Viel riskiert und fast alles verloren

Die Wiener Sozialforscherin Eva Lindtner in Nigeria, wo die Abgeschobenen Not und Armut erwartet.
Eine Österreicherin erhob die Situation von "Re-Migranten" in Afrika.
Von Uwe Mauch

Sie sehen sich selbst als Verlierer. Und genau betrachtet haben sie auch verloren. Nur ihr Leben nicht. Sie haben alles auf eine Karte gesetzt, haben ihr mühsam Angespartes und Geld von Familie und Freunden in ihre Flucht investiert. Sie haben die tagelangen Fußmärsche durch die Sahara überlebt, auch die lebensgefährliche Schiffspassage über das Mittelmeer. Doch an der österreichischen Asylpolitik führte für sie kein Weg vorbei.

Die Kultur- und Sozialanthropologin Eva Lindtner kennt die Biografien der "Re-Migrant_innen", wie die abgeschobenen Männer und Frauen in der Sprache ihrer Wissenschaft genannt werden. Die junge Österreicherin ist drei Mal nach Nigeria geflogen, um sich ein konkretes Bild zu machen. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit geht sie nun der Frage nach, ob die Flüchtlinge trotz ihrer Abschiebung in Europa profitiert haben. Oder ob sie zum Verlieren verdammt sind. Eine akademische Frage, wie sich schnell zeigen sollte.

Verloren hat auch Osa, die jetzt wieder in Nigeria lebt und in Benin City zu überleben versucht. Zur Orientierung: Benin City ist eine Provinzstadt im Süden des riesigen Landes, 300 Kilometer bzw. eine Tagesreise nordöstlich vom internationalen Flughafen in Lagos. Acht Jahre lang wurde ihr Asylantrag in Österreich verhandelt. In dieser Zeit hat sie Deutsch gelernt, auch Tirolerisch, sogar Volkslieder.

Sie war beliebt in den Kindergärten und Schulen, in denen sie ausgeholfen hat. Sie war längst integriert. Doch dann ging alles sehr schnell. Ein Bescheid. Die Fremdenpolizei vor der Tür. Fahrt auf den Flughafen. Ihr Rückflug nach Nigeria dauerte nur einen Bruchteil so lange wie ihre Flucht.

Man hat der "Re-Migrantin" nicht einmal Zeit gelassen, um ihre Sachen zu packen. Was für eine Schande in ihrer Heimat! Sie kann jetzt ihrer Familie das geborgte Geld nicht zurückgeben. Sie konnte nicht einmal kleine Präsente aus Europa mitbringen. Stattdessen musste sie Kleidung schnorren.

Keine zweite Chance

"Sie werfen sich selbst vor, dass sie die großen Hoffnungen, die ihre Familie und ihre Freunde in sie gesetzt haben, nicht erfüllen konnten", weiß Eva Lindtner, die Dutzende Gespräche in Benin City geführt hat. "Und sie wissen, dass sie keine zweite Chance mehr bekommen werden."

Würden sie noch einmal eine Chance bekommen, würden sie erneut ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihrer Heimat zu entkommen. "Dabei sind die Menschen in Nigeria nicht so naiv, wie man bei uns meint", betont Lindtner. "Es ist nur so, dass ihnen ihr Land keine Perspektive bietet."

Die Forscherin weiß, was das im Alltag bedeutet: In Benin City gibt es oft stundenlang keinen Strom, Trinkwasser nur aus Plastiksäcken, keine Arbeit, keine Privatsphäre, nicht einmal die Sicherheit, dass das Wenige, das die Leute besitzen, morgen auch noch ihnen gehört. Öl zum Kochen kauft man auf dem Markt in kleinen Mengen, im Plastiksackerl, um es sofort zu verkochen. Es gibt keinen Kühlschrank und keinen Vorratsschrank. Es gibt auch keine Hoffnung, dass es irgendwann besser wird.

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