KURIER-Redakteure verraten "ihren" Europameister

Deutsche Fans
Vier KURIER-Journalisten blicken durch die Fan-Brille und verraten den neuen Champion.

Bis jetzt war alles nur Vorgeplänkel. Die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich biegt mit den Semifinalspielen Portugal gegen Wales (Mittwoch) und Deutschland gegen Frankreich (Donnerstag) in die Zielgerade ein.

Die KURIER-Sportredaktion nahm die vier Nationalmannschaften, die nun den EM-Titel unter sich ausmachen, genauer unter die Lupe. Stärken und Schwächen wurden analysiert, Statistiken ausgewertet – und natürlich auch Sympathiepunkte vergeben. Herausgekommen sind vier Europameister:

Wieso dem Weltmeister das Double gelingt. Weshalb ein Neuling für die große Sensation sorgt. Warum es am Ende für den Gastgeber heißt: Vive la France! Und wie ein Team Europameister werden kann, ohne ein Spiel gewonnen zu haben.

Wo steht denn geschrieben, dass ein Champion auch attraktiv und offensiv spielen muss? Mit Schönheitspreisen ist Portugal in der Vergangenheit oft genug abgespeist worden. Außerdem ist der Titel „Europameister der Herzen“ bei diesem Turnier ohnehin schon vergeben. Weshalb also sollten sich die Portugiesen jetzt noch die Mühe antun, die Herzen der Fußballfans erobern zu wollen? Und dafür möglicherweise sogar sämtliche Prinzipien über Bord werfen?

Portugal wäre der logischste und würdigste Europameister dieser Endrunde in Frankreich, bei der so wenig Tore fallen wie bei keinem anderen Turnier zuvor (2,15 pro Spiel). Diesen Trend zum Minimalismus leben die Portugiesen wie kein zweites Team vor. Mit fünf Unentschieden bis ins Semifinale zu kommen, Chapeau, das macht Portugal so schnell niemand mehr nach.

Das Erstaunliche ist aber gar nicht einmal, dass man mit diesem destruktiven Spielstil erfolgreich sein kann. Das wirklich verblüffende ist ja, dass Cristiano Ronaldo da mitspielt, sich als Ausnahmekönner in dieses hautenge taktische Korsett zwängt und nie den launischen Exzentriker heraushängen lässt. Genau das macht Portugal so gefährlich.

Wo steht denn geschrieben, dass die beste Mannschaft Europameister werden muss? Wer könnte das besser wissen, als die Portugiesen. 2004 verloren sie bei der Heim-EM das Finale gegen passive Griechen. Wenn sie auf ähnliche Weise nun den EM-Titel holen, dann hatte das Trauma von 2004 etwas Gutes.

Christoph Geiler

Wo Island liegt, weiß plötzlich jeder (irgendwo oberhalb von England). Aber wo genau liegt eigentlich dieses Wales im Vereinigten Königreich? Wie viele Menschen wohnen dort? Und welchen Zweitjob hat der walisische Tormann? Wales ist nicht die Geschichte dieser EM, den Wikingern sei Dank. Doch Wales, wie Island ein Debütant auf der EM-Bühne, könnte das letzte große Kapitel zu diesem Turnier liefern. Drei gute Gründe, um ab sofort der Drei-Millionen-Einwohner-Region an der Westküste Großbritanniens die Daumen zu drücken:

Erstens: Sportlich unverdient wäre ein walisischer EM-Triumph nicht. Die Waliser haben weder den schlechtesten noch den langweiligsten Fußball in der K.-o.-Phase gezeigt, verfügen über einen Weltstar sowie über treue, stimmgewaltige und – zuvorderst – friedliche Anhänger. Obendrein sind Sensationen rar geworden im Fußball, doch auch er zieht seine Faszination daraus.

Zweitens: Wem das noch nicht ausreicht, um den Walisern seine Unterstützung zukommen zu lassen, der kann auch ganz einfach nach dem Ausschlussprinzip vorgehen: Portugal: zu Ronaldo; Frankreich: zu selbstherrlich; Deutschland: zu ... äähhm ... deutsch!

Drittens: Liebhaber des Anglophilen muss se woter in se maus zusammenlaufen, wenn Rainer Pariasek die Aufstellung der Waliser durchgeht und zu Gareth Bale oder David Vaughan kommt.

Philipp Albrechtsberger

Ganz Europa hat den Isländern die Daumen gedrückt. Angeblich. Die rhythmisch klatschenden und „Huh“ brüllenden Männer aus dem Norden hätten auch noch die Franzosen aus dem Weg räumen sollen? Also ihren Gastgebern ein Bein stellen, nur weil sich die Liebhaber kitschbeladener, hollywoodreifer, vor Realitätsverlust nur so strotzender Drehbücher das so gewünscht haben? Kleine verdreschen die Großen? Die Grande Nation kapituliert vor einer handvoll Wikingern, die sich plötzlich einbilden, Fußball spielen zu können?

Non. Impossible.

Frankreich hat dem Spuk ein Ende bereitet. Der Druck war groß. Nicht nur unter der Last, sich einer unermesslichen Blamage auszusetzen. Die Franzosen haben eine ganze Branche vor einem peinlichen Debakel gerettet, die hoch professionell spielende und vom Klasseunterschied überzeugte Fußballwelt davor bewahrt, als bloße Einbildung in Schall und Rauch aufzugehen. Vive la France.

Endlich haben sie ihren Angriffsgeist wiederentdeckt. Nicht roboterhaft und stur vorgetragen, sich selbst überschätzend, so wie es der englischen Vorstellung entsprach. Sondern eine dem Mythos gerechte Offensive, die ein wenig an die Eleganz vergangener Tage, an die hochbegabten Platini, Giresse, Zidane oder Henry erinnert. Und Frankreich hat immer gewusst, was man dem eigenen Publikum schuldig ist. So wie 1984 bei der EM, so wie 1998 bei der WM. Deutschland wird im Halbfinale ein würdiger Verlierer sein.

Bernhard Hanisch

Ja, wo gibt es denn so was? Seit 20 Jahren (in Worten: zwanzig) warten die Deutschen auf einen Titel bei einer EM-Endrunde. Und das als Abordnung, denen der Titel Turniermannschaft auf die durchtrainierten Leiber geschneidert ist.

Ja, der WM-Titel ist geglückt, dennoch wäre das beinahe so, als würden die Bayern die Champions League gewinnen, aber nicht die Bundesliga. Oder muss man den Deutschen wirklich Brasilianer hinstellen, dass sie so richtig aufblühen?

Nein, muss man nicht. Denn heuer ist es wieder so weit. Weil ein Fußball-Spiel nicht 90 Minuten dauert. Seit 1976 ging kein Elfmeterschießen mehr verloren. Auch die Verletzten werden nicht schmerzen. Khedira hin, Gomez und Hummels her, man muss keine Götze-Verehrung betreiben, um zu wissen, dass man auch im Rahmen eines Austauschprogramms erfolgreich sein kann (wer es nicht mehr weiß: Götze kam im WM-Finale in Minute 88, der Rest ist Fußball-Geschichte). Während andere Länder einige Herren nur mitbrachten, damit die Stars im Mannschaftsbus und im Flieger nicht neben dicken Funktionären sitzen müssen, haben die Deutschen 23 fast gleichwertige Spieler.

Die Vorbereitung war nicht gut, und dennoch hatte man immer den Eindruck, als habe Trainer Jogi Löw alles im Griff. Weil er und sein Team Eier haben, weil sie hingehen, wo es wehtut. Dieses Mal bleibt kein bitterer Nachgeschmack. Weil die beste Turniermannschaft den EM-Titel holt. Endlich. Zeit wird’s.

Harald Ottawa

Kommentare