hannover) bestätigt die Einschätzung von Werner Kriess: „Bis zu 50 Prozent haben das konsumiert. Viele Spieler waren verrückt danach.“

Im Fall von VfB Stuttgart und SC Freiburg ging es seinerzeit um anabole Präparate. Zu dieser Zeit spielte auch Joachim Löw in Freiburg, und der deutsche Bundestrainer äußerte sich kürzlich auch zum Doping-Thema. „Früher, als ich 18, 19 oder 20 war, da hatte man überhaupt kein Bewusstsein für Doping. Es gab keine Verbote, und es gab auch keine Doping-Kontrollen, das Bewusstsein war nicht vorhanden“, berichtet Löw.

In Deutschland werden erst seit 1988 Dopingkontrollen im Fußball vorgenommen. Viele Spieler gab es freilich nicht, die bisher in die Dopingfalle gegangen sind. Wenn Fußballer erwischt wurden, dann waren oft Drogen wie Kokain (Adrian Mutu, Claudio Caniggia) oder Cannabis (Salzburg-Goalie Alexander Walke 2003) im Spiel.

Fußball-Legende Diego Maradona wurde während der WM 1994 überführt, nachdem er ein ephedrinhaltiges Medikament eingenommen hatte. Auch Bayern-Coach Pep Guardiola wurde in seiner Zeit in Italien für vier Monate gesperrt, weil in seinem Blut Spuren von Nandrolon gefunden wurden.

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