"Krone"-Schlagzeile: Ist die Kritik aus der Türkei gerechtfertigt?

Türkische Botschaft in Wien.
Die Schlagzeile der Kronen-Zeitung, wonach die "Türkei Sex mit Kindern unter 15 Jahren" erlaube, sorgte zuletzt auch auf diplomatischer Ebene für Verstimmungen. Zu Recht?

Neben der Kurdendemonstration vom Samstag, ist es nach wie vor folgende Schlagzeile der Kronen-Zeitung, die für diplomatischen Unmut in der Beziehung mit der Türkei sorgt.

"Krone"-Schlagzeile: Ist die Kritik aus der Türkei gerechtfertigt?

Wie die APA am Dienstag schrieb, liegt die "offensichtliche Grundlage" für diese von der Türkei heftig kritisierten Schlagzeile darin, dass der "türkische Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung aufhob, die sexuelle Handlungen an Kindern unter 15 Jahren als sexuellen Missbrauch unter Strafe stellte. Ein Bezirksgericht hatte die Höchstrichter mit der Begründung angerufen, die geltenden Gesetze machten keinen Unterschied zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen."

Prinzipiell ist das nicht falsch. Doch auch die Erklärung der APA zur umstrittenen Schlagzeile der Kronen-Zeitung greift zu kurz. Von einer "offensichtlichen Grundlage" für "Türkei erlaubt Sex mit Kindern unter 15 Jahren" kann im juristischen Sinn keine Rede sein.

Aber ist die Schlagzeile der Krone einfach nur eine Zuspitzung, oder ist sie schlichtweg falsch?

Gemäß dem vom türkischen Verfassungsgerichtshof gekippten § 103 des türkischen Strafgesetzbuches sind sexuelle Handlungen an unmündigen Minderjährigen bis zum Alter von 15 Jahren verboten. "Bisher beträgt der Strafrahmen für sexuelle Handlungen an unmündigen Minderjährigen bis zum Alter von 15 Jahren acht bis 16 Jahre, je nach Art der Tat." sagt Suzan Topal-Gökceli vom Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Wien. Dabei werde nach derzeit geltendem Recht jedoch nicht nach Alter differenziert.

Das heißt, es macht keinen Unterschied, ob es sich um sexuellen Missbrauch eines Unmündigen, oder beispielsweise um eine einvernehmliche sexuelle Handlung zwischen zwei 14-Jährigen handelt. Dies monierte auch das türkische Bezirksgericht: Auch für sexuelle Handlungen an/zwischen 14-Jährigen muss in der Türkei das Mindeststrafmaß von acht Jahren verhängt werden. "Diese Regelung hielt der türkische Verfassungsgerichtshof offensichtlich für gleichheitswidrig", sagt Topal-Gökceli. "Das Urteil entfaltet allerdings erst in knapp fünf Monaten Rechtswirkungen – das bedeutet, dass das türkische Parlament nun bis 13. Jänner 2017 Zeit hat, eine entsprechende Gesetzesänderung zu beschließen. Bis dahin gilt die alte Rechtslage."

Das Urteil stieß auch innerhalb der Türkei auf Kritik. Und natürlich gibt es gute Gründe, das Schutzalter am besten so hoch und so undurchlässig wie möglich zu halten. Doch wenn die Kronen Zeitung schreibt: "Bisher war Sex mit Kindern unter 15 Jahren in der Türkei strafbar - doch im Juli wurde dieses Gesetz vom türkischen Verfassungsgericht gekippt", gibt das den tatsächlichen Sachverhalt nicht korrekt wieder. Der türkische Verfassungsgerichtshof hob das Gesetz nicht auf, um "Sex mit Kindern unter 15" allgemein zu erlauben, sondern um für "Grenzfälle" eine adäquatere Regelung zu erwirken. Auch hob das Gericht das Gesetz nicht, wie die Überschrift suggeriert, mit sofortiger Wirkung auf, sondern gab dem türkischen Gesetzgeber eine Frist, innerhalb derer er nun tätig werden muss.

Bleibt abzuwarten, wann und in welcher Form das türkische Parlament eine Änderung des Strafrechts beschließen wird. Laut Topal-Gökceli ist damit aber bereits nach der Sommerpause zu rechnen.

Zur Schlagzeile will auch der Strafrahmen von mindestens acht Jahren nicht so recht passen. Zur Einordnung: In Österreich liegt die Mindeststrafe für sexuellen Missbrauch von Unmündigen bei sechs Monaten bzw. einem Jahr (je nach Art der sexuellen Handlung), in der Türkei muss nach § 103 des türkischen Strafgesetzbuches jeder sexuelle Missbrauch mit mindestens acht Jahren Gefängnisstrafe belangt werden.

Nach Alter differenzierende Regelungen bezüglich des Schutzalters von Jugendlichen gibt es im Übrigen in ganz Europa, auch in Österreich. Das grundsätzliche Schutzalter liegt hierzulande bei 14 (bzw. unter gewissen Umständen bei 16) Jahren, aber auch hiervon gibt es in Österreich Ausnahmen: Wird eine sexuelle Handlung an 12-, respektive 13-Jährigen (je nach Art der sexuellen Handlung) unternommen, so geht der Täter unter bestimmten Umständen (abhängig vom Altersunterschied) straffrei aus (siehe § 206 und § 207 österr. StGB).

Eine solche Differenzierung vorzunehmen ist nun offensichtlich genau das, was der türkische Verfassungsgerichtshof dem türkischen Gesetzgeber mit seinem Urteil aufgetragen hat.

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