Waffen wie noch nie: Polen rüstet auf

Symbolträchtig: Polnische Militärparade (Mitte August) vor der russischen Botschaft in Warschau
Angst vor Russland: Warschau schätzt Obamas Beistand und erwartet mehr Hilfe von der EU.

Die Führung der sogenannten "Speerspitzen"-Einheit soll in Polen stationiert werden, so der britische Premier David Cameron am Freitag. Die "Einsatztruppe von sehr hoher Bereitschaft" könnte dann in naher Zukunft innerhalb ein bis drei Tagen eingesetzt werden – vermutlich gegen Russland. Dieser Beschluss des NATO-Gipfels in Wales, wurde von der polnischen Regierung begrüßt. "Nun beginnt die militärische Verstärkung unseres Gebiets. Darum haben wir seit Jahren geworben, vor allem in den letzten Monaten", so der der polnische Außenminister Radek Sikorski.

Als Ratspräsident in Brüssel wird der noch amtierende liberal-konservative Premier Donald Tusk versuchen, die EU-Staaten auf einen harten Kurs gegen den Kreml einzuschwören. Jüngste Umfragen sprechen schließlich eine deutliche Sprache – 78 Prozent der Polen glauben, dass die Ukraine-Krise die Sicherheit ihres Landes bedroht, 63 Prozent glauben, dass Brüssel sich zu wenig engagiere, gegen Russland vorzugehen.

Dabei entsteht derzeit gerade ein Paradoxon – ausgerechnet um den 75. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen kühlen die bilateralen Beziehungen ab, weil sich Deutschland zu passiv verhält, was die Verteidigungspolitik angeht. So wurde es in Warschau wenig geschätzt, dass sich Berlin gegen eine Erweiterung des multinationalen Korps in Stettin (Szczecin) zu einer NATO-Basis aussprach.

"Deutschland wird uns nicht verteidigen", so prophezeite es die einflussreiche liberale Zeitung Gazeta Wyborcza auf ihrer Titelseite und zeigte dazu ein Foto der deutschen Kanzlerin mit hängenden Mundwinkeln, die noch im Jänner an der Weichsel zur "Politikerin des Jahres" gekürt wurde.

Suche nach Solidarität

Wurde Angela Merkels distanziertes Verhältnis zu Russland zuvor sehr geschätzt, kommt ihre Politik des "Moderierens" dem polnischen Bedürfnis von emotionaleren Solidaritätsgesten immer weniger entgegen.

Dies bedient immer wieder Washington. Bestätigungen Obamas, dass Amerika Polen oder auch die baltischen Staaten nicht allein lasse, werden von Politik und Medien gehört. Schließlich gibt es immer wieder Spekulation um den "Artikel 5" des NATO-Vertrages, den sogenannten Bündnisfall. Manche polnischen Medien warnen, dass die restlichen NATO-Mitglieder allein mit verschärften Sanktionen auf einen russischen Einmarsch in Polen reagieren könnten.

Polen rüstet darum auf. Für den Verteidigungshaushalt wurden am Mittwoch im Sejm für das Jahr 2015 umgerechnet zehn Milliarden Euro beschlossen, davon entfallen 25 Prozent für die Modernisierung der Armee. Für das Jahr 2014 waren noch acht Milliarden Euro vorgesehen.

Auch die Militärmesse in der polnischen Mittelstadt Kielce, die am Donnerstag zu Ende ging, erreichte mit 500 Ausstellern eine Rekordgröße, im letzten Jahr waren es noch 300. "Unsere Armee kauft Waffen wie noch nie", so die polnische Newsweek.

"Keine Russen"

Jan Hermanowicz wehrt sich mit einem Schild. "Wir bedienen keine Russen" prangt vor seinem Restaurant in Sopot bei Danzig, ein beliebtes Ziel russischer Touristen.

Landwirte sehen das anders. Bis zum russischen Embargo Anfang August kam noch jeder zweite Apfel in Russland aus Polen. Agnieszka M., Besitzerin eines Lebensmittelladens in Warschaus, würde sich über mehr Verhandlungsbereitschaft der Politiker freuen. Verwandte Landwirte hätten nun große Schwierigkeiten – die Molkerei, die ihnen die Milch abnimmt, bezahle nun nicht mehr mit Geld, sondern mit Käse, den sie nicht mehr nach Russland exportieren könne.

Im Ukraine-Konflikt begehen nach Meinung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) Kämpfer beider Parteien Kriegsverbrechen. "Alle Seiten in diesem Konflikt haben Missachtung für das Leben von Zivilisten gezeigt und verletzen eklatant ihre internationalen Verpflichtungen", teilte AI-Generalsekretär Salil Shetty am Sonntag mit.

Russische Einmischung

Außerdem habe Amnesty Beweise dafür, dass Russland den Konflikt anheize. Moskau unterstütze die Separatisten in der Ostukraine und greife auch direkt in den Konflikt ein.

Helfer haben nach Amnesty-Angaben in der Ostukraine Beweise für willkürlichen Beschuss, Entführungen, Folter und Morde gesammelt. Sie haben mit Augenzeugen gesprochen, die vor Kämpfen bei Donezk, Kramatorsk, Luhansk (Lugansk) und anderen Orten geflohen waren. Die Zivilisten berichteten, dass die ukrainische Armee ihre Wohnorte heftig unter Beschuss genommen hätte. Diese Angriffe seien offenbar wahllos gewesen und könnten Kriegsverbrechen sein, teilte Amnesty mit. Zeugen berichteten außerdem, separatistische Kämpfer hätten ihre Nachbarn entführt, gefoltert und umgebracht.

Einwohner von Slawjansk erzählten etwa, dass Separatisten einen Pfarrer, zwei seiner Söhne und zwei Kirchgänger in ihre Gewalt gebracht und 50.000 US-Dollar (rund 38.500 Euro) Lösegeld gefordert hätten. Als die Gemeinde das Geld zusammenhatte, seien die Geiseln von ihren Entführern bereits getötet worden.

Andere Berichte, die Amnesty als glaubhaft einstuft, beschuldigten freiwillige bewaffnete Gruppen aufseiten der ukrainischen Armee, Menschen zu verschleppen und zu schlagen. "Zivilisten in der Ukraine verdienen Schutz und Gerechtigkeit", sagte Shetty. "Ohne eine sorgfältige und unabhängige Untersuchung besteht das Risiko, dass die Ukrainer über Generationen unter den Narben dieses Kriegs leiden."

Satellitenbilder als Beweise

Satellitenbilder bewiesen, dass Russland unmittelbar in den Konflikt eingreife, hieß es weiter. Sie zeigten unter anderem die Aufstellung neuer, nach Westen gerichteter Geschütze innerhalb der ukrainischen Grenze zwischen dem 13. und dem 29. August. Diese Satellitenbilder in Verbindung mit Berichten über russische Truppen auf ukrainischem Boden ließen keinen Zweifel daran zu, dass dies nun ein internationaler bewaffneter Konflikt sei, sagte Shetty. Der Kreml hat mehrfach bestritten, an den Kämpfen in der Ukraine beteiligt zu sein.

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