Schweizer „Ja“ zu Ausländer-Quote

Lange Schlangen vor den Abstimmungslokalen in der Schweiz: Die ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung spielte den Gegnern der Massenzuwanderung in die Hände.
Die Eidgenossen stimmten mit knapper Mehrheit für die Begrenzung der Zuwanderung - das trifft viele EU-Bürger.

Es war der wichtigste Urnengang für die Schweiz seit vielen Jahren. In Scharen strömten die Eidgenossen deshalb am Sonntag zu den Wahllokalen, wo sie sich teils in langen Warteschlangen bis zu ihrem Votum gedulden mussten. Eine knappe Mehrheit von 50,3 Prozent von ihnen stimmte schließlich für eine Kursänderung, die in der Schweiz keinen Stein auf dem anderen lassen wird.

Schweizer „Ja“ zu Ausländer-Quote
A poster against the "mass immigration initiative" of the Swiss Socalist Party SPS is seen through a barbed wire fence on the Federal Square before a campaign in Bern in this file photo taken January 29, 2014. With foreigners making up 23 percent of Switzerland's population of 8 million, the Swiss will vote on February 9 on a proposal to re-impose quotas on migrants from the European Union. The right-wing Swiss People's Party (SVP) wants Switzerland to seize back control over immigration by reintroducing quotas, renegotiating free movement of people with the EU, introduced in 2002 and asking employers to give national preference when filling jobs. REUTERS/Ruben Sprich/Files (SWITZERLAND - Tags: SOCIETY IMMIGRATION BUSINESS EMPLOYMENT POLITICS)

Die konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) triumphierte: Ihre Initiative „gegen die Masseneinwanderung“ wurde sowohl von der Mehrheit der Bevölkerung als auch der Kantone angenommen. Darin forderte die SVP für die Schweiz, wieder Kontingente für Aufenthaltsbewilligungen für Ausländer einzuführen. Die Kantone sollen künftig eine Höchstzahl von Zuwanderern – vom Asylwerber bis zum Akademiker – festlegen. Das bedeutet das Ende der mit der EU ausgehandelten Personenfreizügigkeit und der entsprechenden bilateralen Verträge mit Brüssel.

Die Argumente der SVP, denen sich erst kurz vor der gestrigen Abstimmung offenbar immer mehr Schweizer angeschlossen haben: Wenn die Zuwanderung nicht gesteuert und gebremst werde, drohe die Bevölkerung von derzeit acht auf zehn Millionen Menschen anzuwachsen – eine Menge, die die kleine Schweiz nicht verkraften könne. Der freie Personenverkehr führe zu immer mehr verbauter Fläche, zu immer höheren Mieten, zu Engpässen bei der Infrastruktur. Und bei all dem habe die heimische Bevölkerung kaum etwas von der Zuwanderung.

Deutsche Zuwanderer

Rund 140.000 Ausländer sind in den vergangenen Jahren im Schnitt in die Schweiz eingewandert, mehr als zwei Drittel davon kamen aus EU-Ländern. Netto betrug die Zuwanderung jeweils rund 80.000 Menschen. Das ist zehn Mal so viel, wie die Regierung in Bern zunächst erwartet hatte. 2013 waren in der Schweiz 1,88 Millionen Menschen Ausländer, was einem Ausländeranteil von 23,5 Prozent entspricht.

In erster Linie richtete sich die SVP-Zuwanderungsinitiative denn auch gegen den seit 2002 gültigen freien Personenverkehr mit der EU – und da ganz besonders gegen den Zustrom aus Deutschland. Die etwa 300.000 Deutschen bilden die größte Zuwanderungsgruppe in der Schweiz, Österreicher gibt es rund 40.000.

Röstigraben

Die Abstimmung hat einen Graben zwischen der Deutschschweiz und der Romandie aufgerissen: Die Westschweiz hat die Initiative klar abgelehnt. In der Deutschschweiz wurde sie mehrheitlich angenommen. Auch zwischen den urbanen Zentren und dem Land zeigt sich eine Kluft. Während die großen Städte überwiegend gegen eine Wiedereinführung von Zuwanderungsquoten stimmten, votierte die ländliche und kleinstädtische Bevölkerung mehrheitlich dafür.

In ihrem Kampf „gegen die Massenzuwanderung“ war die SVP fast allein gegen das gesamte Establishment der Eidgenossen angetreten: Der Bundesrat, die Mehrheit des Parlaments, die Kantone, sämtliche Wirtschaftsdachverbände, die Gewerkschaften und die meisten Parteien hatten gegen die Initiative mobil gemacht.

Das gegenwärtige Zuwanderungsmodell sei ein Erfolg, lautete ihr Hauptargument. Derzeit genügt es für EU-Bürger (mit Ausnahme von Rumänen und Bulgaren), in der Schweiz einen gültigen Arbeitsvertrag, ein ausreichendes Vermögen oder selbstständige Erwerbstätigkeit nachzuweisen.

Jede Änderung, so der Einwand der Wirtschaftsverbände, werde zu einer Abschottung der Schweiz führen. Der Mangel an Facharbeitern würde steigen und der bürokratische Mehraufwand, der durch die Einführung von Quoten entstünde, sei kaum zu bewältigen. Zudem herrsche in der Schweiz mit einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent nahezu Vollbeschäftigung.

Erdbeben

Für die politische Schweiz kommt das Votum für die Einführung von Zuwanderer-Quoten einem Erdbeben gleich: Die Regierung muss den Wunsch der Bevölkerung binnen drei Jahren umsetzen – wie, das ist derzeit noch völlig offen. Bisher hatten sich die meisten Politiker dagegen ausgesprochen.

Ungemach droht der Schweiz nun mit der EU: In einer ersten Reaktion bedauerte die EU-Kommission gestern die Annahme der Einwanderungs-Initiative. Brüssel will einen Verstoß gegen die Freizügigkeitsregeln nicht hinnehmen und stellt den privilegierten Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt infrage. Die Abkommen müssten neu ausgehandelt werden. Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, wickelt aber den größten Teil ihres Handels mit EU-Staaten ab.

Ausländeranteile

Schweiz Fast jeder vierte – 23,3 Prozent – der acht Millionen Schweizer ist ein Einwanderer. Zwei Drittel davon stammen aus EU-Ländern.

EU Gut 34 Millionen Migranten leben in der EU (ohne Kroatien) – die Quote liegt bei 6,8 Prozent. Rund zwei von fünf Ausländern sind EU-Bürger, die in einem anderen Mitgliedstaat leben. Luxemburg ist Quoten-Spitzenreiter: 44 Prozent Einwanderer .

Deutschland Ausländeranteil von rund 9 Prozent (7,2 Millionen). Die meisten Einwanderer kommen aus der Türkei (1,6 Millionen), Polen und aus Italien (je rund 530 000).

Österreich Von den rund 8,5 Millionen Einwohnern ist jeder neunte ein Ausländer (11,6 Prozent). Sie kommen vorrangig aus Deutschland (158 000), der Türkei (114 000) und Serbien (111 000).

Hunderte Menschen haben am Sonntagabend in der Schweiz ihrer Enttäuschung über die Annahme der Initiative der SVP "Gegen Massenzuwanderung" mit spontanen Kundgebungen Luft verschafft. Zu größeren Demonstrationen kam es in Zürich, Bern und Luzern.

In Zürich zogen rund 700 Personen vom Helvetiaplatz durch den Kreis 4 nordwestlich der Innenstadt, später riegelten Polizisten in Kampfmontur den Weg in die Innenstadt ab. Der Kundgebungszug sorgte vorübergehend für Verkehrsbehinderungen. Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten sich weitgehend friedlich verhalten, teilte die Stadtpolizei Zürich mit. Einzelne hätten jedoch Feuerwerk gezündet, Fassaden besprayt und Steine gegen ein Gebäude geworfen. Der Sachschaden wird auf mehrere tausend Franken geschätzt.

In Bern versammelten sich beim Bahnhof geschätzte 600 Personen zu einer Kundgebung. Dem Zug schlossen sich in der Stadt immer mehr Menschen an. Angeführt wurde der Demonstrationszug mit einem Transparent mit der Aufschrift "Ihre Schweiz - Unser Graus" angeführt. Darauf abgebildet war ein Hundehaufen, über dem das von der SVP mitunter als Logo verwendete "Sünneli" aufging.

Auf ihrem Marsch durch die Berner Innenstadt skandierte die Menge lautstark antirassistische und antifaschistische Parolen. "Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall", war etwa zu hören. Hie und da knallten Feuerwerkskörper. Der Demonstrationszug zog zweimal vor dem Bundeshaus, dem Regierungs- und Parlamentsgebäude vorbei. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Zu Zwischenfällen kam es auch in Bern bis 21.00 Uhr nicht, nur war auch hier der Verkehr vorübergehend beeinträchtigt.

In Luzern versammelten sich rund 300 vorwiegend Jugendliche zu einer Kundgebung. "Wir schämen uns" oder "Bleiberecht für alle überall" war auf Transparenten zu lesen. Auch diese von der Polizei kurzfristig bewilligte Manifestation blieb friedlich.

EU bedauert

Die EU-Kommission bedauerte am Sonntagabend, dass die " Initiative zur mengenmäßigen Beschränkung der Einwanderung durch diese Volksabstimmung" angenommen wurde, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme aus Brüssel. Die EU will nun die "Gesamtbeziehungen zwischen Union und Schweiz analysieren".

Die griechische Ratspräsidentschaft drückte ebenfalls ihr Bedauern über den Volksentscheid aus und mache unmissverständlich klar, dass die Einführung von Kontingenten gegen das gültige Abkommen verstoße. Die Personenfreizügigkeit sei ein Prinzip, das hochgehalten und gefördert werden müsse, heißt es in einem Kommunique.

Gleichzeitig signalisierte die griechische Ratspräsidentschaft aber Bereitschaft, sich mit der Schweiz an einen Tisch zu setzen: Die EU sei bereit, "mit der Schweizer Regierung zusammenzuarbeiten, um Wege zu finden", die Probleme anzugehen. Die griechische Präsidentschaft werde den Prozess in den EU-Institutionen und in den EU-Mitgliedstaaten "eng verfolgen".

Der österreichische EU-Abgeordnete Hannes Swoboda, Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, gibt sich enttäuscht über das Abstimmungsresultat. Dies werde "zu Nachteilen für die Schweiz bei neuen Verhandlungen mit der EU" führen.

Lob von den Rechten

Lob erhielten die Schweizer Stimmberechtigten hingegen von den Rechtspopulisten und EU-Skeptikern für ihren Entscheid: Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders meinte zum Abstimmungsresultat via Twitter "fantastisch": "Was die Schweizer können, das können wir auch."

Die Französin Marine Le Pen, EU-Parlamentarierin und Parteivorsitzende des rechtspopulistischen "Front National", stiess auf Twitter ins gleiche Horn: "Die Schweiz sagt Nein zur Masseneinwanderung, bravo! Wird die EU nun Panzer schicken?"

Die EU-kritische britisch UKIP (United Kingdom Independence Party) twitterte, ihr Chef und EU-Abgeordnete Nigel Farage habe das Resultat in der Schweiz als "wundervolle Neuigkeit für die nationale Souveränität" bezeichnet. Farage selbst ließ per Twitter verlauten: "Die Schweiz kann eine Abstimmung über Immigration durchführen, weil sie nicht in der EU gefangen ist."

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