Spindelegger: "Reformen über Koalitionspakt hinaus"

Besuch in Schweden, um Rückenwind für Reformen zu erzeugen: Finanzminister Michael Spindelegger
Finanzminister Spindelegger bewundert die Skandinavier für das hohe Pensionsantrittsalter. Diese beneiden Österreich.

Schweden gilt in zweierlei Hinsicht als Vorbild: die Schweden arbeiten länger und bekommen mehr Kinder als die meisten Europäer.

Finanzminister Michael Spindelegger begab sich am Dienstag und Mittwoch dieser Woche auf Erkundungstour. Dabei erfuhr der ÖVP-Chef allerdings nicht nur Neuigkeiten in seinem Sinn.

Das schwedische Pensionsmodell besteht aus drei Säulen: die staatliche Sozialversicherung, für die ausschließlich die Arbeitgeber Beiträge zahlen. Die Arbeitnehmer sind im Gegenzug gezwungen, zusätzlich privat vorzusorgen. Außerdem beinhalten nahezu alle Arbeitsverträge auch eine Betriebspension, für die der Arbeitgeber mindestens 4,5 Prozent der Lohnsumme einzahlen muss. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter beträgt in Schweden 63,5 Jahre. In Österreich 58,4 Jahre.

Allerdings werden in Schweden ältere Arbeitnehmer gesetzlich den jüngeren bevorzugt. "Es gilt das Prinzip Last-in/First-out", sagt Österreichs Handelsdelegierter Albrecht Zimburg. Das bedeutet: Wenn ein Betrieb Leute entlassen muss, müssen diejenigen zuerst gehen, die als Letzte gekommen sind, also in der Regel die Jungen. Das – und ein schlechtes Schulsystem – tragen dazu bei, dass in Schweden jeder vierte Jugendliche arbeitslos ist. In Österreich beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 9,2 Prozent. Premier Fredrik Reinfeldt und Finanzminister Anders Borg erkundigen sich bei Spindelegger nach dem dualen Ausbildungssystem. Schweden probiert seit Jahren, unser Lehrlingssystem nachzubilden, aber es will nicht gelingen.

Um 16 Uhr ist Schluss

Spindelegger: "Reformen über Koalitionspakt hinaus"
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Schweden ist stolz darauf, dass neun von zehn Zweijährigen Kinderkrippen besuchen, dass die Beschäftigungsquote von Frauen bei 77 Prozent liegt und Männer ganz selbstverständlich ihre Babys und Kleinkinder betreuen. In den Werbespots im schwedischen Fernsehen haben bei den gestellten Familienszenen die Männer die Kleinkinder auf dem Arm. Diese andere Kultur im Umgang mit Kindern lässt sogar das Wirtschaftsleben ab 16 Uhr weitgehend still stehen. Zimburg: "Um 16.30 schließen die Kindergärten. Da eilen alle davon, um ihre Kinder abzuholen. Selbst Vorstandsvorsitzende unterbrechen Sitzungen, weil sie weg müssen." Die Stunden bis 22 Uhr gelten der Familie. "Wenn die Kinder im Bett sind, setzen sich viele Eltern zum Computer und arbeiten von zu Hause weiter", erzählt Zimburg.

Kinderkrippen, arbeitende Frauen, Manager, die um 16 Uhr heim eilen: Was in Schweden nachweislich die Geburtenrate hob, gehört nicht gerade zum Standardrepertoire der ÖVP-Familienförderung.

In Schweden nimmt die Konjunktur nach der großen Krise schneller Fahrt auf als in Österreich und in der Eurozone. Heuer rechnet das schwedische Finanzministerium mit einem Wachstum von 2,3 bis 2,6 Prozent, bereits im vierten Quartal 2013 zog die Wirtschaft an. Minister Anders Borg auf die Frage, wodurch das Wachstum bewirkt wurde: "Wir haben die Steuern gesenkt, um den Inlandskonsum anzukurbeln."

Konsum angekurbelt

Zuletzt wurden die Privathaushalte um 1,7 Milliarden Euro entlastet. In der Folge stieg der Privatkonsum 2013 um zwei Prozent und somit stärker als das Gesamtwachstum, das 1,5 Prozent betrug.

Spindelegger: "Reformen über Koalitionspakt hinaus"
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Spindelegger übergeht Borgs Aussage über die konjunkturbelebende Einkommensteuersenkung geflissentlich. Das kommt ungelegen, unterläuft es doch die ÖVP-Position im Steuerstreit mit der SPÖ. Dafür freut sich Spindelegger umso vernehmlicher, dass Schweden die Vermögens- und Erbschaftssteuer abgeschafft hat. Das passt wieder ins Bild.

Spindelegger geht es nicht darum, Systeme aus anderen Ländern eins zu eins abzubilden, sondern er will in erster Linie ein Reformklima schüren. "Wir müssen Reformen machen, die über den Koalitionspakt hinaus gehen", sagt er (siehe Interview).

Dazu seien Anregungen aus EU-Ländern nützlich, denn man werde künftig die Strukturreformen verstärkt aufeinander abstimmen.

Inspiriert von den Taten der schwedischen konservativen Regierung will Finanzminister Michael Spindelegger auch in Österreich den Reform-Output erhöhen. "Ich sehe jetzt eine große Chance dazu, weil die SPÖ das Ziel einer Steuersenkung vehement verfolgt", sagt Spindelegger im Gespräch mit Journalisten am Rande seines Schweden-Besuchs.

Zur Finanzierung einer Steuersenkung seien Reformen unabdingbar. "Die SPÖ soll nicht ihren eigenen Schmäh glauben, dass man das mit einer Millionärssteuer finanzieren kann", richtet der Finanzminister dem Koalitionspartner aus.

Bei den Regierungsverhandlungen, die erst vor wenigen Monaten abgeschlossen wurden, hat Spindelegger diesbezüglich nicht viel durchgesetzt. Nun ergreift der ÖVP-Chef die Gelegenheit für einen neuen Anlauf, um der SPÖ Zugeständnisse abzuringen, die sie bei den Koalitionsverhandlungen nicht zu machen bereit war. Spindelegger: "Die SPÖ will Steuersenkungen, die das im Koalitionspakt vereinbarte Maß überschreiten. Daher muss es auf der anderen Seite auch Reformen geben, die über das Koalitionsabkommen hinaus gehen."

Flexibel in Richtung Pension

Angelehnt an das schwedische Modell spricht sich Spindelegger für weitere Reformen im Pensionssystem aus. "Es wäre ein interessanter Ansatz, nicht beim unterschiedlichen Pensionsalter 60/65 für Frauen und Männer zu bleiben, sondern für beide eine Untergrenze beim Pensionsantrittsalter von 62 Jahren einzuführen. Zwischen 62 und 67 kann dann jeder flexibel selbst den Zeitpunkt des Pensionsantritts bestimmen." Spindelegger kann sich vorstellen, die in Österreich geltende Korridorpension ab 62 in diese Richtung auszubauen.

Spindelegger ist bewusst, dass man viel ändern müsste, wollte man das schwedische Modell in Österreich nachbilden. Die zweite Säule, die betriebliche Pensionsvorsorge, kritisiert Spindelegger als in Österreich "sehr unterentwickelt". Bei der dritten Säule, der privaten Vorsorge, sei man hierzulande "auf dem halben Weg stehen geblieben".

In den Arbeitsgruppen, die sich mit der Gegenfinanzierung der Steuerreform befassen, ist das Pensionsthema jedenfalls enthalten. Eine schärfere Gangart zur Anhebung des Pensionsalters will Spindelegger aber "nicht als Bedingung für eine Steuerreform stellen", wie er betont. Man müsse aber "aufpassen, dass sich bei den Frühpensionen nicht neue Schlupflöcher auftun". Spindelegger: "Da muss man schärfer werden."

Spindelegger und sein Amtskollege Anders Borg vereinbarten, das Thema Strukturreformen auch im Ecofin zu forcieren.

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