Zwei Libanesen, ein Flüchtling

Flüchtlingslager in der Bekaa-Ebene nahe zur syrischen Grenze im Libanon.
Kein Land der Welt hat mehr Syrer aufgenommen – und ist jetzt am Ende seiner Kräfte.

Für Majed Shab ist heute ein guter Tag. Eine europäische Hilfsorganisation hat gespendet. Endlich gibt es Geld für den Schotter, mit dem der Matsch zwischen den Zelten im provisorischen Flüchtlingslager überdeckt werden kann. Gerade noch rechtzeitig, ehe hier auf der libanesischen Bekaa-Ebene der Winter kommt und alles in Morast und Schnee versinkt. Schnee, meint der syrische Flüchtlinge Majed lakonisch, Schnee sei ihm aber ganz recht, "dann wird es wenigsten nicht so kalt". Schneit es nicht, können die Temperaturen auf der Hochebene im Jänner, Februar auch schon mal minus 20 Grad erreichen.

Zwei Libanesen, ein Flüchtling
ABD0059_20151211 - BEIRUT - LIBANON: THEMENBILD - Illustration zum Thema Caritas Pressereise in den Libanon. Im Bild: Ein Flüchtlingslager aufgenommen am Dienstag, 8. Dezember 2015, in der Bekaa-Ebene nahe zur syrischen Grenze im Libanon. Allein im Libanon leben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 1,15 Millionen registrierte Flüchtlinge. (!!!ACHTUNG SPERRFRIST BIS SAMSTAG 12. DEZEMBER 2015!!!). - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Eine sich jährlich wiederholende Katastrophe für 400.000 syrische Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene, die fast alle in Zelten hausen. Manche verbringen bereits den dritten Winter hier. Die Errichtung großer Flüchtlingslager hat die Regierung in Beirut verboten. Zu sehr fürchtet die libanesische Führung, dass sich solch ein Lager zu einer Stadt etablieren könnte und die Flüchtlinge nicht mehr heimkehren. Die Errichtung fester Mauern ist nicht gestattet, nur Zelte dürfen aufgestellt werden – und auch nur maximal 50 an einem Platz.

Wer hier haust, in einem der zahllosen kleinen Zeltlager, die auf der Bekaa-Ebene praktisch aus jedem Acker herauswachsen, gehört zu den Ärmsten der Armen. Die Familien hier haben im Krieg in Syrien alles verloren, besitzen nichts mehr außer einer angemieteten Plastikplane, die sich Zelt nennt. Von einer Flucht nach Europa können sie nicht einmal träumen, weil sie nicht einmal die fünf Dollar besitzen, die sie über den nächsten Tag retten würden.

Ein winziger Ofen

So wie Josa und ihr Mann. Vor drei Jahren ist das Paar mit seinen sieben Kindern aus der syrischen Stadt Deir el Zour geflohen. Gewand zum Wechseln haben sie alle keines mehr, die Kinder tragen ausgelatschte Flipflops. Wenn der Schnee kommt? Josa deutet wortlos auf den winzigen Ofen in der Mitte ihres Ein-Raum-Zeltes. Heizmaterial liefert ab und zu das UN-Flüchtlingshilfswerk – viel zu wenig, um ein Plastikzeit bei Minusgraden zu erwärmen. Geschweige denn, um fast eine halbe Million Flüchtlinge allein in der Bekaa-Ebene über den Winter zu bringen.

Zwei Libanesen, ein Flüchtling
Fast zwei Millionen Flüchtlinge hat der kleine Libanon aufgenommen. Syriens westliches Nachbarland (so groß wie Oberösterreich mit bisher 4,5 Millionen Einwohnern) "trägt eine schwere Last", warnt der Präsident der Caritas Libanon, Paul Kharam. "Wenn der Krieg in Syrien weitergeht und es nicht bald eine Lösung gibt, wird das ganze System im Libanon zusammenbrechen." Seit Jänner 2015 sind die Grenzen zu Syrien geschlossen, dennoch kommen immer noch Flüchtlinge. Und auch wenn im Libanon keine Zelte oder Lager angegriffen wurden, steigen die Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Flüchtlingen. "Niemand weiß", sagt Kharam, "wann das Ganze explodiert."
Zwei Libanesen, ein Flüchtling
ABD0039_20151211 - BEIRUT - LIBANON: THEMENBILD - Illustration zum Thema Caritas Pressereise in den Libanon. Im Bild: Der Präsident der Caritas Libanon Paul Kharam aufgenommen am Montag, 7. Dezember 2015, während einer PK in der Schule St. Vinzenz in Broumana in der Nähe von Beirut. In dem Waisenhaus mit angeschlossenem Kindergarten und Volksschule werden 375 Schüler, davon mehr als 100 syrische Flüchtlingskinder versorgt und unterrichtet. (!!!ACHTUNG SPERRFRIST BIS SAMSTAG 12. DEZEMBER 2015!!!). - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER

Ressourcen gehen aus

Die Masse an Menschen überfordert die Ressourcen des Landes. Strom, Wasser, Müllentsorgung, überall sind die Grenzen erreicht. In der Hauptstadt Beirut gibt es nur noch 16 Stunden Strom pro Tag, in manchen Teilen des Landes oft gar nur noch sechs.

Und das Schwierigste: Durch den Zustrom von fast zwei Millionen Flüchtlingen seit Kriegsbeginn 2011 hat sich die Menge an potenziellen Arbeitskräften um 50 Prozent erhöht. Theoretisch – denn legal arbeiten dürfen Flüchtlinge im Libanon nicht.

Schwarzarbeit

Mustafa kann nicht anders als dieses Verbot zu umgehen. Wenn der Installateur aus der syrischen Stadt Idlib, seine Frau und seine zwei Kinder hier, in einem Vorort von Beirut, überleben wollen, muss er arbeiten, ob verboten oder nicht. Tag für Tag wartet er draußen, dort, wo alle Syrer in der Hoffnung auf ein bisschen Schwarzarbeit anstehen. Manchmal verdient er 20 Dollar pro Tag, dann oft eine Woche lang gar nichts.

Wenn ihn die Polizei erwischt? "Dann muss ich für ein paar Tage ins Gefängnis." Mustafa zuckt nur mit den Schultern. "Es geht nicht anders." Geld von Hilfsorganisation oder gar Hilfe vom libanesischen Staat hat der Familienvater nie erhalten. Immerhin aber, so gesteht der 40-Jährige, dürften seine beiden Kinder nachmittags die Schule besuchen.

Nicht nur die syrischen Flüchtlinge, auch der Libanon fühlt sich von der Welt im Stich gelassen. Kein Land der Welt hat mehr Flüchtlinge aufgenommen – auf zwei Libanesen kommt ein Flüchtling. Auf Österreich umgerechnet wären dies rund drei Millionen Flüchtlinge. Forderungen europäischer Politiker, man möge den Flüchtlingen in den syrischen Nachbarländern erlauben zu arbeiten und ihnen dadurch bessere Lebensperspektiven bieten, weist Bruno Atieh fast barsch zurück.

Der junge Direktor des Flüchtlingsbüros der Caritas Libanon ärgert sich: "Wir können den Arbeitsmarkt nicht aufmachen, das geht nicht." Nur wenn neue Jobs geschaffen würden, könne ein Teil davon in Quoten an syrische Flüchtlinge vergeben werden. "Aber für neue Jobs braucht es Investitionen." Die aber sind – ebenso wie die gesamte Wirtschaft des Libanon seit Ausbruch des Krieges in Syrien – stark geschrumpft. Die Arbeitslosigkeit im Land ist von elf Prozent im Jahr 2011 auf derzeit 25 Prozent hochgeschnellt.

Flüchtling Majed Shab will sich nicht beklagen über die zunehmenden Spannungen zwischen Libanesen und den Flüchtlingen. Aber wenn es nach ihm ginge, würde er lieber heute als morgen nach Syrien heimkehren. Vom Zeltlager, wo er seit zwei Jahren haust, blickt er auf die wenige Kilometer entfernte Bergkette. Dahinter liegt Syrien. "Mir ist egal, wer in Syrien regiert, ob das Regime Assad oder sonst wer", sagt Shab. "Ich will nur Sicherheit. Nur keinen Krieg. Dann gehe ich sofort zurück."

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