"Absitzen der Schulpflicht reicht nicht"

Für viele Schüler endet demnächst ihre Schulpflicht – egal, ob sie den Stoff beherrschen oder nicht. Das könnte sich bald ändern.
Die Sozialpartner wollen "Bildungspflicht" in Deutsch, Englisch und Mathematik.

Österreichs Bildungssystem leidet neben vielen anderen Schwächen noch immer an einer Regelung, die auf Maria Theresia (1740–1780) zurückgeht: Die allgemeine Schulpflicht, der ein wichtiger Zusatz fehlt – sie beinhaltet bis heute kein eigentliches Lernziel. Die Pflicht besteht nur darin, zumindest neun Jahre die Schulbank zu drücken (unter Maria Theresia waren es einst sechs Jahre).

Was zu den bekannten Problemen führt: Zu viele Jugendliche verlassen die Schule ohne ausreichende Kenntnisse in den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen.

Jetzt wollen die Sozialpartner – Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, ÖGB und Landwirtschaftskammer – Druck machen, dass sich das ändert. Denn das Thema "Bildungspflicht statt Schulpflicht" hat bisher auch in der aktuellen Bildungsreform keinen Niederschlag gefunden, sagt Michael Landertshammer, Chef der Abteilung für Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer: "Allerdings ist diese Materie bei der Reform nur aus Zeitknappheit untergegangen." Zu viele Punkte seien vor der finalen Verhandlungsnacht offen gewesen und daher nicht mehr in die Reform eingeflossen.

"Aus Sicht der Sozialpartner könnte das aber etwas sein, was die Regierung im Grunde rasch umsetzten könnte, weil dem eigentlich nichts entgegensteht", sagt der Bildungsexperte.

Der gemeinsame Vorschlag der Sozialpartner heiße "Pflichtschulabschluss Neu". Jeder Schüler müsse dafür drei Kriterien erfüllen: Eine Potenzialanalyse, eine Berufsorientierung und den Nachweis, die Bildungsziele der neunten Schulstufe in Deutsch, Englisch und Mathematik erfüllt zu haben. Das bedeutet konkret:

Berufsorientierung Diese soll ab der siebenten Schulstufe in allen Schularten (auch in der AHS) im Rahmen des Unterrichts angeboten werden. Dafür wollen die Sozialpartner alle Lehrer verpflichten, in den Lehramtsstudien eine Ausbildung bzw. Weiterbildung in Sachen Berufsorientierung und Bildungsberatung zu absolvieren.

Potenzialanalyse Jeder Schüler kann etwas besonders gut, je nach individuellen Stärken, Begabungen, Interessen. Für die Analyse jedes Schülers sollen "anerkannte internationale Testverfahren" angewandt werden. Deren Interpretation als auch die Beratungsgespräche sollen von Psychologen vorgenommen werden. Die Testergebnisse sollen nur dem Schüler und seinen Eltern ausgehändigt werden, damit der richtige Bildungsweg eingeschlagen werden kann: "Die Daten werden keinesfalls an Dritte weitergegeben", heißt es im Vorschlag der Sozialpartner.

Bildungsziele Die Schulpflicht soll zur Pflicht werden, zu definierende Ziele in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik zu erreichen oder gar zu übertreffen. Gemeint ist damit aber auch, dass die Schulstandorte verpflichtet werden, ihre Schüler so zu fördern, dass sie diese Ziele auch am Ende der neunten Schulstufe erreichen können. Sollten die Schüler diese Mindeststandards nicht erfüllen, sollen in einem Beratungsgespräch mehrere Möglichkeiten angeboten werden: Entweder soll das letzte Schuljahr wiederholt werden oder das Fach, in dem es hapert.

Schulen verpflichten

Das Neue an dem Vorschlag, und unter Experten unumstritten, sei eben diese Verpflichtung der Schulen, dafür zu sorgen, dass alle Kinder die besagten Bildungsziele erreichen – und dass die Kriterien dafür klar sind, was der Schüler dann kann bzw. können sollte. Andernfalls hätte der Schüler seine Schulpflicht eben noch nicht erfüllt.

Allerdings gelte in Österreich ein "Pflichtschulabschluss", selbst wenn "neu" dabeisteht, nicht gerade als herzeigbares Zeugnis. "Wie man das dann nennt, ist nebensächlich", sagt Landertshammer. Er plädiere dafür, den "Pflichtschulabschluss Neu" wie in Deutschland "Mittlere Reife" zu nennen. Allerdings sei der Begriff ideologisch aufgeladen, weil es sich um eine alte Forderung der ÖVP handelt, die auf SPÖ-Seite nicht goutiert wurde.

Diesen Vorschlag wollen die Sozialpartner jetzt der Regierung vorlegen. Landertshammer zum KURIER: "Wesentlich ist, dass die Schulpflicht nicht mehr nach Absitzen von neun Jahren endet, egal, welchen Wissensstand der Schüler hat."

Ein Fehler im System Die Schulpflicht in Österreich bestimmt, dass Schüler neun Jahre in Schulklassen absitzen müssen. Nicht aber, was sie danach können müssen.

Schulpflicht Neu Die Sozialpartner wollen das ändern und schlagen konkrete Ziele vor, die in einem Schülerleben erreicht werden müssen: Ein zu definierendes Mindestniveau in Deutsch, Englisch und Mathe und zusätzlich Potenzialanalyse
plus Berufsorientierung.

Vorbild „Mittlere Reife“ In Deutschland gibt es bereits in jedem Bundesland einen jeweils klar definierten „Mittleren Schulabschluss“.

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