Mikl-Leitner: Keine Quoten für Zuwanderung

Mikl-Leitner: Keine Quoten für Zuwanderung
Die Innenministerin lässt das Schweizer Ergebnis kalt. Sie sieht keine Folgen für Österreich: "Widerspricht Grundpfeilern der EU."

Das Schweizer Votum hat "keine Auswirkungen" auf Österreichs Migrationspolitik, sagt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Quoten einzuführen, das lehnt sie strikt ab. "Quoten widersprechen den europäischen Grundfreiheiten und damit den Grundpfeilern der EU", erklärt sie dem KURIER.

Eine von der FPÖ geforderte Volksabstimmung über Zuwanderungsbegrenzung kommt für die ÖVP-Ministerin nicht infrage. Undenkbar wäre für sie auch eine Volksabstimmung über das Schengen-System. Die Idee geistert bei manchen Rechtspopulisten herum. "Ein Austritt aus Schengen wäre ein massiver Rückschritt und könnte nur dann erfolgen, wenn Österreich gleichzeitig auch aus der EU austritt." Wer glaubt, Österreich würde alleine besser dastehen, der irrt: "Jeder zweite Arbeitsplatz in Österreich wird über unseren Export gesichert. Österreichs Wohlstand baut auf unserer EU-Mitgliedschaft auf."

Besser als andere

Sich in der EU mit der Armutszuwanderung zu beschäftigen, darin sieht die Innenministerin eine EU-Herausforderung. Die EU-Kommission müsse sich mit diesem Problem beschäftigen, verlangt die Innenministerin. "Österreich ist davon aber nicht betroffen, weil wir bessere gesetzliche Bestimmungen haben als andere Mitgliedsländer."

Auch wenn sich das Schweizer Ergebnis auf Österreichs Regierungspolitik nicht auswirkt, den beginnenden Europa-Wahlkampf heizen die Fragen Zuwanderung, Quoten und Grenzkontrollen aber an. Im Duell der Spitzenkandidaten für die EU-Wahl wird die Debatte darüber eine Rolle spielen. Die FPÖ wähnt sich durch die Schweizer Abstimmung im Aufwind.

Sie will diese Fragen zum Thema machen. "Das ist für uns ganz zentral", sagt Spitzenkandidat Harald Vilimsky zum KURIER. "Wir müssen uns wieder die Kompetenz über die Arbeitnehmerfreizügigkeit, den Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik von der EU zurückholen. Unsere Souveränität dürfen wir nicht aufgeben", verlangt Vilimsky.

Er regt auch an, das Schengen-System mit dem freien Personenverkehr einer Prüfung zu unterziehen. "Ob es wieder zu Grenzkontrollen kommt, darüber müssen die Österreicher entscheiden."

"Ein Ruin"

SPÖ-Spitzenkandidat Eugen Freund war für eine Stellungnahme nicht erreichbar, dafür legte sich der Delegationsleiter der SPÖ-Abgeordneten, Jörg Leichtfried, ins Zeug. "Die Ideen der FPÖ sind wirtschaftspolitisch eine Katastrophe und ein Schwachsinn. Die Grenzen wieder dicht zu machen, würde dem Exportland Österreich extrem schaden. Das wäre für bestimmte Industriezweige ein wirtschaftlicher Ruin", wettert er.

Die Freude der FPÖ über das Votum der Schweizer ist für den Sozialdemokraten "nicht nachvollziehbar. Die FPÖ ist bereit, die Interessen österreichischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz zu verraten."

Geld von Migranten

Wie Innenministerin Mikl-Leitner erinnert auch ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas daran, dass Österreich "kein Problem" mit dem Sozialtourismus hat.

"Nicht-Österreicher zahlen mehr in die österreichischen Sozialsysteme ein, als sie insgesamt daraus erhalten." Die Wortmeldungen rechter Populisten zum Schweizer Referendum seien "eine Irreführung der Bürgerinnen und Bürger", betont der Vizepräsident des Europäischen Parlaments.

Karas bringt auch ein Beispiel: Der Saldo aus geleisteten Abgaben (Sozialversicherungsbeiträge und Steuern) und die bezogenen Sozialleistungen (Familien- oder Kinderbeihilfe, Arbeitslosengeld, Pensionen) pro Zuwanderer beträgt in der Schweiz 14.549 Euro, in Österreich immer noch 2353 Euro. "Der freie Personenverkehr ist nicht nur ein Grundrecht, sondern kurbelt auch die Wirtschaft an und spült Geld in die Staatskassen", resümiert Karas.

Schlagbaumpolitik

Die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek fürchtet für die 50.000 Pendler in der Ost-Schweiz eine Verschlechterung ihrer Situation. "Die Schlagbaumpolitik gegen den freien Personenverkehr wäre ein schwerer Schlag gegen die Pendler aus Österreich und Deutschland. Diese Pendler bringen ihre Arbeitskraft zum Nutzen der gesamten Region ein."

Auch SPÖ-Klubchef Andreas Schieder weist darauf hin, dass es für österreichische Arbeitnehmer in der Schweiz künftig keine Verschlechterungen geben dürfe. "Sie haben sich auf den Grundkonsens der Freizügigkeit verlassen."

Mit ihrem Votum haben die Schweizer nicht weniger getan, als eines der „heiligen Prinzipien“ der EU infrage zu stellen: die Freizügigkeit des Personenverkehrs. Die Gründe dafür kann man nachvollziehen. Seit Inkrafttreten des entsprechenden Abkommens mit der EU kamen jährlich zehn Mal mehr EU-Bürger in die Schweiz, als die Regierung in Bern erwartet hatte. Ein großer Zustrom für ein kleines Land, der bei vielen Eidgenossen Ängste und Ärger auslöste, und zwar nicht nur bei jenen, die am Sonntag für eine Begrenzung der Zuwanderung stimmten.

Nun aber Ausländerquoten einzuführen und damit in Europa wieder neue Mauern hochzuziehen, kann und darf nicht die Antwort auf dieses Unbehagen sein. Die EU hat gut daran getan, den Eidgenossen sofort zu signalisieren: Auch für das Nicht-EU-Mitglied Schweiz, das sehr gut mit und von seinen EU-Nachbarn lebt, sind Sonderregelungen nicht akzeptabel. Entweder man spielt im vereinigten Europa mit – inklusive all seiner wirtschaftlichen Vorteile, die die Schweiz ja genießt –, oder man macht die Schotten dicht, mit allen zu erwartenden Nachteilen.

Allein schon im Hinblick auf die Europawahlen im kommenden Mai kann sich die EU keine Konzessionen in Richtung Bern erlauben. Das würden die Rechtspopulisten der Marke Strache, Le Pen, Wilders und Co. als Bestätigung ihrer fremdenfeindlichen Positionen auslegen, neuer Auftrieb wäre ihnen sicher. Die Antwort Brüssels kann also nur lauten: Die Freiheit der EU-Bürger, innerhalb der Europäischen Union zu leben und zu arbeiten, wo sie wollen – sie ist eine der größten Errungenschaften des Projektes EU. Sie ist nicht verhandelbar.

Was genau wird durch die Personenfreizügigkeit in der EU geregelt?

Neben dem freien Warenverkehr, dem freien Kapital- und Zahlungsverkehr sowie der Dienstleistungsfreiheit ist die Personenfreizügigkeit eine der vier Grundfreiheiten der EU. Sie regelt, dass EU-Bürger frei wählen dürfen, in welchem Staat der Union sie leben wollen. Drei Monate lang darf sich jeder ohne Bedingungen in einem anderen EU-Land aufhalten; danach kann jeder Staat gewisse Hürden aufstellen, z. B. die Aufenthaltsgenehmigung an Arbeit oder Vermögen knüpfen. Wer einen Job hat, darf aber auf jeden Fall im EU-Ausland leben – und auch seine direkten Angehörigen mitnehmen. Nach fünf Jahren dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthalts darf man dann auf Dauer bleiben – ohne die Bedingungen, die vorher galten.

Wie ist das zwischen der EU und der Schweiz geregelt?

1999 wurde nach jahrelangen Verhandlungen ein Abkommen zwischen der Schweiz und der EU geschlossen, das die Personenfreizügigkeit, die innerhalb der EU gilt, auf die Schweiz ausdehnte. In der Praxis gilt: Wer in die Schweiz ziehen will, muss entweder einen Job haben – oder über genug Vermögen verfügen, dass er sich selbst erhalten kann und dem Staat nicht auf der Tasche liegt. Seit Juni 2002 gilt das Abkommen für die damals 15 EU-Mitgliedsstaaten. Bei den folgenden EU-Erweiterungen wurde es ergänzt, für Bürger Bulgariens und Rumäniens gelten bis 2016 Beschränkungen. Für Menschen aus Kroatien, das im Juli als 28. Land der EU beitrat, heißt es „bitte warten“: Die Schweiz hat die Personenfreizügigkeit für Kroatien noch nicht ratifiziert.

Kann die Schweiz das Abkommen jetzt einfach so einseitig kündigen?

Ja, aber: 1999 wurden zwischen der Schweiz und der EU insgesamt sieben Verträge abgeschlossen – neben der Personenfreizügigkeit unter anderem auch zu Produktzulassung, Landwirtschaft, Forschung und Verkehr. Die sieben Verträge sind durch eine „Guillotine-Klausel“ verknüpft, das heißt: Es gelten entweder alle – oder keiner gilt.

Wie wird dieser Domino-Effekt innerhalb der EU gesehen?

In Brüssel hat man in den vergangenen Jahren nicht nur der Schweiz gegenüber klargemacht, dass es kein „Rosinenpicken“ geben kann. Im Klartext: Kündigt die Schweiz also das Abkommen zur Personenfreizügigkeit, verliert sie ihren weitgehenden Zugang zum EU-Binnenmarkt. Und das könnte für die Schweizer Wirtschaft ein großer Wettbewerbsnachteil werden: 60 Prozent ihres Außenhandels betreibt die Schweiz mit der Europäischen Union.

Ist ein Kompromiss denkbar, mit dem die Schweiz die Zuwanderung begrenzen kann, ohne dass alle Abkommen gekündigt (und neu verhandelt) werden müssen?

Mit der Volksinitiative wurde die Schweizer Regierung beauftragt, binnen drei Jahren ein neues Zuwanderungsgesetz mit Quoten zu erlassen. Möglich wäre, dass die Quoten für EU-Ausländer relativ hoch angesetzt werden – sodass in der Praxis niemand daran gehindert wird, unter den selben Bedingungen wie bisher in die Schweiz zu ziehen. Das würde zwar streng genommen trotzdem der Personenfreizügigkeit widersprechen, doch es wäre denkbar, dass die EU diese Quoten akzeptiert, bevor man sich wieder in jahrelange Verhandlungen mit der Schweiz begibt. Schon jetzt gibt es in den Verträgen eine „Ventilklausel“, quasi eine „Notfallklausel“ für den Fall, dass der Zuzug aus der EU in die Schweiz zu massiv wird. Diese Klausel läuft jedoch spätestens im Mai 2014 aus; im Vorjahr wurde sie erstmals für alle EU-Staaten aktiviert.

Das heißt, der Zuzug aus der EU war schon in den letzten Jahren „massiv“?

Er war zumindest um ein Vielfaches größer, als die Schweizer Regierung bei Abschluss des Abkommens vor 15 Jahren erwartet hat. Seit 2002 haben sich jährlich rund 80.000 EU-Bürger in der Schweiz niedergelassen – zehn Mal so viel wie prognostiziert worden war. 2013 lebten in der Schweiz 1,9 Millionen Ausländer (1,25 davon aus der EU) – ein Anteil von 23,5 Prozent an der Gesamtbevölkerung von acht Millionen. Zum Vergleich: In Österreich leben rund 11,6 Prozent Ausländer. Italiener und Deutsche machen in mit jeweils knapp 300.000 Menschen die größten ausländischen Gruppen aus, Österreicher gibt es in der Schweiz rund 40.000.

Welche Rolle spielen die Ausländer am Schweizer Arbeitsmarkt?

Eine zentrale. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist mit 3,5 Prozent sehr niedrig (Österreich ist mit 4,9 Prozent EU-Bester). Fachkräfte werden in vielen Branchen gebraucht. In manchen Regionen, wie dem Tessin, das an Italien grenzt, gibt es aber Klagen, dass die Schweizer nicht mit den billigeren Ausländern konkurrieren können. Armutszuwanderung aus der EU in die Schweiz gibt es aber nicht – die Ausländer zahlen pro Kopf und Jahr rund 15.000 Euro mehr Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, als sie Sozialleistungen beanspruchen.

Kommentare