Hilfe zur Selbsthilfe statt Entmündigung

„Hass darf keinen Platz haben“: Justizminister Brandstetter
Immer mehr Menschen werden unter Kuratel gestellt. Ein Projekt soll den Trend stoppen.

Ein betagter Jurist wirkt total verwahrlost, seinen Haushalt bekommt er nicht mehr in den Griff. Das Gericht bestellt einen Rechtsanwalt als Sachwalter. "Dabei hätte der Mann keinen Juristen, sondern wahrscheinlich nur eine Haushälterin gebraucht", schildert ÖVP-Seniorensprecherin Gertrude Aubauer.

Der Fall zeigt auf, woran es im Bereich der Sachwalterschaften mangelt. Psychisch Kranke oder behinderte Menschen dürfen nicht mehr selbst über ihr Leben bestimmen, wenn ein Gericht einen Sachwalter bestellt. Häufig würden sie aber nur ein bisschen Hilfe in einem Bereich benötigen und müssten "nicht sofort entmündigt werden", betont Seniorenbund-Präsident Andreas Khol (ÖVP).

Ein Projekt des Justizministeriums geht von diesem Ansatz aus: "Ziel ist, die Selbstbestimmung so lange wie möglich zu erhalten. Es kann nicht im Interesse der Justiz sein, dass immer mehr Menschen unter Sachwalterschaft gestellt werden", sagt Justizminister Wolfgang Brandstetter. Mehr als 59.000 Personen sind besachwaltet. Vor zehn Jahren waren es nur halb so viele. Der Anstieg hängt u. a. damit zusammen, dass die Menschen immer älter werden und oft in Heimen landen. Müssen etwa Heim-Verträge verlängert werden oder lassen Pensionisten mehrmals Arzttermine sausen, können sie unter Kuratel gestellt werden.

An 17 Gerichtsstandorten (die Liste finden Sie auf kurier.at) in ganz Österreich sollen nun in solchen Causen nicht sofort Sachwalter auf den Plan treten. Die Gerichte müssen zunächst eine Clearingstelle (Sachwaltervereine, Sozialarbeiter) einschalten. Dort wird abgeklärt, ob und wie der Betroffene unterstützt werden kann, z. B. durch Einbindung von Hilfsvereinen. Nach drei bis sechs Monaten wird entschieden, ob ein Sachwalter vonnöten ist (bisher waren es zwei bis drei Wochen). Das Projekt läuft bis Herbst 2015, die Ergebnisse sollen in eine Gesamt-Reform des Sachwalterrechts einfließen.

Schlechte Betreuung

Ein solche Reform fordert die Volksanwalt schon länger. Bei ihr langen jährlich "rund 200 Beschwerden zu Sachwalterschaften ein", sagt Volksanwältin Gertrude Brinek. Bemängelt wird etwa, dass sich manche Anwälte nicht ausreichend um ihre "Schützlinge" kümmern. Karl Blecha, Chef des SPÖ-Pensionistenverbandes, fordert daher, dass Sachwalter maximal zehn Personen betreuen dürfen. Gertrude Aubauer weiß, dass manche Anwälte "für mehr als 50 Personen" zuständig sind.

59.000 Betroffene

Sachwalterschaften

Mehr als 59.000 Menschen sind in Österreich besachwaltet – Tendenz steigend. Die Entscheidung fällt ein Gericht. Sachwalter sind meist Angehörige, Mitarbeiter von Sachwaltervereinen oder Anwälte/Notare. Sie vertreten Betroffene bei Ämtern, verwalten Vermögen, entscheiden über medizinische Behandlungen etc.

Wien

Bezirksgericht Donaustadt, Bezirksgericht Leopoldstadt, Bezirksgericht Fünfhaus

Niederösterreich

Bezirksgericht St.Pölten, Bezirksgericht Waidhofen

Oberösterreich

Bezirksgericht Wels

Burgenland

Bezirksgericht Eisenstadt, Bezirksgericht Neusiedl

Steiermark

Bezirksgericht Graz-Ost, Bezirksgericht Graz-West, Bezirksgericht Bruck an der Mur, Bezirksgericht Mürzzuschlag

Kärnten

Bezirksgericht Wolfsberg

Salzburg

Bezirksgericht Salzburg, Bezirksgericht Thalgau

Tirol

Bezirksgericht Rattenberg

Vorarlberg

Bezirksgericht Dornbirn

Kommentare