Zangengeburt für Arbeitsmarkt-Reform

Wie hier in Marseille gehen die Demos weiter - aber die Beteiligung sinkt
Angriffe auf SP-Lokale, alljährliche Parteiakademie wurde abgesagt.

Lieber ein Ende mit Schrecken als eine Schrecken ohne Ende. Es ist in etwa dieses Motto, das SP-Premier Manuel Valls veranlasst hat, die umstrittene Arbeitsmarkt-Reform ohne weiteren Aufschub im französischen Nationalrat mit Hilfe eines Sonder-Paragraphen durchzuboxen. Gleichzeitig organisierten zwei der drei großen Gewerkschaftsbünde Frankreichs den zwölften Protesttag seit März, an dem sich freilich immer weniger beteiligen.

Valls brachte die Arbeitsmarktreform als solche nicht zur Abstimmung, weil zu viele SP-Abgeordnete ihre Unterstützung verweigert hätten. Stattdessen präsentierte er das Gesetz eingebettet in die so genannte Vertrauensfrage für seine Regierung. Diese Umgehung ihres Entscheidungsrechts quittierten etliche Parlamentarier mit Getöse. Die linken Kritiker der Reform werden heute, Mittwoch,versuchen, einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einzubringen. Erst wenn dieser Antrag scheitert, gilt das Gesetz als ratifiziert.

Für die aktivsten Teile der Linken ist die Arbeitsmarktreform der Gipfel des Verrats: Kritisiert werden die teilweise Lockerung des Kündigungsschutz und die Erleichterung von innerbetrieblichen Vereinbarungen. Diese betreffen flexiblere Arbeitszeiten und die Verringerung der Überstundenzuschläge. Die Unternehmer würden so Kollektivverträge unterlaufen, um Gehaltsverzicht und Mehrarbeit zu erzwingen, sagen die Kritiker.

Vereinbarungen in Betrieben

Die Gesetzesbefürworter verweisen darauf, dass innerbetriebliche Vereinbarungen bereits laufend zustande kommen, und von Betriebsräten jener Gewerkschaften, die die Arbeitsmarktreform offiziell bekämpfen, vor Ort dann doch unterzeichnet werden.

Das neue Gesetz würde nun diese Entwicklung begleiten, indem es das gewerkschaftliche Mitspracherecht vor allem in kleineren Betrieben stärkt und den Arbeitnehmern im Fall von Jobwechsel neue soziale Begleitmaßnahmen gewährt.

Leichte Erholung

Die SP-Staatspitze will jedenfalls an ihrem sozialliberalen Kurs, der den Unternehmern entgegenkommt, festhalten. Die SP-Führung fühlt sich darin bestärkt, weil zumindest vor der jüngsten Streikwelle ein leichter Rückgang der Arbeitslosigkeit und ein Anstieg des Wirtschaftswachstums verzeichnet wurden.

Aber unter den Aktivisten und Kernanhängern der Linken überwiegt einstweilen die Enttäuschung bis hin zur Wut. Linksaußen-Gruppen haben in den letzten Wochen 30 SP-Parteilokale angegriffen. Die Attacken reichten von Schmierereien, eingeschlagenen Fensterscheiben bis hin zu Schüssen. SP-Abgeordnete zeigen sich kaum in ihren Wahlkreisen aus Angst vor tätlichen Übergriffen. Die SP hat sogar ihre alljährliche Sommerakademie abgeblasen.

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