"Das bringt mich zum Weinen"

Proteste nach Freispruch für weißen Polizisten, der Schwarzen erschoss. Polizist: "Habe reines Gewissen."

Die Mutter des erschossenen 18-jährigen Michael Brown, eines Schwarzen, ist geschockt, als sie von dem Gerichtsurteil erfährt: Freispruch für den angeklagten weißen Polizisten Darren Wilson, es sei Notwehr gewesen. „Selbstverteidigung – wovor?“, fragt Lesley McSpadden in die Menge, die sich in der US-Kleinstadt Ferguson versammelt hat. Ihr Sohn war an jenem 9. August unbewaffnet, als ihn ein halbes Dutzend Projektile traf. Tränen rinnen der Frau hinunter, dann beutelt es sie vor Schluchzen. Sie sinkt in den Arm ihres neuen Mannes Louis Head. „Burn this down (brennt das nieder)“, zitiert diesen die New York Times. Es kommt zu Ausschreitungen, auch in anderen US-Städten wird protestiert.

In Ferguson (Missouri) werden Beamte mit Molotow-Cocktails attackiert, Polizeiautos gehen in Flammen auf, Geschäfte werden geplündert. Sicherheitsbeamte setzen Rauchbomben und Tränengas ein, Hubschrauber kreisen über der Stadt. Schüsse fallen. Von wem, ist zunächst unklar. „Das ist nicht, wofür wir hergekommen sind“, ruft ein Demonstrant die Gewaltbereiten zur Friedfertigkeit auf. Ohne Erfolg.

Polizist würde es wieder tun

"Das bringt mich zum Weinen"
epa04503516 An undated evidence photograph made available by the St. Louis County prosecutors office on 25 November 2014 shows Ferguson police officer Darren Wilson and his wounds received during his scuffle with African-American teenager Michael Brown before shooting Brown to death in Ferguson, Missouri, USA, in August, 2014. The grand jury did not indict Wilson for the shooting prompting protesters to take to the streets firing weapons, burning businesses and vehicles and looting. EPA/ST. LOUIS COUNTY PROCECUTORS OFFICE / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
Am Dienstag meldete sich erstmals der Todesschütze, Darren Wilson, zu Wort. Er bedauere den Tod von Michael Brown, würde aber nicht anders handeln, sagte er dem TV-Sender ABC. Er habe um sein Leben gefürchtet und nur seinen Job getan. Er habe ein reines Gewissen, sagte Wilson – womit das Risiko neuerlicher Ausschreitungen am Dienstag stieg.

Der Gouverneur von Missouri reagierte prompt und schickte weitere Nationalgardisten nach Ferguson.

Es herrscht breite Einigkeit darüber, das dieses Urteil – getroffen von neun weißen und drei schwarzen Geschworenen – den latenten Rassismus in den USA widerspiegelt. „Die Leben der Schwarzen zählen nicht“, sagt die 48-jährige Flugbegleiterin Teri Franks, selbst Mutter von vier Kindern, „die ganze Sache bringt mich zum Weinen.“

Tatsächlich haben Schwarze weniger Aufstiegschancen, sind im Schnitt ärmer als Weiße, sitzen in Relation zum Bevölkerungsanteil überproportional im Knast, immer wieder gibt es Übergriffe und Schnellschüsse von weißen Polizisten auf schwarze Bürger. Erst am Wochenende wurde der farbige Tamir Rice, 12, von Beamten auf einem Spielplatz erschossen – er hielt eine Spielzeugwaffe in der Hand.

Die Diskriminierung der Afro-Amerikaner hat sich auch unter Barack Obama, dem ersten schwarzen US-Präsidenten, nicht geändert. In einer Stellungnahme nach dem Urteil, sagte er, dass es ein tiefes Misstrauen zwischen Polizeikräften und Nicht-Weißen gebe. Wörtlich sprach er davon, dass es gelte, „breite Herausforderungen für uns als Nation“ zu bewältigen. Salopp zusammengefasst haben das Demonstranten in Atlanta: „Die Hölle von Ferguson ist die Hölle Amerikas.“

Krawalle in den USA

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USA FERGUSON BROWN SHOOTING PROTEST
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St. Louis County Prosecutor's Office photo shows F
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Man holds a sign, as demonstrators react to the gr
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USA FERGUSON BROWN SHOOTING
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Protester demonstrates in Times Square after the g
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USA FERGUSON BROWN SHOOTING
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Protesters demonstrate after the decision by a Mis

Protesttag angekündigt

Auch der einflussreiche Bürgerrechtler Al Sharpton hat die systematische Benachteiligung von Afroamerikanern im amerikanischen Justizsystem angeprangert. "Das ist kein Problem von Ferguson", sagte Sharpton am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Ferguson, einem Vorort von St. Louis. "Das ist ein Problem überall im Land."

Sharpton, eine Führungsfigur der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, kündigte einen landesweiten Protesttag am Samstag an. "Wir haben vielleicht die erste Runde verloren, aber der Kampf ist nicht vorbei", sagte er. "Sie haben unsere Herzen gebrochen, aber nicht unser Rückgrat."

Schwarze Sportler empört

Zwei schwarze US-Superstars aus der Welt des Sports meldeten sich ebenfalls zu Wort. Die Tennis-Ikone Serena Williams twitterte: „Beschämend. Was muss noch alles passieren?“ Und die Basketball-Legende Earvin „Magic“ Johnson bekannte: „Ich bin sehr enttäuscht.“

Außergewöhnlich scharf und emotional reagierte ein europäisches Regierungsmitglied: „Wie alt war Michael Brown? 18. Trayvon Martin? 17. Tamir Rice? 12. Wie alt der nächste? 12 Monate? Tötet sie bevor sie groß werden, Bob Marley“, schrieb die schwarze französische Justizministerin Christiane Taubira auf dem Kurznachrichtendienst Ttwitter in Anspielung auf ähnliche Fälle. Der letzte Satz ist eine Zeile des Bob-Marley-Songs „I shot the sheriff“, und er wird eben diesem Sheriff zugeschrieben.

Was viele Menschen in den USA zusätzlich aufregt, sind das Umfeld und die Vita des zuständigen Bezirksstaatsanwalts Bon McCulloch: Dieser unterhält enge Beziehungen zur Polizei, mehrere Verwandte von ihm sind dort beschäftigt. Auch sein Vater war Polizist, er wurde 1964 erschossen – von einem Schwarzen. 26.000 Bürger hatten eine Ablöse des Ermittlers gefordert. Vergeblich.

Mitarbeit: Paulina H.

"Das bringt mich zum Weinen"

In den Sozialen Medien ist der Aufschrei ebenso groß wie auf den Straßen der großen US-Städte. Mit Unverständnis haben auch schwarze US-Sportstars auf die Entscheidung reagiert. "Wow. Einfach Wow. Beschämend. Was muss noch passieren???" twitterte eta die Weltranglisten-Erste im Frauentennis, Serena Williams.

Auch Basketball-Legende Earvin "Magic" Johnson bekannte: "Ich bin sehr enttäuscht mit der Entscheidung im Fall Mike Brown in Ferguson." Mehr Nachdenklichkeit forderte Basketballstar LeBron James: "Was können wir als Gesellschaft besser machen, damit solche Dinge aufhören und nicht immer wieder passieren!!"

Mit einer empörten Twitter-Botschaft hat auch Frankreichs schwarze Justizministerin Christiane Taubira reagiert. "Wie alt war Michael Brown? 18. Trayvon Martin? 17. Tamir Rice? 12. Wie alt der nächste? 12 Monate? 'Tötet sie bevor sie groß werden' Bob Marley", schrieb Taubira am Dienstag in Anspielung auf ähnliche Fälle in den USA.

Taubira hob im Sender France Info am Dienstag hervor, sie wolle kein Urteil über die US-Justizinstitutionen fällen. Wenn aber das Gefühl der "Frustration" in der Bevölkerung so stark sei, müsse die Frage gestellt werden nach dem Vertrauen in die Institutionen "und die Fähigkeit der Institutionen, den sozialen Frieden zu sichern". Solche Fälle passierten immer bei denselben: "Afroamerikanischen Burschen".

Als hätten sie das Urteil schon im Vorfeld geahnt, versammelten sich Montagabend in Chicago rund zwei Stunden vor der geplanten Verkündung durch die Grand Jury rund 200 Menschen vor dem Polizeihauptquartier. In dicke Jacken gehüllt, riefen sie "Wir sind Mike Brown!" und "Ich bin Mike Brown". "Wir werden nicht aufhören, bis wir Gerechtigkeit erfahren", "Mörder-Schweine müssen bezahlen" und "Stoppt die rassistischen Polizisten" war auf Schildern zu lesen. Einige trugen bei Demonstrationen häufig gesehene Guy-Fawkes-Masken, jene Comic-Masken mit Spitzbart, die mitunter als Symbol des Internetkollektivs Anonymous bekannt wurden. Manche der Polizisten trugen Holzstöcke.

"Unsere Straßen"

Von der 35. Straße zog der Tross über den King Drive Richtung Lake Shore Drive, eine mehrspurige Hauptstraße, die nördlich ins Zentrum führt. "Wessen Straßen? Unsere Straßen", stimmte die anwachsende Menge an. Die Polizei musste kurz vor neun Uhr Abends den Lake Shore Drive für rund eine Stunde lang absperren, Polizisten auf Fahrrädern begleiteten den Zug. "Wir wollen Freiheit, Freiheit. All die schmutzigen, rassistischen Polizisten. Wir brauchen sie nicht", bekamen sie zu hören. Autos, die auf gegenüberliegende Spuren umgeleitet wurden, hupten im Vorbeifahren – als Zeichen der Solidarität. "Mike Brown!", rief einer aus dem Fenster. Vereinzelt blieben Pkw stehen und die Fahrer stiegen aus, um den Protestzug anzufeuern.

Nach rund einer Stunde erreichte die Menge den Süden des Zentrums. Berittene Polizei mit Schutzhelmen nahm sie dort in Empfang, versuchte die Hundertschaft zusammenzuhalten und leitete den Zug durch die Innenstadt Richtung Norden. Diese Strategie wandte die Polizei schon bei Demonstrationen rund um den NATO-Gipfel 2012 an.

"Wir werden den Protest in nichts anderes verwandeln als einen Protest", sagte Polizeichef Garry McCarthy in einem TV-Interview. Die Demonstration verlief bis zur letzten Minute friedlich. Es gab keine Verhaftungen und auch Sachschäden wurden nicht gemeldet.

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