125 Jahre SPÖ: "Kein Hoffnungsschimmer"

Parteigründer Victor Adler bei einem Fest auf dem Laaerberg mit Wienerberger Ziegelarbeitern – für sie hatte sich der Armenarzt und Journalist in zahlreichen Artikeln eingesetzt.
Die Kanzlerpartei ist seit der Ära Kreisky massiv geschrumpft – gefeiert wurde am Samstag trotzdem.

Dort, wo einst der Grundstein gelegt worden war, fand gestern ein Festakt statt: In Hainfeld (NÖ) hatte sich unter Victor Adler die sozialdemokratische Arbeiterpartei formiert. Was trieb die Gründer an? Warum geht es seit Kreisky bergab? Und wie schaut die Zukunft aus? Das fragte der KURIER den SPÖ-Kenner und Politologen Anton Pelinka.

KURIER: Herr Professor, was war die Triebfeder von Victor Adler, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei zu gründen?

Anton Pelinka: Die Hauptmotivation des Hainfelder Parteitages war die Einigung der verschiedenen sozialistische Gruppen und der ersten gewerkschaftlichen Organisationsformen unter Adler.

Welche Vision hatte Adler?

Zentral war das Ziel, die politische Demokratisierung voranzutreiben – in Richtung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts. Das zweite Ziel war, die soziale Diskriminierung der Arbeiterschaft zu bekämpfen.

1934 wurde die Partei verboten. Wie agierte sie damals?

Die Parteiführung ist im Wesentlichen ins Exil gegangen – nach Brünn. Ein Teil ist in den Untergrund gegangen. Renner und Seitz sind geblieben, die wurden verhaftet.

Nach dem Krieg ging es bergauf. Höhepunkt war die Ära Kreisky.

Das war einmalig in Europa. Kreisky hatte drei Mal eine absolute Stimmenmehrheit, Adenauer hat das nur einmal geschafft. In den 1970er-Jahren war die SPÖ die erfolgreichste Partei Europas.

Worauf führen Sie das zurück?

Kreisky ist es gelungen, die Lagermentalität zu zerbrechen, also attraktiv zu werden für Personen, die nicht aus dem sozialistischen Lager kamen. Entscheidend war die Ablehnung des Kommunismus. Und als er 1970 Kanzler wurde, machte Kreisky einen Antrittsbesuch beim Kardinal-Erzbischof von Wien – ein strategischer Meisterstreich. Damit hat er Menschen die Ängste genommen, die dachten, die Sozialdemokraten werden die Kirche unterdrücken.

Nach Kreisky ging es bergab.

Der Abstieg war nicht überraschend, sondern eine Rückkehr zur Normalität im Vergleich zu sozialdemokratischen Parteien in anderen europäischen Ländern.

Dennoch ist die SPÖ zu einer Mittelpartei geschrumpft.

Das hängt mit dem Generationenwechsel zusammen. ÖVP und SPÖ sind die Parteien der alten Leute.

Heißt das, die Anhänger sterben aus? Warum punktet die SPÖ bei den Jungen nicht?

Die Alten sind verlässlicher, gehen eher wählen, sind eher Stammwähler. Die besser gebildeten Jungen laufen eher zu den Grünen oder den Neos und die Modernisierungsverlierer eher zu den Freiheitlichen.

Was könnte die SPÖ heute tun, um mehr Leute anzusprechen?

Ich habe kein Patentrezept, nur eine Überlegung dazu: In welchen gesellschaftlichen Segmenten gibt es Wachstum? Das sind sicher die besser Gebildeten. Die Modernisierungsverlierer – Menschen ohne höhere Ausbildung mit Ängsten gegenüber Migration und Globalisierung – sind sicher eine Schrumpfgröße.

Apropos Bildung: Die Gründerväter von Adler abwärts waren hoch gebildet. Wie beurteilen Sie den geistig-intellektuellen Zustand der SPÖ heute?

Er ist dürftig. Das hat schon unter Gusenbauer begonnen. Der ist doch durchaus in der Lage, international-intellektuell zu parlieren. Ich dachte, Gusenbauer wird es dem Kreisky nachmachen – und einen gigantischen Kongress unter dem Titel „Zukunft der Sozialdemokratie in der Welt“ machen. Das hat er nicht gemacht. Das fehlt auch heute. Ich vermisse bei der Sozialdemokratie auch eine europäische Strategie. Wobei da Kanzler Faymann gelernt hat. Er ist überraschenderweise europäischer als Spindelegger (ÖVP-Chef).

Die SPÖ will ein neues Parteiprogramm erarbeiten – federführend von Karl Blecha und Ex-Klubchef Cap. Sind das die Zukunftsansagen für die Partei?

Ich schätze beide Herren auf ihre Art, sie können sicherlich wichtige Beiträge leisten, aber sind als Vorzeigegrößen die falsche Ansage. Blecha ist Vorsitzender des Pensionistenverbandes. Dieses Signal ist schon bedenklich. Caps große Zeit als aufmüpfiger junger Mensch liegt auch mehr als 30 Jahre zurück.

Im Mai ist EU-Wahl. Wie soll die SPÖ mit der FPÖ umgehen?

Man muss Europa populär machen! Das war die Vranitzky-Mock-Strategie. So haben sie die EU-Abstimmung 1994 gewonnen. Tut man das nicht, nützt man der FPÖ.

Wo sehen Sie die SPÖ 2020?

Momentan gibt es keinen Hoffnungsschimmer, dass der langsame Abwärtstrend nicht weitergehen wird. Wenn es der SPÖ deutlich schlechter gehen sollte als heute, ist das französische Rezept zu überlegen: 1968 und 1969 errangen die Gaullisten zwei grandiose Wahlerfolge, die Sozialistische Partei bekam nicht einmal zehn Prozent. Daher löste sie sich auf und wurde kurz darauf neu gegründet – von Francois Mitterrand, der in der alten Partei nicht einmal Mitglied war. Zehn Jahre später war er Präsident. Es kann also durchaus sein, dass auch die SPÖ einen radikalen Neubeginn wird setzen müssen.

Alle durften in Hainfeld nicht mitreden – Sozialismus hin oder her. Anna Altmann musste noch vor Beginn der Veranstaltung im Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“ wieder heimfahren. Frauen waren beim Einigungsparteitag zum Jahreswechsel 1888/1889 nicht erwünscht.

Am Samstag wurde in Hainfeld niemand abgewiesen. Zwei Steinwürfe vom ehemaligen Standort des „Löwen“ entfernt traf sich die heutige SPÖ-Spitze im Gemeindezentrum mit einigen Hundert Funktionären, um 125 Jahre Sozialdemokratie in Österreich zu feiern. Ein Jubiläum im Zwiespalt zwischen erfolgreicher Vergangenheit als Groß- und holpriger Gegenwart als Mittelpartei.

Die schwindende Zahl an Wählern beschäftigte aber eher das Publikum: „Die Ungerechtigkeit bei der Pensionsreform ist der SPÖ auf den Kopf gefallen“, glaubt Heribert Punz, Jahrgang 1954.

Bruno Kreisky war halt eine Ausnahmeerscheinung“, sagt Heinz Preus, als Bürgermeister aus der 1500-Einwohner-Gemeinde Hohenberg angereist. Es sei der SPÖ seitdem immer weniger gelungen, „dem Bürger und damit dem Wähler klarzumachen, dass man in einer Koalition eben Abstriche machen muss“. Und Parteijugend-Funktionär Dieter Zelber sieht das Problem in den Erfolgen der SPÖ begründet: „Der steigende Wohlstand, zu dem wir viel beigetragen haben, hat zur Entsolidarisierung geführt.“ Verkürzte Botschaften in den neuen Medien und mangelnde Reaktion darauf hätten es der SPÖ erschwert, durchzudringen. Lösungsvorschläge der Parteimitglieder klingen ähnlich und vage: „Wir müssen den Leuten klar zeigen, dass wir etwas weiterbringen wollen.“ Festredner Konrad Paul Liessmann riet dazu, zentrale Forderungen, wie jene nach arbeitslosem Grundeinkommen nicht aufzugeben.

„Kleingeist“

Innerparteiliche Debatten klammerte Parteichef Werner Faymann am Samstag aus. Er schwor seine Zuhörer – darunter Altkanzler Vranitzky, die Minister Heinisch-Hosek und Stöger, die Landeschefs Michael Häupl und Hans Niessl sowie Vertreter aus Ländern und Gewerkschaft – lieber auf den EU-Wahlkampf ein: „Der nationale Kleingeist hat nichts mit unserem Gründungsgedanken zu tun.“ Es brauche gemeinsame europäische Antworten. „Wir müssen Nationalisten entgegentreten.“ Die SPÖ sei stolz auf ihre Geschichte, müsse aber auch Aufgaben der Zukunft meistern. „Und wir müssen die Menschen einladen, ein Stück dieses Weges mit uns zu gehen.“ EU-Fraktionschef Hannes Swoboda machte seinen Genossen Mut: „Das sozialdemokratische Jahrhundert hat noch gar nicht begonnen.“

Partei-Gründer

Der Arzt und Journalist Victor Adler (1852–1918) entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Anfangs sympathisierte er mit den Deutschnationalen, wegen des Antisemitismus wandte er sich aber ab und schloss sich einem Arbeiterverein an.

Partei-Gründung

Von 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 trafen sich rund 100 Arbeitervertreter in einem Gasthaus in Hainfeld (NÖ). Dort wurde das von Adler verfasste Parteiprogramm beschlossen – und die sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet.

Es war Fernsehen vom Feinsten: Andre Heller ließ Alfred Gusenbauer am Dreikönigstag auf ORFIII über sein Leben reden. 100 Minuten können lähmend lang sein, dieses Gespräch blieb bis zur letzten Minute spannend. Der Bauarbeitersohn, Jahrgang 1960, machte für Nachgeborene plastisch, warum eine Partei, die heute zittern muss, unter 25 Prozent zu fallen, in den 70er-Jahren auf absolute Mehrheiten abonniert war. Für die Generation Gusenbauer stand die SPÖ für Modernität, Weltläufigkeit und die Aufstiegschance vom Arbeiterkind zum Akademiker. Für Teenager der 2000er- Jahre ist die SPÖ eine betulich biedere alte Tante, wenig attraktiv außerhalb des engsten Familienkreises.

Auch beim Fest zum 125. Geburtstag gestern im niederösterreichischen Hainfeld, dem Gründungsort der SPÖ‚ blieb man weitgehend unter sich. In der Hochblüte der Partei unter Bruno Kreisky hätte sich die Elite des Landes darum gerissen, dabei zu sein.

Frontverlauf von gestern

Hat der liberale Vordenker Ralf Dahrendorf mehr denn je recht mit dem legendären Satz „Das sozialdemokratische Jahrhundert ist zu Ende“? Chancengleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität gehören zu den Leitmotiven aller Volksparteien von den Christ- bis zu den Sozialdemokraten. Für beide aber sind die goldenen Zeiten vorbei, als sie das Gros der Wähler hinter sich scharten.

Zornige junge Arbeiter fühlen sich von Heinz Christian Strache angezogen; abenteuerlustige Jungakademiker neuerdings von Matthias Strolz.

Den politischen Niedergang der Antikapitalisten hat der Beinahe-Crash des Finanzsystems 2008 paradoxerweise verschärft: Rezepte gegen sinkende Realeinkommen und steigende Arbeitslosigkeit suchen immer weniger europaweit bei der Sozialdemokratie. Auch die SPÖ findet immer weniger Antworten auf die Fragen von heute. Sie pflegt mit Hingabe den Frontverlauf von gestern: Hier die wohlhabenden Unternehmer und Selbstständigen, dort die hilfsbedürftigen Arbeiter und Angestellten.

Die größte Gruppe an Privilegierten findet sich heute freilich gut abgeschirmt vom rauen Wind des Wettbewerbs im Dunstkreis von Bund, Ländern, Sozialversicherung , Kammern und staatsnaher Wirtschaft – als Besitzer wohlerworbener Rechte, die sie mit Zähnen und Klauen gegen die da unten verteidigen. Die verdingen sich heute zu Hunderttausenden als neue (Schein-)Selbstständige und kommen als Ein-Personen-Unternehmer auch mit Selbstausbeutung gerade über die Runden. Am unteren Rand der Gesellschaft rangiert nicht mehr das Proletariat, sondern das Prekariat: Das wachsende Heer junger Menschen, das sich von unbezahltem Praktikum zu unterbezahltem Praktikum hantelt und mit Ende zwanzig unfreiwillig noch immer im Hotel Mama logiert.

Die SPÖ zum 125. Geburtstag endgültig auf dem Weg ins History-Land? Eine glaubwürdige Story, die ihr Wachstum für die nächsten Jahre verspricht, ist weit und breit nicht auszumachen.

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