Wahlanfechtung: Vor Gericht wird Geschichte geschrieben

14 Höchstrichter wollen ab heute 90 Zeugen zu befragen
14 Richter, 90 Zeugen und die Frage, ob Fehler in den Bezirken zu einer Aufhebung der Hofburg-Stichwahl führen werden. Eines ist schon jetzt fix: Eine Reform der Wahlgesetze ist nötig.

"Wir betreten Neuland", sagt Maria Windhager, und in ihrer Stimme schwingt etwas Ehrfurcht mit. Am Montag ab 8.30 Uhr wird sie als Anwältin des Grünen-Teams mit ihrem Kollegen Georg Bürstmayr an der Seite im Saal des Verfassungsgerichtshofs an der Wiener Freyung Platz nehmen, vis-à-vis die FPÖ-Anwälte Dieter Böhmdorfer und Gregor Wende.

Kurier.at berichtet am Montag live vom Verfahren am Höchstgericht

Neuland, weil es in Österreich noch nie ein Beweisverfahren diesen Umfangs gegeben hat: 90 Zeugen sollen vom Höchstgericht in voller, 14-köpfiger Besetzung befragt werden. Vorerst sind dafür vier volle Verhandlungstage einberaumt.

Neuland, weil das Resultat die Aufhebung einer bundesweiten Wahl sein könnte: Die Bundespräsidenten-Stichwahl vom 22. Mai, bei der Alexander Van der Bellen nur 30.863 Stimmen vor dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer gewählt wurde.

Das Medieninteresse ist enorm: Jede heimische Zeitung, jeder Fernseh- bzw. Radiosender wird vertreten sein, auch internationale Agenturen wie Bloomberg und Reuters sowie ein niederländischer Radiosender haben sich angekündigt.

Der ganze Aufwand, um zwei Fragen zu klären: Gab es Rechtswidrigkeiten bei der Hofburg-Stichwahl? Und waren diese so schwerwiegend, dass sie das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten?

Die FPÖ ist davon überzeugt. In ihrer 152-seitigen Anfechtungsschrift reichen die Vorwürfe, wie vielfach berichtet, von Verschwörungstheorien in Bezug auf Medien und soziale Netzwerke, die den Wählerwillen beeinflusst – gar psychischen Druck ausgeübt – hätten, bis hin zu Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen in 94 von 113 Bezirkswahlbehörden.

Widersprüche klären

Die Bundeswahlbehörde weist, wie berichtet, in einer Gegenschrift an den Verfassungsgerichtshof, die Vorwürfe zurück. Sie berufen sich auf die makellose Aktenlage aus den Bezirken. Sämtliche Wahlleiter und Beisitzer – auch die der FPÖ – hätten ja mit ihren Unterschriften auf den Protokollen bestätigt, dass alles ordnungsmäßig abgelaufen ist.

Gerade deshalb wird das Verfahren am Höchstgericht so interessant: Manche Zeugen werden zugeben müssen, falsch protokolliert zu haben. Und das ruft dann die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Plan, die in einigen Bezirken bereits wegen Amtsmissbrauchs und falscher Beurkundung ermittelt. Die Zeugen können sich natürlich ihrer Aussage entschlagen."Es gibt gravierende Vorwürfe, für die Zeugen ist das natürlich eine prekäre Situation", sagt Anwältin Windhager, die befürchtet, dass vier Tage für 90 Zeugen zu wenig sein könnten, um die Widersprüche zwischen Akten und Fakten aufzudecken. Trotzdem meint das Anwaltsteam von Alexander Van der Bellen in einer 43 Seiten umfassenden Stellungnahme, dass die Regeln "in Einzelfällen unrichtig" ausgelegt worden seien, dies aber "keinerlei Einfluss auf das Wahlergebnis" hatte. Tatsächliche Rechtsverstöße seien allenfalls "in einigen wenigen, bis zu 17" Bezirkswahlbehörden möglich. Angekündigt ist das Urteil bis zum 6. Juli, also zwei Tage, bevor die Amtszeit von Bundespräsident Heinz Fischer endet.

Wenn es eines gibt, wofür die Wahlanfechtung der FPÖ in jedem Fall gut war, dann, um Probleme aufzudecken, die in Österreich offenbar schon lange schlummern. Die Wahlkommissionen sind zu schwach besetzt. Dem Boom an Briefwählern sind sie offenbar nicht mehr gewachsen.

Mehr als 750.000 Briefwahlstimmen mussten am Montag nach dem Wahlsonntag in den Bezirkswahlbehörden ausgezählt werden – so will es die Wahlordnung. "Unsinnig", findet das Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer. "Es wäre überhaupt kein Problem, die Briefwahlstimmen direkt in die Urne zu werfen und sie mit den anderen Stimmzetteln in den Sprengeln auszuzählen. Dann gäbe es auch keinen Boden für Verschwörungstheorien und alle hätten am Wahlsonntag schon ein sauberes Ergebnis."

Voraussetzung sei aber, dass der Bund die Gemeinden für diese Tätigkeit besser entschädigt: Derzeit refundiert der Bund 0,72 Cent pro Wahlberechtigten. Die Kosten belaufen sich aber insgesamt (mit Druckkosten und Porto für die Briefwahl) auf fast drei Euro.

Apropos Geld: Um den Mangel an Wahlbeisitzern zu entschärfen, müsse es Anreize, und Konsequenzen geben, erklärt Mödlhammer. Anreize etwa in Form einer höheren Aufwandsentschädigung. Und Konsequenzen, wenn eine Partei keine Beisitzer stellt. "Jede wahlwerbende Partei muss in der Lage sein, Personal zu stellen, damit der korrekte Ablauf sichergestellt ist", sagt er. "Schaffen sie es nicht, sollte ein Kostenersatz für die Beamte, die dann einspringen müssen, fällig werden."

Für eine Vorverlegung der Auszählung ist auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl. Nach dem runden Tisch bei Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) vergangene Woche plant er, mit den Vertretern der anderen Parlamentsklubs noch vor dem Sommer einen Initiativantrag einzubringen. Auch er sagt: "Man muss deutlich mehr Geld in die Hand nehmen."

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