Zwei Tage der Wahrheit für Italien

Italy's former Prime Minister Silvio Berlusconi smiles as he appears as a guest on the RAI television show Porta a Porta (Door to Door) in Rome February 22, 2013. REUTERS/Remo Casilli (ITALY - Tags: POLITICS ELECTIONS)
Ab heute können die Bürger Berlusconi in Pension schicken oder in die neue Regierung.

Tsunami Grillo“ lässt in bester Rock-Star Manier auf sich warten. Sobald er jedoch gegen 21 Uhr die Bühne vor der Piazza San Giovanni in Rom betritt, gibt es kein Halten mehr. Tosender Applaus, begleitet von lautstarken „Beppe-Beppe“-Rufen, ist erst der Beginn einer abendfüllenden Heldenverehrung. Der Starkomiker Beppe Grillo enttäuscht sein Publikum nicht. „Wollt ihr wirklich wissen, wie viele wir heute Abend sind? 800.000 Leute, das ist unglaublich. Wir sind das größte Medienereignis aller Zeiten“, schreit der 64-Jährige ins Mikrofon.

„Der Politiker ist tot“

„Viele seiner Ideen gefallen mir, die Umweltthemen, seine Kritik an der Finanzlobby und an der EU“, erzählt Alessandra, die seit Stunden auf der Piazza wartet. Zwei Grillo-Fans bahnen sich mit einem Holzsarg, auf dem „Der Politiker ist tot“ steht, ihren Weg durch das Gedränge. Die Stimmung ist aufgeheizt. Die „Grillini“ vereint die Enttäuschung über die „korrupten Politiker, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind“, meint eine junge Frau. Verlockend ist die von der Fünf-Sterne-Protestbewegung geforderte Mindestsicherung von 1000 Euro pro Monat, auch wenn an die Realisierbarkeit keiner glaubt. Grillos Programm vereint ein Sammelsurium aus rechten und extrem linken Ideen.

Wenige Hundert Meter weiter lud der Mitte-links-Kandidat Pierluigi Bersani in ein Theater zur Abschlussfeier. Aus den Lautsprecher drang Gianna Nanninis Song „Inno“, der den Wahlkampf der Linken begleitete. Überraschend betrat Filmregisseur Nanni Moretti die Bühne. „Ich hoffe, dass wir am Montag eine Befreiung von 60 Millionen Geiseln aus den Fängen einer Person feiern können, die nur aus wirtschaftlichen Eigeninteresse und um sich der Justiz zu entziehen in die Politik eingestiegen ist“, sagte Moretti mit Seitenhieb auf Berlusconi.

Auch Bersani-Fan Teodoro D. hat von 20 Jahren „Berlusconismo“ die Nase voll: „Ich hoffe, dass seine Zeit vorbei ist.“ Der Cavaliere sei nur in den Wahlkampfring gestiegen, um den Ruby-Prozess hinauszuzögern. „So konnte er sich vor der Verfolgung der Richter schützen“, so der 37-jährige Teodoro.

Wie die meisten wünscht sich der Italiener von der neuen Regierung Jobs und anständige Gehälter „Die europäische Strategie, mit der Krise umzugehen, hat nichts geändert. Die alleinige Verordnung von Austerität hat, wie man sieht, bis jetzt keine Wirkung gezeigt hat.“ Er hofft auf eine stabile Mehrheit, trotz des „umstrittenen“ Wahlgesetzes. Von einer „echten Veränderung“ erwartet er sich drastische Privilegien-Kürzungen für Politiker.

Berlusconi fehlte

Der scheidende Premier Mario Monti wählte als Abschluss seiner Tour Florenz, als Hauptstadt der Renaissance. „Ich bin zutiefst überzeugt, dass Italien neu auferstehen muss. Mit diesem Urnengang kann ein Weg des Neustarts eingeschlagen werden, der auf den Werten der Renaissance, also auf Kultur, Arbeit und Talent, aufbaut“, so der Wirtschaftsprofessor.

Mitte-rechts-Kandidat Berlusconi musste kurzfristig wegen einer Augenentzündung seinen Auftritt in Neapel absagen. Er schickte stattdessen eine Videobotschaft. Von seinem „Schloss“ Arcore aus appellierte er erneut an die Italiener, ihm das Vertrauen zu schenken.

Die Parlamentswahlen am 24. und 25.Februar sind ein Test für die italienische Zivilgesellschaft und weniger für die Politiker“, findet RAI-Journalist Giovanni Floris. Fünf Millionen Italiener entscheiden im letzten Moment, wem sie ihre Stimme geben. Umfragewerte weichen daher oft stark vom Endergebnis ab.

Der Chef der Demokratischen Partei (PD), Pier Luigi Bersani, geht mit seinem Mitte-links-Blocks als Favorit ins Rennen. Bersani steht für „Italia Giusta“, ein „gerechtes Italien“, und setzt sich für einen sozial ausgewogenen Reform- und Sparkurs sowie verstärkten Arbeitnehmerschutz und eine deutlich humanere Immigrationspolitik ein.

„Nach dem Schaden, den die Rechten angerichtet hat, ich denke etwa an die Abschiebung von Flüchtlingen aufs offene Meer, ist es Zeit für eine Wende“, erklärte Bersani. Vor allem die Lega Nord hätte alle Einwanderer als potenzielle Kriminelle behandelt und zu rechtlosen Sündenböcken abgestempelt.

Medien-Wahlkampf

Stärkster Herausforderer ist die Mitte-rechts-Allianz um Ex-Premier Silvio Berlusconi – dazu gehören die Partei „Volk der Freiheit“ (PdL), die rechtspopulistische Lega Nord, die von PdL-Abtrünnigen gegründete Mitte-rechts-Fraktion „Fratelli d'Italia“ (Brüder Italiens) sowie „La Destra“. Laut Umfragen könnte es das Berlusconi-Bündnis auf den zweiten Platz schaffen. Einige seiner Allianz spekulieren gar mit Platz eins. Medienprofi Berlusconi ließ keine TV- oder Radio-Show aus. Er ging mit Anti-EU-Attacken und unrealisierbaren Versprechen, wie die Rückzahlung der umstrittenen Immobiliensteuer, auf Stimmenfang. Zur Not werde er die vier Milliarden Euro aus der eigenen Tasche bezahlen, sagte er.

Der scheidende Premier Mario Monti tritt als Vertreter eines Zentrumsblocks, zu dem seine Wahlliste „Mit Monti für Italien“ sowie die christdemokratische Partei von Pierferdinando Casini und die Rechtspartei von Gianfranco Fini zählen. Der Mailänder Wirtschaftsprofessor Monti will seinen Sparkurs zur Rettung Italiens fortsetzen. In Wahlkampflaune hat er sogar partielle Steuersenkungen versprochen. Bis zuletzt hielt er sich die Option offen, eine Allianz mit Bersani einzugehen.

"Fünf-Sterne-Komiker"

Der große Unsicherheitsfaktor dieser Wahl ist die Fünf- Sterne-Protestbewegung von Beppe Grillo. Diese hat großen Zulauf im Lager der Politik-Enttäuschten und der jungen Leute. Der Komiker wurde lange Zeit als Polit-Clown unterschätzt und könnte laut Umfragen sogar als zweitstärkste Einzelpartei ins Parlament einziehen.

Grillo mobilisierte auf seiner „Tsunami“-Wahlkampftour via Blog, Facebook und Twitter die italienischen Massen, tourte im Camper quer durch ganz Italien und füllte die Piazze mühelos.

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