Arm unter Milliardären

Das jüngste Symbol für die Bedeutung der Finanzmetropole London: Der Wolkenkratzer, „The Shard“, das Geld dafür stammt, wie so oft in London, aus den Golfstaaten, in diesem Fall aus dem Emirat Katar.
London wird in diesem Wahlkampf von einem Thema beherrscht: Die Wohnungsnot in der völlig überfüllten und überteuerten Neun-Millionen-Metropole.

Eigentlich sind das ehemalige Ställe, die der Immobilienmakler in seiner Auslage am Londoner Belgrave Park anpreist. Doch wer jetzt dort einziehen will, wo zu Königin Viktorias Zeiten noch Pferdekutschen samt Kutscher untergebracht waren, muss dafür schon mindestens 3,5 Millionen Euro hinlegen. Das passende herrschaftliche Anwesen davor ist vor ein paar Jahren schon weggegangen, um eine Summe, über die der Berater in dem pompösen Geschäftslokal vielsagend schweigt. An wen? Auch das ist natürlich Vertrauenssache: "Internationale Kundschaft."

Die meisten Häuser in der Gegend, meint ein Fahrer, der vor einer Boutique auf seinen Dienstgeber wartet, würden hier an Araber gehen. Vor allem der Emir von Katar und seine umfangreiche Verwandtschaft kaufen sich hier ein. Der Herrscherfamilie gehört auch der jüngste und höchste Wolkenkratzer im Bankenviertel der Hauptstadt, "The Shard", die Scherbe genannt.

"Das Zehnfache wert"

Arm unter Milliardären
epa04723927 British Prime Minister and Conservative party leader David Cameron campaigns during his visit to Kelvin Hughes Ltd, manufacturers of Radars, Navigation Equipment and Solutions, in Enfield, north London, England, 28 April 2015. Britain heads to the polls in the general election to be held on 07 May 2015. EPA/STRINGER UK AND IRELAND OUT
Man muss sich nicht auf Londons exklusivstem Pflaster herumtreiben, um die wachsende Verrücktheit des Wohnungsmarktes in der Hauptstadt zu erleben. Auf der anderen Seite der Innenstadt, da wo das Bankenviertel in Richtung Osten und die dort boomenden Wohn- und Ausgehviertel ausfranst, spielen zwei Banker bei einem Bier im Pub das "Was wäre wenn"-Spiel. Vor zehn Jahren sei man hier spätabends besser nicht allein herumgelaufen. Wer es trotzdem tat, entdeckte auch die renovierungsbedürftigen Backsteinhäuschen, die dort angeboten waren: "Wenn wir die damals gekauft hätten. Heute sind sie das Zehnfache wert."

Das Zehnfache, da sind schon wieder mehrere Millionen im Spiel, und damit Preise, die für normal verdienende Londoner längst nicht mehr finanzierbar sind. Für 30 Quadratmeter Wohnraum in günstigeren Vierteln im Londoner Osten sind 1500 Euro Monatsmiete das Minimum. Wer kaufen will, und das ist für Briten immer noch der wichtigste Wohntraum, muss für so ein "Studio", so die elegante Umschreibung, mindestens 600.000 hinlegen. Das macht die "Wohnungskrise", so das Schlagwort, zum meistdiskutierten Thema des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen am kommenden Donnerstag.

Egal ob die regierenden Konservativen, die Labour-Opposition oder die EU-Gegner von der UKIP, der britischen "Unabhängigkeitspartei", es vergeht kein Tag, an dem nicht ein führender Politiker mit irgendeiner drastischen Maßnahme zur Lösung dieser Wohnungskrise an die Öffentlichkeit geht.

Da will Labour-Chef Ed Miliband auf einmal die Mietpreise wieder regulieren. Die Konservativen reagieren mit bedrohlichen Prognosen, dass sich das Bauen von Wohnungen dann nicht mehr lohnen würde und so überhaupt keine neuen Häuser auf den Markt kämen. Sie versprechen stattdessen günstige Kredite für Leute, die sich Eigentum zulegen wollen. Labour kontert das wieder mit Steuererleichterungen für Hauskäufe, und so dreht sich das Karussell der Wahlkampf-Versprechen zum Thema Wohnen immer schneller. An die fünfstellige Zahl an neuen Wohnungen, die die Vertreter aller Parteien sofort nach ihrem Wahlsieg in und um London zu bauen versprechen, glaubt niemand mehr. Die hätten sie, so kommentieren Londoner solche Wahlkampf-Töne, schon bei den letzten drei Wahlen in Aussicht gestellt.

"Tatsache ist, wenn sie ordentlich Geld haben, können Sie in London überall landen", meint Alex, ein unüberhörbar frustrierter Labour-Wähler, "wenn Sie keines haben, dann landen Sie bestenfalls auf einer Warteliste für eine Sozialwohnung. Denn von denen gibt es viel zu wenige." Auch in Alex’ Wohnviertel Finchley, einem Vorort von London, in dem alteingesessener Wohlstand und wachsende Armut – vor allem von Zuwanderern – immer heftiger aufeinanderprallen, sind Wohnungsnot und Preiswucher Hauptthema auf den Wahlkampf-Veranstaltungen. Hier fürchten sich die einen vor drohenden Immobiliensteuern, da ihre alten Einfamilienhäuser durch die Preisexplosion plötzlich im Wert auf zwei Millionen Euro zusteuern. Die anderen aber wissen nicht, wie sie ihren inzwischen erwachsenen Kindern auch nur ein Zimmer in der Stadt finanzieren sollen. Dass junge Leute mit Uni-Abschluss und gut bezahltem Job in einer großen Firma sich auf Dauer in Wohngemeinschaften am Stadtrand drängen, ist längst der triste Normalfall.

WG für Banker

Und all die anderen, die Hunderttausenden Dienstleister, vom Kellner bis zur Hotelrezeptionistin, die die Stadt, die in zehn Jahren um mehr als eine Million Einwohner gewachsen ist, versorgen und bedienen, leben als Untermieter oder sitzen frühmorgens in den überfüllten U-Bahn-Zügen, die Menschen aus ärmlichen Vororten wie Croydon ankarren. Dort landen auch die neuen Zuwanderer aus Osteuropa oder Spanien; mitten unter denen, die vor Jahrzehnten aus Pakistan oder Nigeria kamen und es nie aus diesen Vierteln rausgeschafft haben.

Wer Familie hat und daher mehr Wohnraum und weniger Kriminalität braucht, sucht sich sein Häuschen in Gegenden, die bis zu 100 Kilometer von London entfernt sind und stellt sich in den Stau, der in den Verkehrsnachrichten nur noch in "Verzögerung" von 30, 60, 90 Minuten oder mehr angegeben wird. "Die Wohnungskrise", bemüht sich die junge Labour-Politikerin Sarah Sackmann bei einer Wahlkampf-Veranstaltung um langfristige Perspektiven, "wird London noch lange nach der Wahl beschäftigen."

Mit seinem Think Tank "Res publica" zählt er seit Jahren zu den wichtigsten Beratern der britischen Politik. Sein neues Konzept will Englands kriselnde nördliche Industriestädte mit mehr wirtschaftlicher und politischer Macht ausstatten. Mit dem KURIER sprach er über...

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Seit dem Referendum über Schottlands Unabhängigkeit ist das auch in England ein Thema. Der Norden, vor allem die Städte, brauchen mehr Autonomie, also etwa die Möglichkeit, selbst Steuern einzuheben. Aber auch Eigenständigkeit beim Bau von Infrastruktur. Das alles wird zu häufig in London entschieden.

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