"Die Demo machte mich traurig"

"Die Demo machte mich traurig"
Ziad, der Vater des vierjährigen Mahmoud, erzählt, wie er die FPÖ-Protestaktion erlebte.

Sie trugen ihr letztes Hemd, ihre Blasen schmerzten an den Füßen. Der kleine Mahmoud hielt sein Kuscheltier fest. Ein Äffchen. Es war das einzige Erinnerungsstück, das der Vierjährige aus seiner syrischen Heimat mitnehmen konnte. Einige stundenlange Nachtmärsche durch die Wälder am Balkan hatten sie hinter sich. Hungrig (die Flüchtlinge ernährten sich tagelange nur von Beeren und tranken Wasser aus Bächen) und erschöpft landete die syrische Familie in Wien. Nach fünf Monaten war ihre Flucht, bei der sie sich skrupellosen Schleppern auslieferte, endlich zu Ende.

Am Hauptbahnhof gingen die Türen des Mini-Vans auf. Die Schlepper setzten Ziad (28), Maram (27) und Mahmoud (4) aus. Mit 34 anderen Flüchtlingen. 8400 Euro hat Vater Ziad für ein Leben in Frieden gezahlt.

Als die dreiköpfige Familie am Vormittag des 3. Juni im Asylzentrum Erdberg ankommt, veranstalten rund 20 FPÖ-Sympathisanten eine Protestaktion gegen das Asylquartier. Es ist der Moment, in dem KURIER-Fotograf Jürg Christandl ein Foto macht, das auf sozialen Medien Tausende Male geteilt wird. Es zeigt den kleinen Mahmoud mit seinem Vater und einem anderen Flüchtling, der im Schlepper-Bus saß, auf dem Weg zum Haupteingang.

"Die Demo machte mich traurig"
Gegen Kinder, die vor dem Krieg flüchten, zu demonstrieren, kommt nicht gut an. Das weiß auch Heinz- Christian Strache. Vergangenen Sonntagabend startet er die Gegenoffensive. Der FPÖ-Chef behauptet in der ORF-Diskussion Im Zentrum, das Foto sei eine Inszenierung. Fotograf Christandl bestreitet das, der KURIER hat Klage gegen die FPÖ eingebracht. Wir besuchten die Flüchtlingsfamilie im Ybbstal, wo sie – nach einem Zwischenstopp in Traiskirchen – derzeit auf 15 Quadratmetern lebt, und fragten nach, wie sich die Situation in Wien wirklich abspielte.
"Die Demo machte mich traurig"
FPÖ Demonstration vor dem Flüchtlingslager in Wien-Erdberg am 03.06.2015

KURIER: Herr Ziad R., Sie kamen am 3. Juni in Wien an. Wie haben Sie die Demonstration vor dem Asylzentrum in Wien-Erdberg in Erinnerung?

Ziad R.: Wir wurden von den Schleppern in Wien beim Bahnhof abgesetzt. Von Passanten bekamen wir die Information, dass es zwei Möglichkeiten für uns gab: Entweder gehen wir zur nächsten Polizei, oder wir schlagen uns zum Asylzentrum durch. Zur Polizei wollten wir nicht, weil meine Frau und ich fürchteten, verhaftet zu werden. Als wir nach Erdberg kamen, sahen wir die Menschen mit den Schildern. Wir wussten nicht, dass es sich um eine Gegendemonstration handelte. Das erfuhren wir von einem Polizisten. Er meinte, das Asylzentrum ist wegen der Aktion gegen Flüchtlinge geschlossen.

Wie hat Ihr Sohn auf die Demonstranten reagiert?

Mahmoud hat mich gefragt, was auf den Schildern steht. Da log ich ihn an und meinte: "Die Menschen heißen uns willkommen."

Wie haben Sie und Ihre Familie sich von Damaskus nach Wien durchgeschlagen?

Wir hatten in einem Vorort von Damaskus ein Haus. Als der Krieg begann, war Mahmoud ein Jahr alt. Eines Tages detonierten Bomben auch in unserer Straße. Heute ist unsere Heimatstadt komplett zerstört. Das war der Moment, wo wir das Nötigste zusammenpackten und zu den Eltern nach Damaskus fuhren. In der Hauptstadt, so dachten wir damals, werden wir vor dem Krieg sicher sein. Aber es kam anders. Heute ist Damaskus genauso umkämpft wie ganz Syrien. IS-Kämpfer sind in der Stadt. Die syrische Armee hat kaum mehr Soldaten. Jetzt müssen schon Kinder und über 50-Jährige kämpfen. ISIS lässt schon Zehnjährige kämpfen, bei der syrischen Armee sind die jüngsten 16. Lebensmittel bekommen auch nur mehr Familien, deren Männer kämpfen. Wir versetzten den Schmuck, den meine Frau zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte. Die Eltern gaben uns ihr Erspartes. Am 13. Jänner fuhren wir mit dem Auto nach Beirut. Dann ging es weiter in die Türkei nach Istanbul, wo wir uns einem Schlepper anschlossen.

Wie schnell findet man einen Schlepper?

Das ist ganz einfach. Man muss nur im Café sitzen, dann wird man einfach angesprochen. Für die Überfahrt von Istanbul nach Griechenland habe ich 2000 Euro gezahlt. Aber der Schlepper legte uns rein. Das Boot war sieben Meter lang, 53 Menschen saßen drinnen und es hatte nur einen kleinen Motor. Bevor wir in der Nacht ablegten, machte sich der Kapitän aus dem Staub und einer der Flüchtlinge navigierte das Boot nach Griechenland.

Wie wurden Sie in Griechenland empfangen?

Wir kamen in ein Flüchtlingscamp, dann ging es weiter nach Athen, wo wir zwei Monate lebten. Hier lernte ich einen Iraker kennen, der mir anbot, dass er meine Familie sicher mit einem Auto nach Österreich bringen könne. Er verlangte 6400 Euro. Die Sicherheit war mir das Geld wert. Aber auch er hielt nicht Wort, denn die Reise war alles andere als sicher.

Wie wurden Sie von den Schleppern behandelt?

Wie Sklaven. Sie stopften uns bis zur Grenze in Mazedonien zu zwölft in ein Auto. Wir musste uns ducken und durften nicht beim Fenster rausschauen. An der Grenze wurden wir von der Polizei aufgegriffen und für einen Tag auf der Polizeistation festgehalten. Dann ging es abwechselnd mit dem Auto und zu Fuß durch den Wald weiter. Im Wald bekamen wir nichts zu essen, wir tranken das Wasser aus dem Bach. Die Schlepper trieben uns an, beschimpften uns . Alle paar Tagen kamen wir zu Häusern, die vollgepfercht mit anderen Flüchtlingen waren. Hier wurden wir eingesperrt und warteten tagelang, bis die Flucht weiterging.

In welchen Situationen hatten Sie die größte Angst?

Am Boot und bei in den Autofahrten. Denn die Minivans waren überfüllt. Teilweise waren 35 Menschen im Auto. Wir musste ruhig am Boden hocken oder liegen. Ich hatte Angst, dass meine Familie ersticken muss.

Wie viel kann man auf einer Flucht mitnehmen?

Geld und eine Tasche mit Kleidung. Aber in Wien ist jeder von uns nur mehr mit seinem letzten T-Shirt und einer Hose in einem Plastiksackerl angekommen. Wir haben all unser Gepäck auf der Flucht zurückgelassen.

Wie erklärt man seinem kleinen Sohn die Flucht und den Krieg?

Mahmoud hat viel gelernt im Krieg. Schon am Lärm erkannt er, um welche Art von Waffe es sich handelt. Ich erzählte ihm, dass hier nur Filme gedreht werden. Die Toten sind Schauspieler, und das Blut ist nur Tomatensauce. Ich wusste nicht, wie ich einem Kleinkind den Tod und den Krieg erklären sollte.

Wollten Sie gezielt nach Österreich flüchten?

Unser Ziel war Österreich. Ich habe viel gelesen über Österreich und mir gefallen die Wälder.

Sind Sie nun enttäuscht, dass bei Ihrer Ankunft in Österreich eine Demonstration gegen Flüchtlinge stattfand?

Ich war traurig. Aber ich verstehe auch, dass es eine Opposition gibt. Denn wir sind eine Last. Aber meine Frau und ich sind nur geflüchtet, damit unser Sohn friedlich aufwachsen kann. In Syrien lebten alle Religionen und Kulturen jahrzehntelang friedlich zusammen. Es war nie ein Thema, ob jemand Christ, Moslem oder Alevit ist. Und plötzlich beginnen die Sunniten, Schiiten und Christen zu ermorden. Ich möchte nicht, dass mein Kind so aufwächst.

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