Kurz will Sozialgeld für Zuwanderer nicht mehr sofort zahlen

Kurz will Sozialgeld für Zuwanderer nicht mehr sofort zahlen
Außenminister Kurz will, dass man sich "den Anspruch auf diese Sozialleistungen erarbeitet".

Heute ist der britische Außenminister Philipp Hammond zu einem Arbeitsbesuch und einem Mittagessen bei seinem österreichischen Amtskollegen in Wien. Der KURIER fragte Außenminister Sebastian Kurz, wie sich Österreich zu britischen Wünschen nach grundlegenden Änderungen in der EU stellt.

KURIER: Herr Minister, lehnt Österreich die britischen Wünsche an die EU pauschal und grundsätzlich ab, oder gibt es partielle Übereinstimmungen?

Sebastian Kurz: Ich mache bei dem Spiel, die Vorschläge Großbritanniens pauschal abzulehnen, ohne die Inhalte genau anzuschauen, nicht mit. Bei einigen Vorschlägen Großbritanniens gibt es massive Übereinstimmung, weil wir ähnliche Probleme haben, und ich der Meinung bin, dass man Lösungen dafür braucht. Ich bin für gleiche Regeln für alle EU-Länder, nicht für Extrawürste.

Das macht neugierig. Von welchen Bereichen sprechen Sie?

Ein Bereich ist die Subsidiarität. Die EU muss stärker werden in großen Fragen, in der Außen- und Sicherheitspolitik etwa, aber sie soll sich in kleinen Fragen – vom Olivenölkännchen bis zum Duschkopf – zurückhalten.

Das klingt nach einem Großprojekt, nach einer Art Föderalismusreform auf EU-Ebene. Wie realistisch ist denn so eine Kompetenzbereinigung?

Das ist weniger kompliziert, als es klingt. Es ist nämlich nicht immer nur die Schuld der EU-Kommission, sondern es sind auch die Nationalstaaten, die diese Klein-Themen, vom Olivenölkännchen bis zum Duschkopf, auf die europäische Agenda setzen. Es bedarf im Grunde nur eines Beschlusses der Nationalstaaten, sich klare Spielregeln und einen Rahmen zu geben, wo die EU künftig Themen regeln soll und wo nicht.

Wie sehen Sie Großbritanniens Anliegen, den Zugang zu Sozialleistungen für Bürger von EU-Staaten einzuschränken?

Die Niederlassungsfreiheit ist ein wichtiger Grundpfeiler der EU. Wer die Niederlassungsfreiheit schätzt und bewahren möchte, muss sie gegen Missbrauch und Falschinterpretation schützen und verteidigen. Die Niederlassungsfreiheit ist bezogen auf den Arbeitsmarkt das Recht, überall zu arbeiten. Aber sie ist definitiv nicht das Recht, sich das attraktivste Sozialsystem auszusuchen.

Ist die österreichische Rechtslage mit der Großbritanniens vergleichbar? Bei uns muss man doch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, um zur Mindestsicherung zu kommen.

Wir haben tatsächlich den nationalen Spielraum bei den Regelungen maximal ausgeschöpft. Anders als in Deutschland und Großbritannien haben wir keine direkte Migration in unser Sozialsystem. Sehr wohl haben wir das Problem, dass Personen in den Arbeitsmarkt zuwandern, dann aber sehr bald arbeitslos werden und in unserem sehr attraktiven Sozialsystem verweilen. Das ist auch nachvollziehbar. Unsere sozialen Mindeststandards, die Mindestsicherung und Co, sind teilweise wesentlich höher als das Durchschnittseinkommen in anderen EU-Ländern. In Rumänien beträgt das Durchschnittseinkommen nicht einmal 400 Euro. Insofern bin ich voll und ganz der Meinung, dass es Veränderung braucht. Wer die Niederlassungsfreiheit schätzt, darf bei diesen Fehlentwicklungen nicht zusehen. Die Sozialstaaten können das nicht stemmen. Ich gehe davon aus, dass auch Länder wie Schweden und Deutschland das unterstützen werden.

Was soll konkret für wen gestrichen werden?

Also: In die Arbeitslosenversicherung werden Beiträge eingezahlt, daher sollen Versicherungsleistungen unangetastet bleiben. Es geht um Sozialleistungen aus dem Steuertopf. Schlicht und ergreifend: Man soll sich in Zukunft Anspruch auf diese Sozialleistungen durch Arbeit, das heißt durch Einzahlen in den Steuertopf, erwerben müssen.

Wie lange soll ein EU-Bürger in einem anderen EU-Land arbeiten müssen, damit er Anspruch auf Sozialleistungen erwirbt?

Das wird ein Thema mit Philipp Hammond sein.

Monate oder Jahre?

Das ist zu diskutieren.

Wenn eine deutsche Familie nach Wien zieht, mit Kindern, kriegen die dann, sagen wir, fünf Jahre keine Kinderbeihilfe?

Wenn sie arbeiten, haben sie selbstverständlich Anspruch. Es geht um die Leute, die keinen Beitrag leisten.

Wenn jemand also binnen fünf Jahren arbeitslos wird, soll er weder Mindestsicherung noch Kinderbeihilfe bekommen?

Ich will die Familien- und Sozialleistungen, die keine Versicherungsleistung sind, für Leute, die nach kurzem Aufenthalt bereits arbeitslos sind, infrage stellen. Wir sollten die diesbezüglichen EU-Richtlinien und Verordnungen prüfen. Sollten EU-Vertragsänderungen nötig sein, schließe ich sie nicht aus.

Arbeitslosenversicherung: Dabei handelt es sich nicht um eine Sozialleistung, sondern um eine Versicherungsleistung.
Wer ins System einzahlt, hat auch Anspruch darauf. Unter 25 Jahren sind sechs Monate beitragspflichtige Erwerbstätigkeit erforderlich, über 25 Jahren 52 Wochen.

Mindestsicherung: Für die bedarfsorientierte Mindestsicherung (in Wien 827,82 Euro, bei Paaren 620,87 pro Person) müssen EU-Bürgerentweder hier arbeiten bzw. gearbeitet haben (da reicht schon ein Tag) oder legal mindestens fünf Jahre hier wohnhaft gewesen sein. Nur wer Krankenversicherung und Arbeitsplatz hat oder ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt vorweisen kann, bekommt ein Aufenthaltsrecht. Die Mindestsicherung kommt also nur für EU-Bürger infrage, die einen schlecht bezahlten Job haben und die Differenz auf die Mindestsicherung beantragen. Nichterwerbstätige Unionsbürger haben keinen Anspruch. Auch anerkannte Flüchtlinge haben Anrecht auf die Mindestsicherung, wenn sie am Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden können. Asylwerber haben kein Anrecht auf Mindestsicherung.

Familienbeihilfe: Wie bei der Mindestsicherung braucht es eine Arbeit und eine Krankenversicherung für den Anspruch auf Familienbeihilfe.

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