"Störfeuer aus dem Umkreis des Kanzlers"

Häupl, Faymann: Wien hält Sicherheitsabstand zur Bundespolitik
Wiens SPÖ fürchtet, Faymanns Asyl-Politik könnte sie den Anti-Strache-Nimbus kosten.

980 Delegierte und so viele inhaltliche Anträge wie noch nie: Wenn die Wiener SPÖ am kommenden Samstag ihren alljährlichen Parteitag abhält, trifft sich eine Landesgruppe mit einem funktionierenden Innenleben.

Das kann man über nur mehr wenige Parteien in Österreich sagen.

Im vergangenen Oktober rettete Michael Häupl der SPÖ-Wien mit einem strikten Anti-Strache-Kurs noch einmal 40 Prozent Stimmenanteil und eine dünne rot-grüne Mehrheit. Im Umgang mit den vielen Flüchtlingen stellte er "Haltung" und "Werte" der "Charakterlosigkeit" gegenüber. Aus Sorge, Wien könnte einen blauen Bürgermeister bekommen, stimmten viele Bürgerliche und Grüne für Häupl.

Diese Jubel-Stimmung vom Oktober werden die Parteitags-Regisseure am Samstag den 980 Delegierten in Erinnerung rufen. Ein Film über den Wahlkampf und den Erfolg Häupls wird den Parteitag in Stimmung versetzen – und zwar, nachdem die obligatorische Kanzler-Rede vorüber sein wird. Dann ist man sozusagen wieder unter sich.

Im Vorfeld des Parteitags ist die Atmosphäre zwischen Kanzler und Rathauspartei geladen. Seit Tagen donnert und grollt es aus der einen oder anderen Richtung.

Der Heimatbezirk von Werner Faymann, Liesing, stellt an den Parteitag einen eigenen Antrag zur Flüchtlingspolitik, dessen Text eins zu eins aus einer Faymann-Rede stammen könnte. Doch die Regie der Wiener Landespartei sieht vor, dass die Delegierten diesen Liesinger Bezirks-Antrag nicht beschließen, sondern "zuweisen" (was eine vornehme Form der Ablehnung ist).

Die Bundes-SPÖ hat das super-verschärfte Asylrecht just zwei Tage vor dem Wiener Landesparteitag zur Beschlussfassung im Innenausschuss des Parlaments platziert. In Wiens SPÖ erblickt man darin eine unfreundliche Absicht. Dass der Faymann-nahe Boulevard das Ganze mit publizistischem Getöse begleitet und den Bürgermeister auffordert, sich gegen "die Linken" in seiner Partei endlich durchzusetzen, wird als Versuch verstanden, die Wiener SPÖ zu spalten. "Das sind Störfeuer aus dem Umkreis des Kanzlers", lautet die unverhohlene Kritik an Faymann aus der Rathaus-SPÖ.

Der Hintergrund der Streitereien ist nicht nur dem Asylrecht geschuldet. Es geht um die strategische Ausrichtung der SPÖ: Macht sie, wie die Burgenländer, zur FPÖ auf? Oder bleibt sie, wie in Wien und auf Bundesebene, auf striktem Anti-FPÖ-Kurs?

Spätestens bei der nächsten Nationalratswahl wird diese Debatte voll losbrechen. Von den Koalitionsoptionen der SPÖ hängt es ab, ob sie eine Chance hat, das Kanzleramt zu behalten. Wenn die ÖVP nicht mehr den Juniorpartner der SPÖ spielen will, bleibt der SPÖ nur Rot-Blau.

Eine Linienänderung der Bundes-SPÖ in einer derart gravierenden Frage ist ohne Wiener Partei kaum vorstellbar. Wiens SPÖ hat aber wenig Interesse an Rot-Blau im Bund. Damit würde sie auch in Wien als Gegenspielerin des blauen Krokodils unglaubwürdig und ihr größtes Wahlkampf-Asset verlieren.

Vielmehr wartet die Wiener SPÖ auf Schwarz-Blau oder Blau-Schwarz im Bund – das wäre für sie ein willkommener Reibebaum für die Gemeinderatswahl 2020. Auch die roten Flächenbezirke, wo die FPÖ der SPÖ im Genick sitzt, erwarten, dass die FPÖ in Wien Wähler verliert, sobald sie im Bund regiert.

Auch vor diesem Hintergrund ist das demonstrative Zähneknirschen der SPÖ-Wien gegen die Asylverschärfungen im Bund zu sehen. Sie fürchtet um ihren Anti-Strache-Nimbus, wenn die Politik der Bundes-SPÖ von Schwarz/Blau kaum mehr unterscheidbar ist.

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