Machtverwöhnte SPÖ wird umdenken müssen

Rot-Grün ist zum Erfolg verdammt
Wien könnte das erste Bundesland werden, in dem SPÖ und ÖVP gemeinsam keine Mehrheit mehr haben.

Im Wiener Wahlkampf spielen sich ulkige Szenen ab. In der ÖVP schimpft man über die SPÖ, dass diese bei der Wahl zu viel verlieren werde. In der SPÖ wiederum wird über die mangelnde Strahlkraft der Stadtschwarzen geklagt.

Wie bitte? Seit wann ärgern sich die Erzrivalen SPÖ und ÖVP darüber, dass der jeweils andere zu wenig attraktiv sei?

Für das Kuriosum gibt es einen handfesten Grund. Erstmals besteht bei der Wien-Wahl im Herbst die reelle Möglichkeit, dass SPÖ und ÖVP gemeinsam keine Mehrheit mehr bekommen. Die FPÖ könnte so stark werden, dass sie Verfassungsänderungen blockieren kann. Am 11. Oktober, Jörg Haiders siebentem Todestag, könnte dessen großes politisches Ziel, das "Ende des rot-schwarzen Systems", in Wien erstmals Realität werden. Das ist in einer Phase, in der Kärnten auf den Finanzmärkten Ramsch-Status hat, und wir Steuerzahler an den geerbten Milliarden-Schulden aus der Hypo kiefeln, ein besonderes Kunststück von Rot-Schwarz. Insofern ist es wieder typisch, dass sich SPÖ und ÖVP vorsorglich beschuldigen, dass der jeweils andere für die drohende Peinlichkeit verantwortlich ist.

Für die machtverwöhnte Wiener SPÖ steht viel auf dem Spiel, sie wird umdenken müssen. Bisher hatte die SPÖ-Wien entweder eine absolute Mehrheit oder in Gestalt der ÖVP einen recht preisgünstigen Koalitionspartner.

Experiment

Das aktuelle, erstmalige Experiment mit den Grünen macht sich aus SPÖ-Sicht nicht bezahlt. Die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße hätte die SPÖ – wie viele andere Fußgängerzonen zuvor – ohne die Grünen und mit weniger Getöse auch selbst machen können.

Die Koalition mit den Grünen entpuppt sich – sofern die Umfragen halbwegs stimmen – als SPÖ-Wählervertreibungsprojekt. Zum Unglück der SPÖ könnte aber Rot-Grün die einzig mögliche Zweier-Koalition nach der Wahl sein. Doch nach fünf Jahren gemeinsamen Regierens sind die Grünen bei den Roten ungefähr so beliebt wie Sonnenbrand.

Die Alternative für die SPÖ wäre eine Dreier-Koalition mit ÖVP und Neos. Derzeit schließt die SPÖ-Wien jedoch Dreier-Koalitionen kategorisch aus. "Zu mühsam" sei das. Einer Koalition mit den Neos hat die SPÖ-Wien auch schon grundsätzlich eine Absage erteilt. Die seien nämlich "neoliberal".

Die Grünen sind ihr zu grün, die Neos zu liberal – man wird sehen, ob sich die SPÖ ihre Prinzessinnenhaftigkeit noch leistet, wenn der billige Jakob ÖVP nicht mehr an der Hand ist.

Alte Fehler

Der Wiener ÖVP hängen wiederum alte Fehler nach. Ihr illiberaler und undurchlässiger Funktionärskader vergrault seit Jahrzehnten politische Talente. Eines der Talente, Beate Meinl-Reisinger, macht der ÖVP nun als Neos-Chefin Konkurrenz. Ein symptomatisches Beispiel, wie die ÖVP ihrer eigenen Zukunft hinterherrennt: In der Vorwoche präsentierte Meinl-Reisinger 300, von Bürgern eingereichte und von Neos gesammelte Projekte für Wien. Gestern hoppelte die ÖVP mit "50 Projekten für Wien" nach.

Wenn man’s positiv sehen will: Beide Projektkampagnen erinnern an Erhard Buseks "Grätzel"-Politik. Damals kopierte die SPÖ die ÖVP-Impulse – auch eine Art von Koalition.

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